Schwäbische Zeitung (Tettnang)
MTU-Motoren fürs Homeoffice ungeeignet
1. Mai: Helene Sommer (IG-Metall) über Online-Demos und die aktuelle Lage der Arbeiter
FRIEDRICHSHAFEN – Keine Trillerpfeifen, keine Kundgebung, kein Hauptredner: Am 1. Mai können die Gewerkschaften in diesem Jahr wegen der Beschränkungen in Zuge der Coronapandemie nicht auf den Putz hauen. Auch die zentrale Veranstaltung in der Region an der Musikmuschel im Uferpark fällt aus. Alexander Tutschner unterhielt sich mit Helene Sommer, der zweiten Bevollmächtigten der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, über den außergewöhnlichen Tag der Arbeit und die Lage der Arbeiter im Zeichen der Krise.
Keine Demo am Tag der Arbeit, wie geht es Ihnen dabei?
Ich finde das furchtbar. Ich habe noch nie einen 1. Mai ohne Kundgebung verbracht. Aber wenn man bedenkt, dass Menschen in dieser Krise Angehörige verloren haben oder ökonomisch am Rande der Existenz stehen, ist das sicher das kleinere Übel.
Was geht der Gewerkschaftsbewegung dabei verloren?
Der 1. Mai ist für uns wie Ostern für den Papst. Es ist der Tag, an dem wir unsere Forderung einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen und Präsenz haben, unsere Botschaft senden. Wir machen an dem Tag besonders deutlich, dass die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen in der Gesellschaft. Ganz konkret in Friedrichshafen ist es der Tag, an dem wir uns normalerweise an der Musikmuschel treffen und so etwas wie ein Familienfest feiern. Ich hoffe, dass wir es schaffen, gerade in der jetzigen Zeit, die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung trotzdem gut in der öffentlichen Diskussion zu vertreten.
Findet die Demonstration jetzt online statt?
Ja, klar, es gibt eine zentrale Veranstaltung im Internet, die der DGB anbietet. Das Motto des Livestreams lautet „Solidarisch ist man nicht alleine“. Es gibt Gesprächsrunden und Interviews. Dazu kommen Musik und Statements von Künstlern und vieles mehr. Auch regional haben wir einige Videobotschaften vorbereitet. Es ist für mich aber erstmals ein 1. Mai, an dem ich eine passive Rolle habe.
Wie schätzen Sie die Auswirkung der Corona-Krise auf die Region ein?
Wir haben mit der ZF einen klassischen Automobilzulieferer, der die Auswirkungen drastisch merkt. Auch wenn hier viel für den Bereich Nutzfahrzeuge gearbeitet wird, sind die Einbrüche massiv.
Bis zu zwei Drittel der Betriebe, die wir in der Region Bodensee-Oberschwaben betreuen, haben momentan Kurzarbeit. Aber nur selten Kurzarbeit null. Das Instrument funktioniert aus unserer Sicht gut. Wir können damit aktuell in allen Betrieben Kündigungen verhindern. Wir kommen im Vergleich zu anderen IG-Metall-Geschäftsstellen im Land noch gut weg.
Helfen die Erfahrungen aus der letzten Krise?
Ja. Das Ziel ist, die Kurzarbeit zu nutzen, um Beschäftigungsbrücken zu bauen. In der letzten Krise hat sich das bewährt, die Betriebe konnten schnell wieder hochfahren, weil sie die Mannschaft an Bord hatten. Und die Beschäftigten sind nicht in die Arbeitslosigkeit gefallen. Wir tun alles dafür, dass es wieder so wird. Viele Betriebe haben ja noch Arbeit.
Ein zentrales Thema ist in Zeiten von Corona der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz …
Viele Kollegen und Kolleginnen arbeiten ganz normal weiter. Viele Arbeitsplätze eignen sich dabei nicht für das Homeoffice. Einen MTUMotor kann man nicht im eigenen Wohnzimmer montieren. Das wird eher sperrig. Das heißt, es ist wichtig, dass sie vor einer Infektion geschützt sind am Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber muss alles dafür tun. Wir haben in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten stark darauf gedrängt, dass man die Arbeitsplätze umgestaltet. Dass Abstandsregelungen eingehalten werden, dass Oberflächen gereinigt werden, wenn es einen Schichtwechsel gibt. Werkzeuge sollten nur von einem Kollegen
benutzt werden, oder nach Gebrauch gereinigt werden. Es sollen sich keine Schlangen bilden an der Stempeluhr, geklärt werden muss, wie es in den Umkleideräumen oder bei der Schichtübergabe läuft. Eine Schutzmaske zu tragen bei körperlicher Arbeit bringt eine erhöhte Belastung mit sich. Es Bedarf also weiterer Pausen. Für viele Fragen müssen Lösungen gefunden werden. Es gibt dabei noch einige Themen, die anstehen.
Versuchen die Betriebe die Krise zu nutzen, um Tarifverträge etwas zu lockern?
Der Versuch ist nicht strafbar, damit durchzukommen wäre strafbar (lacht). Wir erleben in den allermeisten Betrieben eine funktionierende
Sozialpartnerschaft. Es gibt aber natürlich immer Ausnahmen. In den Fällen haben wir schnell klar gemacht, dass die Coronakrise Mitbestimmung und Tarifverträge nicht außer Kraft setzt.
Sollte sich die Krise verschärfen, müssten wahrscheinlich auch die Gewerkschaften Zugeständnisse machen …
Wenn die Unternehmen Probleme bekommen, was Ertrag und Liquidität betrifft, sind wir gesprächsbereit, befristet etwas an den Tarifverträgen zu machen. Auch die Belegschaft leistet dann einen Beitrag, dass es dem Unternehmen besser geht. Bisher gibt es solche Fälle noch nicht, weil das Instrument der Kurzarbeit die Unternehmen von den Arbeitskosten entlastet. Wir würden uns in jedem Fall anschauen, ob die Beschäftigung bedroht ist oder ob man nur versucht, die Krise auszunutzen. Auf der anderen Seite geht es dann aber auch um eine Gegenleistung in Form von Beschäftigungssicherung.
Auch die Tarifverhandlungen standen zuletzt im Zeichen von Corona …
Wir waren bei Ausbruch der Krise in der Tarifrunde. Am 28. April wäre die Friedenspflicht abgelaufen. Wir haben uns aber mit den Arbeitgebern schnell verständigt, dass jetzt das Thema Kurzarbeit im Vordergrund steht. Wir haben gute Regelungen für die Aufzahlung auf das Kurzarbeitergeld des Staates gefunden. Die Endgeldrunde wurde auf Ende des Jahres vertagt. Ein Streik, um Forderungen durchzusetzen, ist ja im Moment kein Mittel – zum einen aus ökonomischen Gründen, zum anderen wegen des Versammlungsverbots.