Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zwischen Häuptlingssohn und Volleyballprofi
Nehemiah Moté spielt weiter für den Bundesligisten VfB Friedrichshafen
lebten, wie Moté sagt, „ein ganz normales Leben“. Doch ungefähr 30 Jahre später, nach dem Tod des Großvaters, wurden sie von der Familie zurück nach Samoa geholt. Nehemiahs Vater sollte den Großvater beerben und „Tulafale“werden, eine Art Häuptling der traditionellen samoanischen Kultur. „Dieses kulturelle System existiert noch in den Dörfern. Es gibt inzwischen auch das Rechtssystem, das aus dem Westen nach Samoa gebracht wurde, aber es gibt eben auch noch die alte Kultur, in der es klare Hierarchien gibt“, sagt Moté und erklärt, was das für seinen Vater bedeutet. „Er schaut nach der Großfamilie, leitet sie in allen Lebensfragen an. Ihm gehören außerdem die Ländereien.“
Nur eine männliche Person pro Generation kann den Titel haben. Es muss ein Sohn des vorherigen Titelträgers sein. Die Chance besteht also, dass auch Nehemiah Moté irgendwann nach Samoa geholt wird, um die Großfamilie anzuführen. „Mein Vater entscheidet zwischen mir und meinen drei Brüdern, wer sein Nachfolger wird.“Vom Profivolleyballer zum samoanischen Häuptling? Im Moment kann er sich das nicht vorstellen. „Du verlässt im Prinzip dein ganzes Leben.“Trotzdem ist er stolz auf seine Herkunft. Nicht zuletzt deshalb entschied er sich vor einiger Zeit für ein samoanisches Tattoo. „Es war für mich ein Weg, meine Eltern zu ehren, ihnen zu danken.“
Moté wurde christlich erzogen. Bei einem Kirchenwettbewerb in Sydney spielte er zum ersten Mal Volleyball. Nur etwas mehr als zehn Jahre ist das jetzt her, hatte aber mit dem Volleyball, den er heute spielt, wenig zu tun. „Es war auf Gras. Wir haben mit Zweigen die Ecken und das Netz abgesteckt“, erzählt er und lacht. Moté lernte den Sport lieben. Trotzdem dauert es vier Jahre, bis er zum ersten Mal in einer Halle spielt. 2012, er ist 19, tritt er zum ersten Mal in einen Volleyballclub ein – die Karriere nimmt ihren Lauf. Ein Jahr später spielt er in der australischen Nationalmannschaft und bekommt ein Stipendium, um Vollzeit trainieren zu können. Ein weiteres Jahr später bekommt er einen Vertrag in der Bundesliga: beim TV Bühl. „Nie im Leben hätte ich gedacht, dass der Volleyball meine Karriere sein könnte. Es ist einfach so passiert.“
Von Bühl wechselt Moté nach Berlin. Doch er hat Pech, verletzt sich und muss ein Jahr pausieren. Ein halbes Jahr spielt er noch im schweizerischen Amriswil, dann bekommt er keinen Profivertrag mehr, schlägt sich stattdessen mit verschiedenen Jobs im australischen Melbourne durch, transportiert für einen Landschaftsgärtner Steine in einer Schubkarre, jobbt als Paketlieferant und als eine Art Hausmeister in einem Hotel. „Ich habe mich aber auch in dieser Zeit extrem gepusht, viel Sport gemacht. Ich habe gehofft, dass ich irgendwo einen Vertrag bekomme“, sagt er. Es wurde Friedrichshafen. „Es ging plötzlich direkt wieder von null auf 100. Vom Hausmeister zum Volleyballprofi. Es war verrückt.“
Die Stadt sei für ihn und seine Familie ein Volltreffer gewesen. „Wir lieben Friedrichshafen“, sagt er. „Es ist toll für die Familie, es gibt den See, Österreich ist um die Ecke. Der Verein ist toll, die Leute sind nett im Verein und auch in der Stadt.“Der Volleyball spielende Häuptlingssohn spaziert also noch ein weiteres Jahr in Flipflops durch Friedrichshafen. Egal bei welchem Wetter.