Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Am Tropf der Lockerungen
Demütige Bundesliga setzt für Neustart auf eine Charmeoffensive und hofft auf die Politik
STUTTGART (SID/dpa/falx) - Die Entscheidung war dann doch naheliegend: „Weil Gottesdienste wieder erlaubt sind: DFB meldet neue Religion 'Fußball’ an und erklärt Stadien zu Kirchen“, vermeldete der „Postillon“. So einfach kann es sein und schon darf der Ball wieder in der Bundesliga rollen. Ganz so weit, wie es die Satireseite etwas blasphemisch und überspitzt ausdrückte, gehen die Fußballbosse hierzulande dann aber doch nicht, um ihren Willen von der Weiterführung des Profifußballs während der Corona-Krise durchzudrücken. Schwere Geschütze haben sie in den vergangenen Wochen jedoch zuhauf aufgefahren, immerhin geht es nicht nur um den Sport, sondern vor allem auch um das Wirtschaftssystem im Hintergrund. Ihrem Ziel das am Laufen zu halten, sind die Verantwortlichen nun schon recht nah.
Denn nachdem entscheidende Teile der Politik trotz großer Bedenken von zahlreichen Kritikern den Weg bereits für einen Saison-Neustart freigemacht haben, hat nun auch die Sportministerkonferenz (SMK) den Wiederbeginn mit Partien unter Ausschluss der Öffentlichkeit für Mitte/Ende Mai empfohlen.
„Die Deutsche Fußball Liga muss dabei strengste hygienische und medizinische Voraussetzungen schaffen, durchsetzen und mit geeigneten Maßnahmen überprüfen“, sagte die Bremer Sportsenatorin Stahman. Zudem ist die SMK nicht irgendwas. Diese Position soll die Grundlage für die Videokonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den 16 Länderchefs am Donnerstag sein.
Sollte die Kanzlerin im Einklang mit den Ministerpräsidenten den Empfehlungen der SMK und des Arbeitsministeriums folgen, rollt in der Bundesliga und der 2. Liga in wenigen Wochen wieder der Ball. Die Entscheidung über einen Wiederbeginn der seit März unterbrochenen Spielzeit wird aber voraussichtlich noch nicht am Donnerstag fallen.
Denn auch die milliardenschwere Bundesliga hängt am Tropf der Lockerungen, die die Politik nach dem Shutdown Stück für Stück ermöglicht. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer wollte sich nicht festlegen, ob darüber spätestens bei der für den 6. Mai geplanten Unterredung von Kanzlerin und Regierungschefs der Länder entschieden wird. „Für die Neubewertung ist das aktuelle Infektionsgeschehen entscheidend“, betonte Demmer. Sie sagte, für die Profis gelten „natürlich die gleichen Infektionsschutzregeln wie für alle anderen auch“. Werden beispielsweise die Ausgangsbeschränkungen bundesweit verlängert, verzögert sich auch die Rückkehr der Bundesligisten in ein reguläres Mannschaftstraining und damit wohl auch der Neustart der Saison, über den momentan für 16. oder 23. Mai spekuliert wird.
An den Vorarbeiten der Liga wird die Austragung der ausstehenden neun Spieltage wohl nicht scheitern. Nach Informationen des RedaktionsNetzwerkes Deutschland (RND) hat das Bundesarbeitsministerium dem DFL-Konzept zugestimmt. „Der Arbeitsschutz der Spieler, Trainer und
Betreuer kann bei vollständiger Umsetzung des Konzepts weitgehend sichergestellt werden“, zitiert das RND aus einer Mail von Staatssekretär Björn Böhning (SPD).
Wohlwollend wurde offenbar auch die demütige Haltung das Fußballs registriert. DFL-Boss Christian Seifert hatte zuletzt immer wieder das Primat der Politik betont und versprochen, dass sich der Profifußball zukünftig hinterfragen werde. „Die am stärksten wahrnehmbare Kritik findet sich derzeit an der Schnittstelle Sport und Wirtschaft. Da geht es um Spielergehälter, schamlos zur Schau gestellten Reichtum, Ablösesummen sowie Berater, die Millionen kassieren für einen Musterarbeitsvertrag, den sie bei uns aus dem Internet herunterladen können“, analysierte der DFL-Geschäftsführer in der „FAZ“.
Auch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge von Rekordmeister Bayern München sieht Redebedarf.
Sven Mislintat
„Wenn diese Krise vorbei ist, sind wir verpflichtet, uns damit seriös auseinanderzusetzen, dass man gewisse Dinge mit Augenmaß wieder zurückdreht“, sagte der 64-Jährige dem „Münchner Merkur“und auch aus Sicht von Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat meint: „Für mich persönlich gesprochen ist es ganz klar: Das Spiel selbst steht nicht mehr im Mittelpunkt, es fehlt dem Fußball an vielen Stellen an Glaubwürdigkeit und an Transparenz“, sagte der Sportdirektor des VfB Stuttgart. „Der Fußball hat sich zu weit von seiner Basis entfernt. Es wird teilweise vernachlässigt, was das Spiel vielen bedeutet.“
Kritische Worte, die vielerorts zu vernehmen sind. Auch aus Mündern derer, die überhaupt dafür gesorgt haben, dass eine Milliarden-Branche entstehen konnte, die teilweise lediglich einen Monat lang durchfinanziert ist. Allein muss der Fußball also noch nachweisen, dass die Worte mehr sind als Lippenbekenntnisse und nicht nur dazu dienen, die Debatte um den Sinn und Unsinn eines Neustarts der Bundesliga kleinzuhalten.
„Es fehlt dem Fußball an vielen Stellen an Glaubwürdigkeit und an Transparenz.“