Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Gewalt gegen Polizei und Retter wird schneller bestraft
Seit einem Jahr priorisiert die Staatsanwaltschaft Kempten solche Fälle – Lindau ist ein Brennpunkt
LINDAU - Sie werden angespuckt und beschimpft, geschlagen und getreten. Seit Jahren nimmt die Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte in Bayern zu, die Stadt Lindau gehört zu den Brennpunkten in bayerisch Schwaben. Nun haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft zusammengetan. Damit die Täter schneller bestraft werden.
Ein 39-Jähriger randaliert in seiner Wohnung, die verängstigte Ehefrau ruft die Polizei. Als die beiden Streifen eintreffen, werden sie vom betrunkenen Ehemann sofort beschimpft, wie Kriminaldirektor Michael Haber erzählt. Außerdem soll der Mann den Beamten den Mittelfinger entgegengestreckt haben. Als sie den 39-Jährigen festnehmen, schlägt er wild um sich, zwei Polizisten werden dabei verletzt.
Fälle wie dieser gehören zum Alltag eines Beamten des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, zu dem auch Lindau gehört. Vier von fünf seiner Kollegen seien schon beleidigt und angegriffen worden, erzählt Michael Haber bei einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag in Kempten. Insgesamt 600 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte gab es im Bereich des Präsidiums im vergangenen Jahr, die Stadt Lindau gehöre mit Günzburg und Kempten zu den Brennpunkten. „Der Trend zur Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte ist ungebrochen“, sagt Haber. Und das, obwohl die Strafen in diesem Bereich erst vor drei Jahren verschärft wurden.
Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft Kempten setzt die Polizei nun auf Abschreckung. Gewaltdelikte wie die des 39-jährigen Ehemanns landen seit einem Jahr ausschließlich auf dem Schreibtisch von Staatsanwältin Julia Knauer, die sie mit höchster Priorität bearbeitet. In der Regel sind solche Fälle nun in weniger als sechs Monaten abgeschlossen, inklusive Gerichtsurteil. Der 39Jährige wurde zum Beispiel bereits wenige Monate nach der Tat zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen verurteilt. „Früher ging das viel länger“, sagt Julia Knauer. Das Projekt läuft im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West bereits seit etwa einem Jahr, auch in anderen Präsidiumsbereichen gibt es solche Konzepte der priorisierten Bearbeitung bereits. „Es geht da auch um Solidarität gegenüber den Opfern“, sagt Oberstaatsanwalt Hanspeter Zweng. „Es ist nicht einfach, jeden Tag rauszufahren in dem Wissen, dass man vielleicht geschlagen, beschimpft und bespuckt wird.“
Neben Julia Knauer bei der Staatsanwaltschaft gibt es auch in den unterschiedlichen Polizeiinspektionen Beamte, die sich auf Fälle von Gewalt gegen die eigenen Kollegen, Feuerwehrleute oder Rettungskräfte spezialisiert haben. „Früher hat das ein
Kollege im Schichtdienst bearbeitet, jetzt gibt es einen festen Beamten, der die Sachbearbeitung im Tagdienst übernimmt und dranbleiben kann“, erklärt Michael Haber. Außerdem seien Kollegen dazu angehalten, ihre Zeugenaussagen so schnell wie möglich zu machen. Das führe dann dazu, dass die Polizei ihre Ermittlungen in solchen Fällen nach 14 Tagen und nicht, wie früher, nach zwölf Wochen abschließt.
Ein großer Vorteil des priorisierten Verfahrens seien die kurzen Dienstwege. Der zuständige Polizist ruft in der Regel einfach direkt bei Julia Knauer an. „Sie kennen mich alle und haben meine Telefonnummer“, sagt die Staatsanwältin. Gemeinsam mit den Polizisten entscheidet sie dann, ob es sich um einen priorisierten Fall handelt oder nicht.
Kriterien dafür seien unter anderem, dass Beamte oder Retter angegriffen wurden, die Tat im öffentlichen Raum stattfand, der Täter eine
Waffe bei sich hatte, Wiederholungstäter ist oder in einer Gruppe auftrat. „Unser Ziel ist ein hoher Standard bei der Sachbearbeitung, und indem wir die Staatsanwaltschaft früh einbinden, folgt die Strafe meist auf den Fuß“, sagt Michael Haber.
Natürlich wäre eine solche Vorgehensweise auch für andere Bereiche wünschenswert, räumt Julia Knauer ein. „Es ist aber einfach nicht möglich, das für alle zu machen“, sagt sie. „Hier bietet es sich an, weil die Fälle alle ähnlich sind.“Gewaltdelikte gegen Retter finden meist am Wochenende und nachts statt, zwei Drittel der Tatverdächtigen stehen unter Alkoholoder Drogeneinfluss, einer Beleidigung folgt nicht immer, aber oft Widerstand oder ein Angriff.
Bei dem Projekt gehe es nicht darum, Täter zu benachteiligen oder Opfer zu bevorzugen, betont Oberstaatsanwalt Hanspeter Zweng. Die Akten, die letztlich beim Richter landeten, seien nicht als priorisiert gekennzeichnet. „Die Gerichte haben nichts damit zu tun, es geht nicht um eine Sonderjustiz.“Doch dass es zunehmend zu Gewalt gegen diejenigen komme, die der Bevölkerung helfen, da sind sich alle einig: Das sei schlicht nicht akzeptabel.