Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kampf dem Wohlstandsmüll: So sah das 1970 aus
SZ-Serie „Vor 50 Jahren“schwenkt zurück zur ersten Waldputzete in Kehlen – 30 Schüler machten den Anfang
KEHLEN/MECKENBEUREN - Schon vor 50 Jahren haben sich Bürger an der Schussen über Wohlstandsmüll geärgert – damals vor allem über jenen, der im Wald landete. Im Mai 1970 taten Schüler und Erwachsene in Kehlen etwas dagegen: mit der ersten Waldputzete. Auch in der 1972 fusionierten Gemeinde Meckenbeuren sollten sich über die Jahre immer wieder Engagierte finden, die ihre Heimat sauber halten wollen.
„Wohlstandsmüll überschwemmt unsere Wälder“, unter diesem Titel berichtete die SZ am 23. Mai 1970 davon, dass das Forstamt Tettnang die Initiative ergriff. Im Rundschreiben an alle Bürgermeister im damaligen Kreis Tettnang weist es auf die Zustände hin: „Die Verschmutzung der Wädler hat in diesem Frühjahr ein derart verheerendes Ausmaß angenommen, dass der Erholunggscharakter der vielgerühmten Landschaft am Bodensee durch Müllablagerungen geradezu in Frage gestellt ist.“
Im europäischen Naturschutzjahr 1970 regt das Forstamt Aktionen zur Säuberung an – sei es doch widersinnig, „wenn sich der Grüngürtel um Städte und Gemeinden langsam aber sicher zum großen Abfallhaufen entwickeln“würde.
Als übles Beispiel wird eine Waldecke bei Großbuch unmittelbar am Flugplatz genannt. „Hier ist so ziemlich alles, was unsere Konsumgesellschaft an Unnützem auszuscheiden vermag, auf einer fast hektargroßen Fläche zu Haufen getürmt und verstreut“, steht in der SZ. „Ausgerechnet neben einer Eiche, in deren Rinde das Blechschild ,Schutt abladen verboten’ längst eingewachsen ist, vergammelt das ausgeschlachtete Wrack eines Personenwagens“, so die anschaulich-unschöne Beschreibung, die sich auf stinkenden Unrat, Spritzmitteleimer, einen Herd, Ofenrohre und vieles mehr bezieht.
Auf Widerhall stieß der Appell als erstes in Ailingen und Kehlen. Für den auf 30. Mai anberaumten Einsatz von Schülern und Lehrern rät die Forstverwaltung: Auch die Hilfe der Vereine brauche es sowie von Landwirten und Unternehmern, die Traktoren und Fahrzeuge stellen mögen.
Vielsagend, was das Forstamt für eine durchschlagende Besserung der Situation empfiehlt: „Erziehung des Bürgers zu Sauberkeit, empfindliche Strafen für hartnäckige Müllsünder, finanzielles Engagement der Gemeinden bei den Putzeten und nicht zuletzt: eine andere Regelung bei Erhebung der Müllabfuhrgebühren.“
Kurz vor der Putzete ist von 30 Schülern der Grund- und Haupschule Kehlen die Rede, die mitmachen wollen. Federführend sind Rektor Hans-Jürgen Müller und die Elternbeiratsvorsitzende Fanny Schuldes. Weitere Erwachsene würden sich beteiligen wollen, darunter Mitglieder
von Gemeinderat und Jagdgesellschaft. Noch gesucht wurden Fahrzeuge, zudem hieß es: „Freiwillige Helfer mögen sich am Samstag um 7.30 Uhr bei der Festhalle Kehlen einfinden und Geräte wie Eimer, Schaufeln, Gabeln, Gummistiefel und Gummihandschuhe mitbringen.“
Ein Nachbericht ließ sich in der SZ leider nicht finden. Doch wurden die Putzeten beibehalten, ergänzt ums Engagement des Angelsportvereins Meckenbeuren-Kehlen für die Reinhaltung der Gewässer. Gemeinde und ASV laden daher seit Jahrzehnten zusammen im Frühjahr zur Wald-, und Schussenputzete ein, die 2020 coronabedingt entfiel. In ihren besten Zeiten hatte sie 80 bis 100 Helfer, die ehrenamtlich um die zwei Tonnen Müll sammelten und entsorgten. An ihr teilzunehmen, das hatte sich auch jene Gruppe von Jugendlichen vorgenommen, die sich im Jahr 2019 als Müllsammler einen Namen machten. Vom Jugendcafé (federführend seitens der Gemeinde: Nils Kaeding vom Jugendreferat) aus setzte sich der Trupp von bis zu 15 Helfern lokale Ziele, die er entrümpelte. Wie Kaeding erzählt, geht die Initiative, die nach Corona wieder aufleben soll, auf eine Mutter zurück, die ein Kind an der Grundschule hat.