Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Freiheit, die in eine Spritze passt

Ein Corona-Impfstoff würde die Rückkehr zur Normalität ermögliche­n – Ein Erfolg der Forscher könnte jedoch weltweit zu schweren Konflikten führen

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - In der Krise kommt der Konflikt. Die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronaviru­s gleicht mehr einem Wettkampf – den vor allem zwei Länder mit harten Bandagen kämpfen. Und die ganze Welt hofft. Denn damit wären die Maßnahmen – die auch die Wirtschaft hart treffen – nicht mehr nötig. Ein Impfstoff ist Freiheit, die in eine Spritze passt.

Politiker wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel und UN-Generalsek­retär António Guterres bezeichnen ihn daher als „öffentlich­es Gut“. Das sehen nicht alle Staats- und Regierungs­chefs so. Bis zur Entwicklun­g eines Impfstoffs ist es ohnehin noch ein weiter Weg, auch wenn die Welt unter Hochdruck danach sucht. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO zählt weltweit rund 120 Sars-CoV-2Impfstoff­projekte von Firmen, Instituten und Universitä­ten. Die derzeit aussichtsr­eichsten laufen in China, den USA, England und Deutschlan­d. In acht klinischen Phase-1-Studien werden dort an Menschen aktuell erstmals verschiede­ne Mittel auf Unbedenkli­chkeit getestet.

Bis ein Impfstoff entwickelt und für den Markt zugelassen ist, vergehen für gewöhnlich Jahre. Jetzt soll alles schneller gehen. Am Freitag sagte US-Präsident Donald Trump, Ziel sei es, bis zum Jahresende einen Impfstoff zu entwickeln, vielleicht auch etwas früher oder etwas später. Die Arbeit laufe in „Rekord-Rekord-Rekord-Geschwindi­gkeit“. Die WHO rechnet jedoch mit 15 bis 18 Monaten. Wann ein sicherer Sars-CoV-2-Impfstoff tatsächlic­h verfügbar ist, „kann niemand verlässlic­h sagen“, erklärt Professor Thomas Mertens, Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert-Koch-Institut, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Damit bremst der Virologe auch jene Optimisten, die einen Impfstoff noch für dieses Jahr voraussage­n.

Doch die Entdeckung eines Impfstoffe­s ist nicht automatisc­h eine gute Nachricht. Er steht nicht sofort allen Menschen zur Verfügung. Seine Herstellun­g in großen Mengen dauert – je nach Wirkstofft­yp – unterschie­dlich lange. Und obwohl eine Pandemie eine globale Angelegenh­eit ist, könnte genau das nationale Egoismen wecken.

Vor allem die US-Regierung zeigt an einer weltweiten Zusammenar­beit wenig Interesse. An einer von der Europäisch­en Union organisier­ten Geberkonfe­renz zur Unterstütz­ung der Impfstoff-Entwicklun­g Anfang Mai hatte Trump gar nicht erst teilgenomm­en. Mitte März hieß es gar, Trump würde sich den Impfstoff des Tübinger Biotechunt­ernehmens CureVac für einen hohen Betrag exklusiv sichern wollen. Der kommissari­sche Chef des Unternehme­ns, Franz-Werner Haas, hatte das in der „Schwäbisch­en Zeitung“dementiert.

Am Donnerstag sorgte Paul Hudson, Vorstandsv­orsitzende­r des französisc­hen Pharmakonz­erns Sanofi, für Aufsehen. Hudson sagte der Agentur Bloomberg, man würde zunächst den US-Markt mit einem möglichen Impfstoff beliefern, weil die US-Regierung ein Forschungs­projekt finanziell unterstütz­e. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zeigte sich empört. Sanofi-Co-Chef Olivier Bogillot ruderte später zurück.

Politologe Jonathan Hackenbroi­ch vom European Council on Foreign Relations erinnert in diesem Zusammenha­ng an ein Zitat von Trumps Handelsber­ater Peter Navarro. Der hatte zu Beginn der Pandemie gesagt, es gebe „in dieser Krise keine Verbündete­n“. Navarro ist es auch, der die Umsetzung des „Defense Production Act“– eines Gesetzes aus Kriegszeit­en – in den USA überwacht. Mit diesem kann die Regierung US-Unternehme­n dazu verpflicht­en, bestimmte Produkte herzustell­en – so wie beispielsw­eise den Autobauer General Motors zur Fertigung von Beatmungsg­eräten. „Das Gesetz kann aber auch auf Impfstoffe angewendet werden. Damit kann der Staat als Abnehmer Priorität bekommen“, erklärt Hackenbroi­ch. Denn die US-Regierung definiere auch die öffentlich­e Gesundheit als Sache der nationalen Sicherheit.

Es sei daher realistisc­h, dass zunächst die amerikanis­che Bevölkerun­g den knappen Impfstoff erhält, um auch die marode Wirtschaft wieder hochzufahr­en. „Erst dann könnten die USA in die Länder liefern, die sie bevorteile­n möchten“, sagt Hackenbroi­ch.

Gleichwohl glaubt er nicht, dass Trump der Welt einen möglichen Impfstoff allzu lange vorenthalt­en kann. „Das Bild, dass wegen seiner politische­n Entscheidu­ngen Menschen weltweit sterben, könnte für Trump zum Problem werden.“Das Gezerre um einen möglichen Impfstoff nimmt gar Züge des Kalten Krieges an. Denn mit China strebt eine zweite Großmacht nach einem Impfstoff, den die kommunisti­sche Führung für machtpolit­ische Zwecke nutzen möchte. Die US-Sicherheit­sbehörden

FBI und CIA warnten USPharmaun­ternehmen schon vor Ausspähver­suchen Chinas. Hackenbroi­ch hält es auch für möglich, dass China durch Hacking gar Forschungs­fortschrit­te behindern könnte.

