Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Jesus ist die „Antwort auf die Krise des Glaubens“
Stiftungsvorstand und Buchautor Brock stellt den Nazarener vor als „Mensch und Leben, dem ich folgen möchte“
LIEBENAU - Seit rund 30 Jahren reist Michael H. F. Brock nach Israel, zuletzt tat er dies sieben Mal mit Gruppen aus der Stiftung Liebenau. Ihnen ist er als Teil des Vorstands-Trios ein Begriff. Vermutlich aber auch als Buchautor, der sich in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Bibel intensiv auf Jesu Spuren gemacht hat. Dessen tatsächlichem Leben im Heiligen Land nachzuforschen – unter diesem Ansatz nimmt Brock die Leser auf den 160 Seiten von „Über Wasser gehen – Jesus von Nazaret. Antwort auf die Krise des Glaubens“mit.
„Mosaiksteine der Welt vor 2000 Jahren“tauchen dabei laut Klappentext auf. Brock fördert sie zutage, indem er Dialoge mit Teilnehmern aus der Reisegruppe vom Berufsbildungswerk Adolf Aich nachzeichnet. Vor allem aber übermittelt er sein Verständnis, wie Jesus gelebt haben dürfte - der Sohn eines Zimmermanns aus Nazaret, der vermutlich ein Steinmetz war.
Zimmermann? Steinmetz? Brock scheut Brüche zum offiziell-katholischen Jesus-Bild nicht, das er von jeher als Christus-Bild empfand, das einen „verobjektivierten Glauben“begründet. „Wir möchten verstehen, wie Jesus gelebt hat, was er als junger Mann empfunden hat, was er an Kultur und Religion erlebt hat.“
Dieser historiografischen Maxime, wie er sie im Buch formuliert, geht er unerbittlich nach. Sein Instrumentarium: Archäologie und Texte, mit denen sich besagte Mosaiksteine offenbaren. Und damit – fernab von Kirche, Glaube und Tradition – das Bild eines Menschen.
Dass Jesu Vater Josef eher Steinmetz als Zimmermann war (und womöglich auch Jesus), ist für den Autor eine der Neben-Erkenntnisse, die genaueres Hinschauen nahelegt -wie auch bei der Übersetzung, durch die „Dein Glaube hat dir geholfen“zu „Dein Vertrauen hat dir geholfen“wird, und damit zu etwas grundlegend Anderem.
Als „Handwerker“wird Josef bezeichnet, was oft fälschlich als „Zimmermann“übersetzt wurde. Nur: Holz gab es damals zur Verarbeitung kaum, eher schon Steine, aus denen beispielsweise die Dächer gedeckt waren.
Einen neuerlichen Schub habe die Archäologie in Israel in den letzten 20 Jahren erhalten, erzählt Michael H.F. Brock im Gespräch mit der SZ. Das Ziel: Zeitbelege für die Königsmythen um David zu finden. Nur: „Was sich bestimmte Archäologen gewünscht haben, nämlich eine Bestätigung der biblischen Aussagen, ist allerdings bis heute nicht eingetroffen“, fasst Brock im Kapitel „Meggido – Steine sprechen Geschichte“zusammen.
Als gesichert nimmt Brock all das an, was in den Evangelien als unvorteilhaft für Jesus erscheint. Beispiel: die 30 Jahre in Nazaret, denn: „Was kann aus Nazaret schon Gutes kommen?“, wie es bei Johannes heißt.
Die Wende Jesu dann nach Jahren der Entwicklung und des Erwachsenwerdens -- sie ist für uns heute nicht auf Anhieb ersichtlich. „Ihm wurde der Himmel als geöffnet offenbart. Das ist die Vision“– was Brock auf Seite 60 zusammenfasst, bedarf der Erklärung. Die kommt mit Lukas 10,18: „Ich sah den Satan aus dem Himmel stürzen.“Der Satan war im jüdischen Glauben ein Engel und zugleich der Staatsanwalt des Himmels. Ihm oblag es, den Menschen zu beurteilen, ob er nach den Weisungen Gottes gelebt hatte. Und nun, da der Himmel in Jesu Vision allen offen steht und es keines Staatsanwalts und keiner Prüfung bedarf – da tritt eine „unvergleichliche Befreiung im Verhältnis der Menschen zu Gott und untereinander“ein.
Die „Wende“eben, die Jesus zu verkünden wusste. „Du bist geliebt, weil du es bist“– diese unbedingte Zusage, die alles andere zweitrangig werden lässt, ist für Brock Jesu Vermächtnis.
Das schärft den Blick für Fehlentwicklungen – etwa dass Frauen bis heute in der katholischen Kirche die Übertragung der Priesterwürde verweigert wird, durch jene Handauflegung, die Jesu vorgelebt und zur Nachfolge empfohlen hat. Später im Buch wird Brock schreiben: „Ich glaube, dass den menschlichen Jesus die Kirche einfach nie interessiert hat.“
Stattdessen vermutet er: „Vielleicht haben wir über die Jahrhunderte zu vieles glauben müssen“in dieser Papstkirche „voller Hierarchien und einem Machtgefüge, das die Wahrheit bewahren möchte, statt in den Herausforderungen der Wirklichkeit Antwort auf die Fragen der Menschen zu geben.“
Die entscheidende Frage ist demzufolge auch nicht, ob Jesus Gottes Sohn war -- was Brock in dem Sinne bejaht, „wie wir Töchter und Söhne des lebendigen Gottes sein dürfen“. Und auch nicht, „wer gehört zu wem, sondern wer braucht wen im Augenblick der Not“. Was der Barmherzigkeit einen gänzlich neuen Stellenwert zuweist -- für das Leben all jener, die Jesus Angebot der Nachfolge ernst nehmen (siehe Blick-Kasten).
Für Brock ist Jesus „ein Mensch, mit allem, was das Menschsein ausmacht“, also mit Zweifeln, mit Liebe, vermutlich mit bewusster Liebe für eine Frau – für Maria Magdalena, die Papst Franziskus 2016 zur 13. Apostelin
erhoben hat. Und er ist für Michael H. F. Brock „ein Mensch und ein Leben, dem ich folgen möchte. Nachfolge. Das ist es.“
Ende eines Buches, das damit nicht enden muss, sondern weiter wirken kann – für den, der solches zulässt.
Eine Randnotiz: Die Interessierten, die noch nicht in Israel waren, hätten sich über eine größere Karte gefreut.
Michael H.F. Brock: „Über Wasser gehen“. 160 Seiten. 15 Euro. ISBN 978-3-84361270-8