Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Meckenbeuren trauert auch vor Ort um Tote
SZ-Serie zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren: Die Panzersperren sorgen für Unruhe
MECKENBEUREN - Der Zweite Weltkrieg hat sich in Meckenbeuren in den beiden letzten Jahren schon deshalb besonders ausgewirkt, weil nach den Angriffen auf Friedrichshafen im April 1944 Flüchtlinge und Ausgebombte ins Hinterland der Kreisstadt strömten.
Auf die Jahre 1944 und 1945 in der Gemeinde (damals ohne Kehlen) blickt die SZ unter zwölf Aspekten. Besondere Berücksichtigung gilt dem französischen Einmarsch vom
29. April, der Hoffnungen und Ängste mit sich brachte, und auf den 8. Mai hindeutete, den Tag der Befreiung. Als Zeitpunkt für die Einstellung aller Kampfhandlungen in Europa wurde der 8. Mai 1945, 23.01 Uhr, festgelegt. Die lokalen Aspekte:
bei Fliegerangriff: Der Bahnhof ist am 24. Juli 1944 das Ziel der Jagdbomber – ein Angriff, bei dem ein siebenjähriges Mädchen ums Leben kommt. Ein Lokomotivführer wird verwundet, zwei Lokomotiven und mehrere Häuser seien zerstört worden, ist in Josef Friedels Buch „Die staatliche Post in Meckenbeuren“zu lesen. Ob der Angriff der dort stationierten Flak gilt, darüber ist nichts bekannt.
Vor dem Einmarsch: Von Norden, von dem am Vortag besetzten Ravensburg her, näherten sich am Sonntag, 29. April 1945, die Franzosen. Am Tag zuvor war die Panzersperre auf Befehl aus Friedrichshafen geschlossen worden, schreibt Peter Heidtmann 2005 im Beitrag für den Förderkreis-Heimatkunde-Kurier. Sie befand sich an der Bachbrücke Richtung Ravensburg und bestand aus schweren Baumstämmen.
Tag des Einmarsches: Mit der geschlossenen Panzersperre steigt die Unruhe, da in solchen Fällen der Beschuss oder das Bombardement des Orts zu befürchten steht. Den sich nähernden Truppen gehen am
29. April mehrere Männer bis Eschach entgegen (siehe unten) und weisen auf den freien Weg über Liebenau und Fünfehrlen hin.
Der Einmarsch: „Glücklicherweise ohne Verteidigung“sei er gegen 14.45 Uhr erfolgt, erinnert sich Hermann Erb in den „Dorfgeschichten aus Obermeckenbeuren“. Die geschlossene Panzersperre zwischen den Häusern Roth und Wagner wurde im Nachhinein von einem französischen Kommando gesprengt und mithilfe einheimischer Kräfte beseitigt. Erb weiter: „Sehr zum Leidwesen wurden die Häuser Roth und Wagner durch die Sprengung schwer in Mitleidenschaft gezogen.“
GGGGKind stirbt
Panzersperre in Brochenzell: Auf sie hat Rudi Gebhard die SZ aufmerksam gemacht. Der Volkssturm hatte die Sperre bei der alten Schussenbrücke (heute die Gunterbachdole) errichtet. Brochenzell sei daher aus Richtung Ettenkirch besetzt worden, erinnert sich Gebhard. Ums scharfe Eck herum hätten sich die Panzer genähert, und einer sei „bei uns am Gartentürle“zu stehen gekommen, so Gebhard, der damals als „kleiner Knirps“in der Andreas-Hofer-Straße aufwuchs.
Tod am Bahnhof: Peter Heidtmann schreibt, dass es im Verlauf der Besetzung am 29. April einen Toten am Bahnhof gegeben habe. Lokheizer Gebhard Kling sei von einer Karabinerkugel tödlich verletzt worden. Genauere Umstände wurden nicht genannt. Allerdings weist „p.h.“in dem Artikel im FH-Kurier darauf hin, dass „offizielle Übergabeverhandlungen“nicht stattfanden und die französischen Panzerbesatzungen daher
„zur Einschüchterung zunächst mit Maschinengewehren und Karabinern um sich schossen“.
