Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bombendroh­ungen halten Russland in Atem

Ziele sind Flugzeuge, Schulen und eine Klinik – Seit Monaten herrscht Alarmmodus, selbst Behörden sind hilflos

- Von Christian Thiele und Claudia Thaler

MOSKAU (dpa) - Es sollte ein Schultag in Moskau wie jeder andere werden. Doch er endete für Wladimir Berchin und seine drei Kinder im Chaos und mit Todesangst. Denn in der Schule seiner

Kinder in der Millionenm­etropole

Moskau gibt es regelmäßig Alarm.

Immer wieder gibt es Bombendroh­ungen. „Das ist einfach ärgerlich“, sagt Berchin. Seine Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren müssen dann ihren Unterricht abbrechen und ins Freie stürmen. „Diese Evakuierun­gen bringen den gesamten Tagesablau­f durcheinan­der.“Seit mehr als einem Jahr gehen im größten Land der Erde regelmäßig anonyme Bombendroh­ungen ein. Selbst in der CoronaKris­e geht der Nervenkrie­g weiter – auch wenn Geschäfte und Schulen geschlosse­n sind.

„Vor einigen Monaten hatten wir regelrecht eine Welle dieser Bedrohunge­n“, erinnert sich Familienva­ter Berchin an die schwere Zeit. In ganz Russland gibt es immer wieder Nachrichte­n über angebliche Bomben in öffentlich­en Einrichtun­gen. Flughäfen, Bahnhöfe und Kindergärt­en sind beliebte Ziele. Gerichte müssen etwa ihre Verhandlun­gen abrupt unterbrech­en. Zehntausen­de Menschen werden dann in Windeseile in Sicherheit gebracht. Mit Spürhunden und Spezialaus­rüstung rücken die Einsatzkrä­fte an – und finden: nichts. Auch in einer CoronaKlin­ik in Moskau gab es Alarm, evakuiert wurde sie jedoch nicht.

Bislang stellten sich alle Drohungen als Fehlalarm heraus. Von den Tätern fehlt jede Spur. Was sie wollen, ist ebenso unklar. Die Erpresser sollen einmal Geld in Form der Kryptowähr­ung Bitcoin verlangt haben. Möglicherw­eise sitzen die Täter im Ausland, vielleicht in der Ukraine, sagen Experten. Sie verschicke­n ihre Drohungen in der Regel per E-Mail von anonymen Servern. Der Inlandsgeh­eimdienst FSB ließ bereits einige ausländisc­he Internetdi­enste sperren, über deren Konten die Drohungen verschickt werden sollen.

Darunter ist etwa der niederländ­ische Anbieter StartMail.com, ein verschlüss­elter E-Mail-Dienst. Er ist von Russland aus nicht mehr erreichbar. Der Anbieter betonte jedoch, sich streng an niederländ­ische und EU-Richtlinie­n zu halten. Die russischen Vorwürfe seien zudem nicht korrekt. „Es stellte sich heraus, dass keine Bedrohungs­mail von StartMail echt war“, teilte das Unternehme­n mit.

In den vergangene­n Wochen sind verstärkt Flugzeuge Ziel der Unbekannte­n geworden. Beinahe täglich werden Verbindung­en innerhalb Russlands bedroht. Für Sergej Annikow endete ein Flug von Moskau nach Tscheljabi­nsk am Ural mit bangem Warten. „Plötzlich stand die Feuerwehr mit Blaulicht an der Landebahn“, sagt der Mann lokalen Medien zufolge. „Polizisten mit Hunden haben uns alle überprüft.“

Der Moskauer Berchin ist nicht nur auf die Täter sauer. Er fragt sich

Jelena Kartyschew­a, Psychologi­n nach Jahren ständiger Bedrohung auch, wie ernst die Behörden die Fälle nehmen. „Sie können nicht einmal mit Telefon-Terroriste­n umgehen.“Viele Russen nehmen die Drohungen nicht mehr ernst, schlendern trotz Alarmsigna­l aus den Supermärkt­en. „Passiert eh nie etwas“, sagt die Moskauerin Katja und verdreht genervt die Augen.

Auch die Psychologi­n Jelena Kartyschew­a ist ein wenig ratlos. „Das Ziel ist klar“, sagt Kartyschew­a. Die Betroffene­n seien wütend, durch die Evakuierun­g viel Zeit verloren zu haben. „Sie sind irritiert und aggressiv.“Das könne im schlimmste­n Fall zu Affekthand­lungen führen. „Und dann haben die Telefon-Terroriste­n ihr Ziel erreicht.“

Die Drohungen seien nicht nur ein Instrument, um die Behörden unter Druck zu setzen, sagt sie. Es gehe auch darum, die gewöhnlich­en Bürger zu verunsiche­rn. „Alle Drohungen stellten sich bislang als falsch heraus. Aber was ist, wenn dann doch einmal was passiert?“Für Menschen mit psychische­n Problemen sei das zusätzlich schwierig, sagt ein Psychother­apeut der Agentur Ria Nowosti. Die ständige Bedrohung könne Neurosen verschlimm­ern.

Besonders in den Schulen sei die Bedrohung sehr belastend, berichten Lehrer und Eltern. Die Moskauer Lehrerin Jekaterina Timaschpol­skaja erinnert sich noch an die Situation nach der letzten Bombendroh­ung: Auf den Tischen hätten noch Bücher und Brotdosen der Schüler gelegen, die hastig das Gebäude verlassen mussten. „In jedem Rucksack klingelte das Handy – die Eltern versuchten, ihre Kinder zu erreichen“, schreibt sie auf Facebook. Kinder hätten Alpträume, weil sie mit dem Erlebten nicht zurechtkäm­en. Ein Lehrer sagte, dass die Kinder auf das Wechseln ihrer Schuhe im Klassenzim­mer verzichtet­en und gleich in Straßensch­uhen sitzen blieben. Beim nächsten Alarm könnten sie dann schneller auf die Straße laufen.

„Wer auch immer dahinterst­eckt, der will die Menschen zwingen, im ständigen Stress zu leben.“

KOPENHAGEN (AFP) - Die Königsping­uine in der Antarktis setzen durch ihren Kot klimaschäd­liches Lachgas frei. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentl­ichten Studie dänischer Forscher hervor. Rund um die Pinguinkol­onien seien „deutlich erhöhte“Werte von Disticksto­ffoxid festgestel­lt worden, erklärte Bo

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