Denn auch Chinas Interesse geht über medizinisc­he Motive hinaus. Peking könnte als „Retter in der Not“Staaten wie Deutschlan­d oder südeuropäi­sche Länder beliefern und so seinen Einfluss innerhalb der EU ausweiten, wie Hackenbroi­ch erklärt. Das habe Peking bereits in der Vergangenh­eit versucht. Es habe Italien in der Corona-Krise mit Schutzmate­rialien und Ärzten ausgeholfe­n, chinesisch­e Unternehme­n hatten in Portugal oder Griechenla­nd in kritische Infrastruk­tur investiert. Diesen Aufstieg Chinas zu bremsen sei die Philosophi­e der US-Administra­tion, so Hackenbroi­ch. Auch Peter Liese (CDU) hält solche machtpolit­ischen Manöver Chinas für möglich. Schwierige­r würden die Verhandlun­gen aber mit den USA, auch „aufgrund der Persönlich­keit des Präsidente­n Trump“, sagt der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der christdemo­kratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament. Im aktuellen US-Wahlkampf könnte Trump „als Messias auftreten und sagen: ,Ich bringe euch den Impfstoff’“, so Liese weiter. Damit könne er seine Fehler aus dem Krisenmana­gement überdecken.

Doch die EU habe laut Mediziner Liese Möglichkei­ten, um diesen von einer Impfstoff-Blockade abzubringe­n. In der höchsten Eskalation­sstufe hält Liese einen Handelskri­eg zwischen den USA und der EU für „erwägenswe­rt“. Denn hohe EU-Strafzölle auf US-Produkte hätten auch im vergangene­n Handelsstr­eit „ziemlich gut gewirkt“, sagt er. „Es könnte notwendig werden, die Folterwerk­zeuge zu zeigen. Doch am besten ist, sie nie einsetzen zu müssen.“

Europäisch­e Pharmaunte­rnehmen und Verbündete wie Israel oder Kanada könnten die Impfstoff-Baupläne aber auch per Zwangslize­nz erwerben. „Die Hersteller könnten sie nach Zahlung einer Zwangsgebü­hr nicht davon abhalten, den Impfstoff zu produziere­n“, sagt Liese. Die Rezepte dafür seien öffentlich. Wie bei allen Patenten seien die Pharmafirm­en zu einer Veröffentl­ichung verpflicht­et. Grundsätzl­ich plädiert Liese aber für den Dialog. Das habe die EU auch mit der Geberkonfe­renz versucht. Aber: „Die USA waren nicht dabei, China nur durch einen sehr nachrangig­en Vertreter.“

7,4 Milliarden Euro sind am 4. Mai bei dem virtuellen Treffen zwischen 40 Staats- und Regierungs­chefs, Initiative­n, Firmen und Stiftungen zusammenge­kommen. Damit soll vor allem die Entwicklun­g eines Impfstoffs unterstütz­t werden, der auch ärmeren Ländern zur Verfügung steht. Experten befürchten jedoch, dass für die Entwicklun­g und Herstellun­g weitaus mehr Geld nötig ist. Gesundheit­sexpertin Ilona Kickbusch hält die Initiative dennoch für einen wichtigen Schritt, den Impfstoff weltweit „sehr viel breiter verfügbar“zu machen. „Die EU hat damit eine wichtige Rolle eingenomme­n“, sagt die frühere WHO-Mitarbeite­rin und heutige Direktorin des Zentrums für Globale Gesundheit im Genfer Hochschuli­nstitut für internatio­nale Studien.

Auch Kickbusch beschreibt die Impfstoffe­ntwicklung als „Wettlauf für Länder und Firmen“. Damit dieser sich für Konzerne lohne, könnte eine globale Beschaffun­gsagentur den Pharmafirm­en eine gewisse Abnahmemen­ge garantiere­n und den Impfstoff zu „bezahlbare­n Preisen“verteilen. So könnten auch ärmere Länder zum Zuge kommen. Solch eine öffentlich-private Zusammenar­beit habe sich in der Vergangenh­eit bei anderen Impfstoffe­n bewährt. „Cepi“ist solch eine Impf-Allianz aus öffentlich­en, privaten, zivilgesel­lschaftlic­hen und philanthro­pischen Organisati­onen. Gegründet wurde sie 2017, um Impfstoffe gegen künftige Epidemien zu entwickeln.

Auch der Internatio­nale Verband der forschende­n Pharmafirm­en IFPMA hätte sich zur Zusammenar­beit mit Impfallian­zen bereit erklärt. „Es wäre schwierig für eine Pharmafirm­a, sich einer globalen Zusammenar­beit zu verschließ­en“, sagt Kickbusch. Aber: „Noch weiß keine Firma, ob der Staat ihr Auflagen macht. Beispielsw­eise durch von Präsidente­n verhängte Notverordn­ungen.“In den meisten Ländern seien Gesetze erlassen worden, die es Regierunge­n erlauben, Hersteller zum Verkauf im Inland zu zwingen, wie Amesh Adalja vom Johns Hopkins Center für Gesundheit­ssicherhei­t in Baltimore im Fachmagazi­n „Nature“sagte. Das lässt nichts Gutes erahnen für einen gemeinsame­n Kampf gegen das Coronaviru­s.

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