Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Es war ein Tag, der alles veränderte“
Der Langenargener Emil Hans Bartsch wird kurz vor Kriegsende von der Gestapo hingerichtet
LANGENARGEN - Vor 75 Jahren am 27. April ist der Langenargener Emil Hans Bartsch von Gestapo-Beamten im Bereich des heutigen Wasserturms im Schlatter Wald durch einen Kopfschuss hingerichtet worden – zwei Tage vor dem Einmarsch der französischen Streitkräfte. „Um das Andenken an meinen Großvater wach zu halten, ist es mir ein Anliegen, an diese schreckliche Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern“, sagt Christine Schneider, Enkelin des Ermordeten.
„Die Gegenwart ist bestimmt durch die Vergangenheit, die sich nicht verleugnen lässt“, heißt es 1985 in einem Artikel in der „Schwäbischen Zeitung“über einen Gerichtsprozess, in dem es um den Mord an Emil Hans Bartsch zwei Tage vor dem Einmarsch der Franzosen ging. Die Tat war demnach eine der letzten Abrechnungen der SS-Truppen und NSDAP-Parteigänger mit Deserteuren, KZ-Häftlingen, kriegsmüden Zivilisten und Querdenkern.
Was war geschehen? Emil Hans Bartsch, bekennender Gegner des nationalsozialistischen Regimes und dem kommunistischen Lager zugetan, war im beschaulichen Langenargen dafür bekannt, dass er sich oftmals in geselliger Runde unvorsichtig gegen das herrschende System und somit auch gegen die ihm umgebende bürgerliche Ordnung äußerte, die großen Einfluss auf die führenden Gremien der NSDAP hatten. Einige einflussreiche und regimenahe Langenargener empfanden dies laut späteren Aufzeichnungen der Familie als bedrohlich und befürchteten nach dem Einmarsch der Franzosen persönliche und materielle Nachteile.
„Die Bartsches müssen weg“, soll der damalige NS-Bürgermeister von Langenargen, Oskar Heß, gegenüber SS-Hauptsturmführer Walter Schurer im Beisein von Polizeibeamten gesagt haben. Gemeint waren wohl Emil Hans und dessen Sohn. Der Erschießungsbefehl erging am 26. April 1945.
„Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages wurden mein Großvater und sein Sohn Hans von zwei in Zivil gekleideten GestapoBeamten zu Hause abgeholt und in einem Wagen in den Schlatter Wald gebracht. In der Nähe des heutigen Wasserturms tötete die Geheime Staatspolizei Friedrichshafen meinen Opa durch einen Kopfschuss. Hans dagegen konnte fliehen und sich in Sicherheit bringen. Es war ein Tag, der alles veränderte“, erzählt Christine Schneider, geborene Bartsch. Für sie seien Aufarbeitung und Erinnerung
an diese sinnlose Schreckenstat über Generationen hinweg wichtig. „Gerade in der heutigen Zeit, in der Rechtspopulismus und rechtsextreme Parteien Hitler und den Nationalsozialismus verharmlosen und verherrlichen, sollte man diesen entgegentreten und mahnen. Wir dürfen nie vergessen, wie viele Verbrechen und Gewalttaten während des Hitler-Regimes von Menschen an Menschen zugelassen wurden“, betont die Enkelin.
1985 fand in Ravensburg die Gerichtsverhandlung statt. Angeklagt: der ehemalige SS-Hauptsturmführer Walter Schurer wegen Totschlags und versuchten Totschlags. Verurteilt wurde er nicht. Als Begründung wurden „weitgehende Milderungsgründe“und die Amnestie-Regeleung von 1954 aufgeführt. Bereits ein Prozess kurz nach Kriegsende sei wegen Desinteresses der Richter im
Sande verlaufen: „Mein Onkel Hans Bartsch, der der Exekution entkommen konnte, wohnte dieser Verhandlung bei und konnte nicht nachvollziehen, wie erneut parteiisch geurteilt und mit Erfolg das Verbrechen verschleiert wurde. Auch hier wirkten wohl gewisse einflussreiche Menschen aus Langenargen im Hintergrund.“Mit Genehmigung der Gemeinde Eriskirch hat die Nachfahrin jüngst an der Ostseite des Wasserturms
eine Gedenktafel anbringen lassen: „Emil Hans Bartsch, geboren am 12.8.1891, wurde hier, am 27.4.1945, zwei Tage vor dem Einmarsch der Franzosen, durch die Gestapo Friedrichshafen erschossen“.