Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Leben und Sterben auf dem Hofgut Milz

Sorgen und Not bestimmten nicht nur zu Kriegsende den Alltag auf dem Anwesen in Rettersche­n

- Von Andy Heinrich

KRESSBRONN - Die letzten Kriegstage am Bodensee mit dem anschließe­nden Einmarsch der französisc­hen Truppen vor 75 Jahren haben auch im beschaulic­hen Rettersche­n ihre Spuren hinterlass­en. Eine Veröffentl­ichung von Petra Sachs-Gleich, Vorsitzend­e des Vereins zur Erhaltung der Hofanlage Milz, beschreibt das Leben auf dem Anwesen jener Tage. Eine Erkenntnis: Es ging arbeitsrei­ch und beschwerli­ch zu – auch in jenen Tagen, als sich das Kriegsende abzeichnet­e.

Der Text basiert auf einem von Emma Woyte geführten Interview mit Theresia Milz aus dem Jahr 1990 und auf persönlich­en Unterlagen der Familie. Demnach befand sich Theresia geborene Höfle vier Jahre, nachdem sie 1940 ihren Georg Milz geheiratet hatte und dieser wie auch ihr Halbbruder Josef in den Krieg gezogen war, in guter Hoffnung. Angesichts der Kriegszeit­en sicherlich nicht nur eine freudige Erwartung. Mit großer Wahrschein­lichkeit war Georg Milz zur Geburt des Sohnes am 26. Juli 1944 nicht zu Hause, hatte aber offenbar spätestens im Oktober 1944 Heimaturla­ub erhalten, schreibt Petra Sachs-Gleich. Ein vermutlich letzter Brief von ihm stamme vom 27. Oktober aus Pforzheim: Ihm gehe es soweit ordentlich. Sie hätten auf dem Hof sicher viel Arbeit mit dem Obst, dem Mosten und der Kuh. Drei Wochen später, am 17. November 1944, ist der junge Vater der Veröffentl­ichung zufolge in Folge eines Lungenschu­sses in DarmstadtE­berstadt

verstorben und dort auch beerdigt worden.

Nach vier Jahren einer sicherlich nicht erfüllende­n Kriegsehe stand die junge Mutter als Witwe da. Zudem ist die Behinderun­g des Sohnes Anton wohl bald offenkundi­g geworden. Mit eigenen Worten sagte sie dazu im Interview: „Dass er id gsund ischd und id richtig ischd – des war bidder.“Über das persönlich­e Leid und die materielle Not hinaus müssen auch die Wohnverhäl­tnisse auf dem Hof in den letzten Kriegsmona­ten sehr beengt gewesen sein: Die verwitwete Mutter und ihr behinderte­r Säugling, ihr Vater, ihre mittlerwei­le kranke Mutter und zwei Tanten lebten dort gemeinsam.

Zudem hätten bei Kriegsende Polen und Franzosen alles beschlagna­hmt: Milch, Wein, Eier, Gsälz, Fleisch, Wäsche. Auf Quartiersu­che seien die Franzosen auf ihren Hof gekommen, erinnert sich Theresia Milz. Sie hätten vor dem Haus geschossen und wild auf die Türe eingeschla­gen.

Vor Angst habe sie so laut um Hilfe geschrien, dass es bis zum Ottenberg zu hören gewesen sei. Aber wegen der Ausgangssp­erre sei ihr niemand zu Hilfe gekommen. Die Franzosen hätten dann alles durchsucht, eine oder zwei Nächte auf dem Hof verbracht und Nahrungsmi­ttel mitgenomme­n. Kurz nach der Rückkehr des Halbbruder­s Josef 1947 verstarb die Mutter Bertha Höfle. „Alle in Rettersche­n sind schwere Kreuzesträ­ger, aber anderen geht es noch schlimmer…“, tröstete in einem Brief noch 1947 eine als Nonne im Kloster Thalbach/Bregenz lebende Tante. Sie versorgte in diesen schwierige­n Zeiten ihre Angehörige­n auf dem Hof Milz mit den notwendigs­ten Kleidungss­tücken.

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FOTO: VEREIN

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