Die Kirche: Wie in Kehlen wurden auch in Meckenbeuren drei der vier Kirchenglocken auf Anordnung des NS-Regimes abtransportiert und im Januar 1943 in Waffen und Munition umgearbeitet. Was ebenso der Chronik zu 75 Jahren St. Maria (1988) zu entnehmen ist, wie die Rückblende
GGGauf den 21. April 1945, als die Lebensmittel freigegeben wurden. Vielfach habe dies die Aufhebung von Zucht und Ordnung zur Folge gehabt, heißt es. Im Wortlaut: „Die Plünderung des Warenhauses, der Haushaltungsschule, des Wehrmeldeamtes sowie ganzer liegen gebliebener Eisenbahnzüge legten davon Zeugnis ab. Es gab schwere Auseinandersetzungen zwischen Vernunft und Endsieg-Fatalismus, die auch einen Todesfall zur Folge hatten.“
Tödliche Schüsse: Was in der Pfarrchronik angedeutet wurde, hat Reinhold Meier im Jahrbuch „Leben am See“2006 aufgearbeitet. Von 1993 bis 2002 war der evangelische Geistliche in Meckenbeuren tätig und erfuhr im Nachhinein von den Vorkommnissen aus dem Jahr 1945. Darin bezieht er sich unter anderem auf den 29. April 1945, den Tag des Einmarsches. Bernhard Deutelmoser habe versucht, die Alliierten auf Wegen ohne Panzersperren ins Dorf zu führen, um den Ort so vor Beschuss zu retten. „Gemeinsam mit Dentist Franz Heine, Flaschner Gabriel Restle und mit der Hilfe des serbischen Kriegsgefangenen Dabatic gelang das lebensgefährliche Unterfangen.“
„Lebensgefährlich“war solches Meier zufolge, weil der hiesige Ortsgruppenführer noch am Tag zuvor den Volkssturm aufgefordert hatte, „bis zum letzten Blutstropfen“zu
Gkämpfen und dabei einen Mitbürger erschoss, der „die Meinung geäußert hatte, dass eine weitere Verteidigung sinnlos sei.“
Den Ausführungen von Peter Heidtmann im FH-Kurier 32 (September 2005) zufolge sei der Ortsgruppenführer am 29. April geflohen und bei Liebenau gefangen genommen worden. Zu seinem weiteren Schicksal heißt es bei Meier, dass er in alliierte Gefangenschaft nach Ravensburg kam, „wo sich einige seiner ehemaligen Zwangsarbeiter aus der Holzindustrie an ihm rächten und ihn grausam lynchten, wie die Mehrzahl der befragten Zeitzeugen berichtet. Einzelne erinnern sich dagegen an seinen Suizid.“
in den Quellen: In der Kirchenchronik heißt es: „Am 29. April 1945 war Meckenbeuren von Fremdenlegionären und marokkanischen Truppen, die durch Vergewaltigungen und Willkürakte Schrecken verbreiteten, ganz besetzt. Doch als die französische Militärverwaltung hart durchgriff und
GDie nächsten Tage
einige der Gewaltverbrecher mit dem Tode bestrafte, normalisierten sich die Verhältnisse allmählich wieder.“
Wozu auch beigetragen haben dürfte, dass mit Ingenieur Heinrich Müller als kommissarischem Bürgermeister wieder eine deutsche Zivilverwaltung eingesetzt wurde.
In der Schrift
schreibt Josef Friedel 2012, dass sich der erste Ortskommandant in der Metzgerei Neubrand (Hauptstraße) einquartiert habe. Er sei ein besonnener Mann gewesen, der keine offenen Konfrontationen unter der Bevölkerung duldete. Friedel weiter: „Zur Besetzung des Bürgermeisterpostens holte er sich Rat bei Ortspfarrer Karl Füller, beim Polizeileutnant Dadiditsch (ein Serbe, der als Kriegsgefangener hier war) und beim seit Jahren in Meckenbeuren beschäftigten französischen Zivilarbeiter Lavalle. Die drei verständigten sich, den seit 1943 in Meckenbeuren wohnenden Ingenieur Müller vorzuschlagen, der dann am 16. Mai 1945 als kommissarischer Bürgermeister eingesetzt wurde.“
Jahnhalle: Mit einem neuen Gegenüber hatte es Müller kurz darauf zu tun, wechselte doch der Ortskommandant am 16. Mai – hin zu einem ehemaligen Kolonialoffizier, der sich laut Pfarrchronik „viele Mücken aus seiner Kolonialzeit“bewahrt hatte. Von seinen Ideen musste eine auf die Schnelle mit Blick auf den französischen Nationalfeiertag (14. Juli) umgesetzt werden: eine Festhalle als Kinound Tanzsaal zu errichten.
„Das Holz dafür ließ er in der Holzindustrie requirieren und nach seinen Angaben herrichten“, ist Friedels TSV-Veröffentlichung zu entnehmen. Und weiter heißt es: „Der so in kurzer Zeit entstandene Kulturschuppen wurde später zur legendären Jahnhalle. Über die gute Leistung der Bevölkerung erstaunt, war er nun auch für die Belange des kommissarischen Bürgermeisters und der Sportler zugänglich.
Was laut Friedel vor allem ein Verdienst von Pfarrer Füller war, „der glänzend französisch sprach und die Geschichte und Kultur Frankreichs gut kannte“. Er habe den Offizier überzeugt, „dass die Jugend keinen Anteil an der verhängnisvollen Situation hatte“. Die Folge: Eine Behelfsschule wurde errichtet und der Jugend das Fußballspiel erlaubt.
GMeckenbeuren“
G„100 Jahre TSV
Von 130 Angehörigen der Pfarrei St. Maria, die an die Front gerufen wurden, kehrten 63 nicht mehr zurück, steht in der Chronik.