Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Galeria Karstadt Kaufhof will bis zu 80 Filialen schließen
ESSEN (dpa) - Bei der angeschlagenen Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof droht der Kahlschlag: Bis zu 80 der derzeit noch gut 170 Filialen des Konzerns könnten bei der anstehenden Sanierung geschlossen werden. Das sieht der erste Entwurf eines Sanierungskonzeptes für den kränkelnden Handelsriesen vor, der am Freitag dem Gesamtbetriebsrat und Gläubigervertretern vorgelegt wurde, wie es im Unternehmensumfeld hieß. Allerdings gibt es noch einen Hoffnungsschimmer: Die Zahl der bedrohten Filialen könne sich noch reduzieren, wenn die Vermieter und andere Beteiligte zu Zugeständnissen bereit seien, hieß es in informierten Kreisen. Welche Häuser genau von der Schließung bedroht sind, dazu gab es zunächst keine Angaben.
Nach Informationen der „Wirtschaftwoche“rechnen Insider mit dem Abbau von insgesamt rund 5000 Vollzeitstellen bei dem Unternehmen. Aktuell beschäftigt Galeria Karstadt Kaufhof noch rund 28 000 Mitarbeiter. Ein Sprecher des Warenhauskonzerns betonte, das Unternehmen wolle Spekulationen nicht kommentieren. Bei der Gewerkschaft Verdi sorgten die Pläne der Warenhaus-Sanierer für Empörung. Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger warf dem Konzern vor, einen „Kahlschlag auf Kosten der Beschäftigten“zu planen. „Das ist brutal! Es hat den Anschein, dass die Unternehmensleitung und der Eigentümer die Corona-Krise missbrauchen, um ihre ursprünglichen Planungen von Standortschließungen und Entlassungen doch noch umzusetzen“, sagte die Gewerkschafterin.
Marcel Kandlen frühstückt, zieht sich Hemd und Sakko an, schaltet seine privaten Handybenachrichtigungen stumm und geht ins Büro. Er hat es nicht weit, erzählt er, denn sein Büro ist ein kleines Arbeitszimmer bei ihm zu Hause in Albstadt auf der Schwäbischen Alb. Kandlen ist Versicherungsberater bei der Firma Inspect24 – und arbeitet wegen des Coronavirus im Homeoffice.
„Anfangs war es schwer, mit der Technik klarzukommen“, sagt Kandlen. Kundenkontakt von Angesicht zu Angesicht sei nur per Videochat möglich gewesen. Und auch eine Struktur und einen Arbeitsrhythmus daheim zu finden, habe zuerst Mühe gemacht. Hemd und Sakko und das Ausschalten der privaten Nachrichten hätten da geholfen, um von der Privatperson zum Angestellten zu wechseln. „So hatte ich das Gefühl, bei der Arbeit zu sein“, sagt er.
Millionen Menschen in Deutschland erleben in der Corona-Krise, was es heißt, von zu Hause aus zu arbeiten. Sie müssen sich, wie Marcel Kandlen, in der neuen Situation zurechtfinden. Der Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes vom Institut der Deutschen Wirtschaft spricht von einem Experiment, an dem das ganze Land teilnimmt. Lassen sich Arbeitsprozesse auf das Homeoffice umstellen? Welche Erfahrungen machen Arbeitnehmer? Drehen sie daheim Däumchen oder arbeiten sie gar zu viel? Und was bleibt nach der Krise? Werden künftig mehr Menschen im Homeoffice arbeiten?
Für rund ein Drittel der Erwerbstätigen sei das Arbeiten daheim eine völlig neue Situation, sagen Forscher der Universität Konstanz, die in einer Onlineumfrage 700 Beschäftigte – eine laut Studienautoren repräsentative Stichprobe der deutschen Erwerbsbevölkerung – befragt haben. Zwei Drittel der Studienteilnehmer waren mit ihrer neuen Arbeitssituation und den Ressourcen daheim zufrieden – ausreichend Platz, ungestörter Arbeitsplatz, gute Internetverbindung. Anders als manche Menschen befürchtet haben mögen, gaben 45 Prozent der Befragten an, dass sie im Homeoffice sehr produktiv sind – zumindest in der Eigenwahrnehmung. Auch gab die Mehrheit (77 Prozent) an, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Arbeit von zu Hause aus erleichtert würde. Allerdings fühlte sich auch ein Drittel der Befragten im Homeoffice sozial isoliert.
Sowohl die Autoren der Studie selbst als auch der Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes weisen darauf hin, dass solche Befragungen derzeit nur Momentaufnahmen sein können. „Die Fragen werden unter dem Eindruck des Shutdowns beantwortet“, sagt Stettes. Geschlossene Gaststätten, kaum Möglichkeiten, Menschen in der Freizeit zu treffen, Homeschooling und Kinderbetreuung. „Das ist ja kein Zustand, wie er normal im Homeoffice wäre“, erläutert Stettes. Es sei wichtig, zwischen dem Homeoffice mit und ohne Corona zu unterscheiden.
