Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Leben und Sterben auf dem Hofgut Milz
Sorgen und Not bestimmten nicht nur zu Kriegsende den Alltag auf dem Anwesen in Retterschen
KRESSBRONN - Die letzten Kriegstage am Bodensee mit dem anschließenden Einmarsch der französischen Truppen vor 75 Jahren haben auch im beschaulichen Retterschen ihre Spuren hinterlassen. Eine Veröffentlichung von Petra Sachs-Gleich, Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Hofanlage Milz, beschreibt das Leben auf dem Anwesen jener Tage. Eine Erkenntnis: Es ging arbeitsreich und beschwerlich zu – auch in jenen Tagen, als sich das Kriegsende abzeichnete.
Der Text basiert auf einem von Emma Woyte geführten Interview mit Theresia Milz aus dem Jahr 1990 und auf persönlichen Unterlagen der Familie. Demnach befand sich Theresia geborene Höfle vier Jahre, nachdem sie 1940 ihren Georg Milz geheiratet hatte und dieser wie auch ihr Halbbruder Josef in den Krieg gezogen war, in guter Hoffnung. Angesichts der Kriegszeiten sicherlich nicht nur eine freudige Erwartung. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Georg Milz zur Geburt des Sohnes am 26. Juli 1944 nicht zu Hause, hatte aber offenbar spätestens im Oktober 1944 Heimaturlaub erhalten, schreibt Petra Sachs-Gleich. Ein vermutlich letzter Brief von ihm stamme vom 27. Oktober aus Pforzheim: Ihm gehe es soweit ordentlich. Sie hätten auf dem Hof sicher viel Arbeit mit dem Obst, dem Mosten und der Kuh. Drei Wochen später, am 17. November 1944, ist der junge Vater der Veröffentlichung zufolge in Folge eines Lungenschusses in DarmstadtEberstadt
verstorben und dort auch beerdigt worden.
Nach vier Jahren einer sicherlich nicht erfüllenden Kriegsehe stand die junge Mutter als Witwe da. Zudem ist die Behinderung des Sohnes Anton wohl bald offenkundig geworden. Mit eigenen Worten sagte sie dazu im Interview: „Dass er id gsund ischd und id richtig ischd – des war bidder.“Über das persönliche Leid und die materielle Not hinaus müssen auch die Wohnverhältnisse auf dem Hof in den letzten Kriegsmonaten sehr beengt gewesen sein: Die verwitwete Mutter und ihr behinderter Säugling, ihr Vater, ihre mittlerweile kranke Mutter und zwei Tanten lebten dort gemeinsam.
Zudem hätten bei Kriegsende Polen und Franzosen alles beschlagnahmt: Milch, Wein, Eier, Gsälz, Fleisch, Wäsche. Auf Quartiersuche seien die Franzosen auf ihren Hof gekommen, erinnert sich Theresia Milz. Sie hätten vor dem Haus geschossen und wild auf die Türe eingeschlagen.
Vor Angst habe sie so laut um Hilfe geschrien, dass es bis zum Ottenberg zu hören gewesen sei. Aber wegen der Ausgangssperre sei ihr niemand zu Hilfe gekommen. Die Franzosen hätten dann alles durchsucht, eine oder zwei Nächte auf dem Hof verbracht und Nahrungsmittel mitgenommen. Kurz nach der Rückkehr des Halbbruders Josef 1947 verstarb die Mutter Bertha Höfle. „Alle in Retterschen sind schwere Kreuzesträger, aber anderen geht es noch schlimmer…“, tröstete in einem Brief noch 1947 eine als Nonne im Kloster Thalbach/Bregenz lebende Tante. Sie versorgte in diesen schwierigen Zeiten ihre Angehörigen auf dem Hof Milz mit den notwendigsten Kleidungsstücken.