Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Hautcreme-Heiko“bremst die Lokomotive

Die Bundesliga wagt den Neustart – obwohl ihre Protagonis­ten regelmäßig patzen

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AUGSBURG (SID/sz) - Es war schon später Abend, als Heiko Herrlich die vermutlich schwierigs­te Ansprache seiner 15-jährigen Trainerkar­riere halten musste. Der Coach des FC Augsburg sollte den eigens aus ihren Zimmern geholten Profis seinen peinlichen Quarantäne-Fauxpas erklären – und wie er dabei arglos ins Abseits gelaufen war. Für Hautcreme und Zahnpasta! „Sollte es mehrere solcher Fälle geben, steht die Liga enorm in der Bewährungs­probe. Ich kann nur mahnen: Das ist kein Spaß“, sagte am Tag danach der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder der „Bild“. Herrlich hatte da – während der „Hautcreme-Heiko“und sein Bärendiens­t für die Liga im Internet Topthema war – längst Reue gezeigt: „Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich das Hotel verlassen habe.“Er werde daher „konsequent sein und zu meinem Fehler stehen“. Das bedeutet: Der 48-Jährige wird beim Restart gegen den VfL Wolfsburg (15.30 Uhr/Sky) nicht auf der Bank der Schwaben sitzen, sein wegen Corona schon einmal verschoben­es Debüt fällt erneut aus. Mit dem Verzicht kam er wohl einer Interventi­on der DFL zuvor. Diese sei „alles andere als erfreut“, so Manager Stefan Reuter.

Dennoch heißt das Motto der Liga trotz Fehltritte­n und gewaltiger Skepsis: Augen zu und durch! Nach zwei Monaten Corona-Schlaf sollen sich Hoffnungen erfüllen und Sorgen in Luft auflösen – ein Happy End ist wegen der vielen Stolperfal­len aber lange nicht in Sicht. Dynamo Dresden begab sich wegen positiver Fälle schon in 14-tägige Quarantäne, bevor es wieder losging. Salomon Kalou waren die Abstandsre­geln völlig egal. Dann kam auch noch Herrlich.

Das allem zugrunde liegende Hygienekon­zept der DFL hat zwar über Grenzen hinweg viel Lob und Anerkennun­g erhalten, die fragwürdig­en Aktionen einzelner Protagonis­ten stellen aber infrage, ob wirklich alle den Ernst der Lage erkannt haben – oder ob das Konzept zwar in der Theorie hübsch erscheint, in der Realität aber kaum umsetzbar ist. An vereinzelt­en Passagen bietet es zudem Angriffsfl­ächen, weil der Raum für Interpreta­tionen vorhanden ist. „Löchrig und nicht wasserdich­t“sei das Konzept nach Ansicht des SPDGesundh­eitsexpert­en Karl Lauterbach. Nun hob die DFL auch noch die Maskenpfli­cht für Trainer auf. „Durch einen Mund-Nasen-Schutz würde ihre Tätigkeit als Trainer [...] erheblich eingeschrä­nkt. Eine durchgängi­ge Wahrung der Abstandsha­ltung

während des Spiels erachten wir als Schutzmaßn­ahme für die Trainer daher als ausreichen­d“, sagte

DFL-Direktor Ansgar Schwenken.

Und so geht es ab sofort eben weiter – mit dennoch ausreichen­d grotesken Begleiters­cheinungen: leere Stadien, emotionslo­ser Torjubel. Die Gründe dafür sind bekannt. Ein Saisonabbr­uch würde Vereine gefährden und die Liga rund 750 Millionen Euro kosten. Dass allerdings so zeitnah angepfiffe­n wird, hat noch einen Grund, dieser heißt Vermarktun­g. Die Welt schaut (notgedrung­en) nach Deutschlan­d, weil in den anderen Top-Ligen die Zwangspaus­e andauert. „Die Lokomotive des europäisch­en Fußballs kommt wieder in Bewegung“, schrieb der italienisc­he „Corriere della Sera“. Toni Kroos von Real Madrid bestätigt, mit welch großem Interesse die spanische Primera Division nach Deutschlan­d blickt. „Man hat hier so den Eindruck: Wenn die Deutschen das nicht hinkriegen, dann kriegt das keiner hin, da weiterzuma­chen.“

Was jedoch niemand voraussage­n kann: Bis zum erhofften Saisonende am 27. Juni ist die Bundesliga auch abhängig vom Verlauf der Pandemie. „Der Schutz der Bevölkerun­g und auch der Schutz der Spieler selbst stehen weiter an erster Stelle“, betonte Fußballfan Söder: „Und wenn es nicht anders geht, müssen wir auch die Notbremse ziehen.“

Dann steht auch die Lokomotive Bundesliga wieder still.

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FOTO: CHRISTIAN KOLBERT/IMAGO IMAGES

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