„Schon vor Corona haben wir feststellen können, dass die Menschen die Auflösung von beruflichen und privaten Grenzen total unterschiedlich erleben“, sagt
Stettes. „Die einen stört es nicht, andere wollen das gar nicht.“
Jetzt in der Krise werde gezwungenermaßen die eine oder andere Haltung zu dem Thema revidiert und neu überlegt, ob man mit der Arbeitsweise möglicherweise in Zukunft fortfahren wolle, führt Stettes aus. „Und das ist für sich genommen gut, weil man jetzt durch Corona eine neue Chance erhält, genau das zu erörtern, was Arbeitgeber und -nehmer sich in Bezug auf ihre Arbeitsorganisation wünschen“, sagt Stettes.
Stefan Ahlhaus ist Chef der Personalabteilung bei dem Medizintechnikunternehmen Karl Storz in Tuttlingen. Bei Karl Storz würden wegen Corona derzeit knapp 40 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten, berichtet er. Sehr schnell hätten sich die
Mitarbeidem ter mit Homeofgiert, fice arrangiert, „auch wenn viele Herausforderungen parallel auftraten, wie zum Beispiel die Kinderbetreuung oder Ähnliches“, sagt er. Karl Storz werde die Erfahrungen aus der Corona-Zeit nutzen, um sie für künftige Arbeitsmodelle zu berücksichtigen. „Es liegt auf der Hand, dass das Homeoffice künftig eine größere Rolle spielen wird. Wir gehen davon aus, dass bei Unternehmen, Mitarbeitern und Führungskräften hier ein Umdenken einsetzen wird, wie die Arbeit im Büro
und die Arbeit im Homeoffice bestmöglich kombiniert werden können“, sagt Ahlhaus.
Ein Sprecher des Automobilzulieferers ZF aus Friedrichshafen berichtet: „Wenn man ohnehin meist telefoniert oder sich virtuell trifft, geht das im Homeoffice ähnlich gut wie vor Ort.“Per Betriebsvereinbarung sei Homeoffice bei ZF schon vor Corona für bis zu 80 Stunden pro Monat möglich gewesen. Nun sei das Homeoffice nochmals ausgeweitet worden, die Beschäftigten können die komplette Arbeitszeit zu Hause verbringen. „Es zeigt sich aber, dass ein gewisses Maß an sozialer Interaktion für das Wohlbefinden, für das Führungsverhältnis und letztlich auch für das Arbeitsergebnis hilfreich sind“, fügt der Sprecher hinzu.
„Es muss sich in den einzelnen Betrieben ganz individuell herauskristallisieren, ob die Tätigkeitsstrukturen, Arbeitskulturen und die Präferenzen und Eignungen der Mitarbeiter mit dem Homeoffice kombinierbar sind“, sagt Arbeitsmarktexperte Stettes.
Wenn man sich dann für das Homeoffice entscheide, sei es wichtig, dass die Führungskraft klar kommuniziere, wann und wie der Mitarbeiter erreichbar sein muss und welche Ergebnisse von ihm erwartet werden. Danach sei es vor allem wichtig, darauf zu vertrauen, dass der Mitarbeiter die Aufgaben auch erledige. Der Arbeitnehmer auf der anderen Seite müsse bereit sein, um sich zu schützen, die klare Grenze zwischen Privatem und Beruflichem selbst zu setzen. „Die Führungskraft kann nicht verhindern, dass man Mails noch um 22 Uhr liest, da ist man selbst verantwortlich“, sagt Stettes. Andererseits ermögliche das Homeoffice eben auch die gewisse Flexibilität, dann doch mal abends zu arbeiten, anstatt morgens, weil man morgens die Kinder auf den Schulweg schicken muss. Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Verpflichtungen funktioniere beim Homeoffice oder bei mobilem Arbeiten oftmals besser.
Ob solche Erfahrungen, die die Menschen jetzt notgedrungen in der Krise sammeln, einen Wandel der deutschen Arbeitskultur einläuten, kann Stettes nicht prognostizieren. „Das muss man abwarten“, sagt er.
Einer der bei dieser Frage schon entschlossen scheint, ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Er will das Recht auf Arbeiten von zu Hause aus sogar gesetzlich verankern. „Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Sowohl Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes als auch viele Unternehmen haben eine eindeutige Haltung zu einem gesetzlich festgeschriebenen Recht auf Homeoffice. „Homeoffice ist ein individueller Abstimmungsprozess, der sich nach unserer Ansicht nur sehr schwer in ein Gesetz und in formalisierte Kriterien gießen lässt“, sagt Stefan Ahlhaus vom Medizintechnikunternehmen Karl Storz. Bei ZF gelte beim Homeoffice das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit: „Der Mitarbeiter muss nicht gegen seinen Willen von zu Hause aus arbeiten, darf es aber auch nicht gegen den Willen des Vorgesetzten.“In dieser Freiwilligkeit liege für ZF der Erfolgsfaktor. „Eine gesetzliche Regelung brächte keinen erkennbaren Zusatznutzen“, sagt der Sprecher. Auch Oliver Stettes sagt: „Wir brauchen kein Recht.“Homeoffice sei eben ein individueller Aushandlungsprozess, den jedes Unternehmen ernst nehmen sollte. Aber ob Homeoffice passt, sei eben je nach Person verschieden.
Versicherungsberater Marcel Kandlen jedenfalls kehrt in diesen Tagen wieder ins Büro zurück. Er freut sich darauf und weiß: „Wenn man irgendwann mal nicht die Möglichkeit haben sollte, ins Büro zu kommen, dann geht die Arbeit auch von zu Hause aus.“Die Gewissheit hat er jetzt. Dank Corona.