Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Licht aus, Film ab – doch die Ungewissheit bleibt
Kinobetreiber bemängeln zögerliche Informationen über die Auflagen – Blockbuster werden zunächst ausbleiben
RAVENSBURG - Auf das Erlebnis, sich mit vielen anderen in einem Saal auf die Reise in eine imaginäre Welt zu begeben, mussten Kinoliebhaber schon mehr als zwei Monate verzichten. In Baden-Württemberg hat das Warten am Pfingstmontag, 1. Juni, ein Ende. Ab diesem Datum dürfen Kinobesitzer wieder öffnen – was aber nicht alle tun. Manche scheuen den baldigen Neustart: Aufwendige Hygienemaßnahmen, weniger Besucher durch große Abstände in den Sitzreihen und fehlende Blockbuster schrecken ab. „Schwierig wird es für uns alle, ob fürs Programmkino oder die großen Kinos. Aber wir müssen einfach wieder Vertrauen gewinnen und die Kinos für unsere Besucher sicher machen“, sagt Roman Sailer, der zusammen mit seinem Vater Roland Sailer in Ulm und in NeuUlm vier Kinos betreibt, darunter das Cineplex und das Mephisto.
Eine Sache ärgert alle Kinobetreiber: Länger ist nun schon bekannt, dass ab dem 1. Juni Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen in einem Raum stattfinden dürfen – was sich in den meisten Kinos mit ausreichend Abstand umsetzen ließe. Doch die endgültigen Vorgaben des Landes Baden-Württemberg lassen auf sich warten. Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“beim Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Stuttgart wurde die Hundert-Personen-Regelung bestätigt. Doch letztendlich entscheidet das Kabinett erst am kommenden Dienstag über die endgültigen Regelungen. Für viele Betreiber ist dies ein kurzer Vorlauf, für manche zu kurz.
Roman Sailer ist gleich doppelt gefordert, denn seine drei Progammkinos
Mephisto, Obscura und Lichtburg sind in Ulm, also in Baden-Württemberg. Seinen Hauptumsatz aber generiert er mit 90 Prozent in seinem Cineplex Dietrich Theater in NeuUlm, in Bayern also. Aber die bayerische Landesregierung hat bislang noch keinen Termin für einen Neubeginn der Kinos genannt. Das zermürbt.
Auch Detlef Rabe würde sich mehr Planungssicherheit wünschen. Rabe ist Inhaber der Cineplex-Kinos in Konstanz und Friedrichshafen. Die Schließungen der Kinos hat er hingenommen, ist aber der Ansicht, dass sie längst wieder für das Publikum geöffnet sein könnten. „In jedem Supermarkt ist es gefährlicher als in einem Kinosaal. Die Leute können auf Abstand sitzen, alle schauen nach vorne und sind im Normalfall ruhig“, so Rabe. Sailer schließt sich der Kritik an. Die drei Verbände, die bundesweit die Interessen der Kinobetreiber vertreten, der HDF (Hauptverband Deutscher Filmtheater), die AG Kino und der Bundesverband kommunale Filmarbeit, hätten bereits Ende April ein Hygienekonzept vorgestellt. Zur gleichen Zeit wie die Gaststätten-Verbände und die Kirchen. Doch deren Lobbys scheinen größeren Einfluss zu haben, so seine Interpretation.
„Manchmal ist es nicht unbedingt ein Segen, der Branche der Kulturbetriebe zugeordnet zu werden. Denn Fördergelder fließen zwar für die kleinen Programmkinos, nicht aber für die großen Betriebe“, sagt Sailer. Doch so richtig beklagen möchte er sich nicht. Aus München hat er für sein Cineplex Soforthilfe erhalten, aus Stuttgart kamen Gelder aus einem Förderprogramm für seine Filmkunsthäuser.
Gallion Anastassiades, einer der Geschäftsführer des Ravensburger Filmtheaters Burg und des Kinozentrums am Frauentor, ist das alles zu kurzfristig. Voraussichtlich werde er seine Kinos frühestens am 4. Juni öffnen. Ohne genauen Plan möchte er seine Angestellten nicht aus der Kurzarbeit holen. Schließlich hätten örtliche Behörden wie die Gesundheitsämter auch noch ein Wort mitzureden. Denn zum Teil reicht es eben nicht, die nun schon fast vertrauten Bedingungen für einen Ausflug ins soziale Leben zu erfüllen, die da wären: Mundschutz, Desinfektionsmittel, Tickets online buchen, freie Plätze zwischen einzelnen Besuchern oder Familien, das Hinterlassen von Name und Adresse ... und so weiter. An diese lästigen, aber machbaren Einschränkungen werden sich sowohl Kinobetreiber als auch die Besucher gewöhnen müssen. Aber werden auch Plexiglaswände vorgeschrieben? Wie sieht es mit Popcorn und Getränken aus?
Auch das Weingartener Programmkino Linse, von einem Verein geführt, sieht sich vor großen Problemen. Sollen alle wahrscheinlichen Vorschriften befolgt werden, sei das ohne finanzielle Einbußen nicht machbar, so die Pressesprecherin Bettina Buhl. Für ein Kino wie die Linse könne das wirtschaftlich fatal werden.
Aber das ist nur ein Problem, mit dem die Kinobesitzer kämpfen. Sind die Kinos wieder geöffnet, werden die großen Filmstarts erst mal auf sich warten lassen. „Kein Verleih schickt einen Blockbuster ins Rennen, solange nicht die wichtigsten Bundesländer ihre Kinos öffnen“, sagt Detlef Rabe. Siehe Bayern und Berlin. Er hätte, wie die meisten anderen Betreiber, eine bundesweit einheitliche Kinoöffnung bevorzugt. Aber, so Roman Sailer: „Wir stehen zu unserem Produkt.“Und schon deshalb werde er seine Ulmer Kinos öffnen.
Wie aber wird das Programm aussehen? „Zunächst werden die Filme gezeigt, die im März am Start waren und dann gar nicht oder nur kurz gelaufen sind“, so Sailer. Auch mehrere Dokumentationen wurden von Filmverleihs für Anfang Juni angekündigt. „Wir müssen den Verleihfirmen signalisieren, dass sie auch ihre großen Filme wieder starten können. Und das, obwohl mir klar ist, dass uns nicht die Bude eingerannt wird.“Auch in normalen Zeiten sei ein Kinosaal meist nicht zu hundert Prozent ausgebucht. Und mit 25 bis 30 Prozent Auslastung könne er zunächst leben. Corona macht bescheiden.