Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Historische Kurskorrektur
Papst äußert sich zu homosexuellen Partnerschaften – Kritik aus den USA
ROM/BERLIN - Es könnte ein historischer Schritt sein: Papst Franziskus hat sich Medienberichten zufolge für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgesprochen. „Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu sein. Sie sind Kinder Gottes, sie haben das Recht auf eine Familie“, sagt der 83 Jahre alte Pontifex in einem Dokumentarfilm des russischen Regisseurs Jewgeni Afinejewski. „Wir müssen ein Gesetz für zivile Partnerschaften schaffen. Sie haben das Recht, rechtlich abgesichert zu sein.“
Unklar ist vorläufig noch, ob die Äußerungen wirklich neuesten Datums sind. Zudem hat man es in der Vergangenheit öfters erlebt, dass nach scheinbar eindeutigen progressiven Äußerungen des Papstes doch alles beim Alten blieb.
Der jetzige Fall liege allerdings anders, sagt Michael Seewald, Professor für katholische Dogmatik an der Universität Münster und Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Man muss schon sagen, dass das im Vergleich zur bisherigen Haltung der katholischen Kirche eine massive Kurskorrektur ist.“
Es sei zwar nicht so, dass der Papst hier die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiere – wohl aber eingetragene Partnerschaften. „Das ist eine neue Position, weil sich die Ablehnung der katholischen Kirche bisher auch auf diese eingetragenen Partnerschaften bezog. Nun gibt der Papst diese Ablehnung nicht nur auf, sondern er fordert das Gegenteil des bisher Vertretenen. Er sagt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften bieten einen rechtlichen Rahmen, der sinnvoll und sogar notwendig ist.“
Der Papst eröffne damit in der Kirche „einen Raum des legitim Sagbaren und Denkbaren“. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien bisher von vielen als mit der katholischen Lehre nicht vereinbar abgeurteilt worden – diese Haltung sei jetzt kaum noch denkbar. Dies werde gravierende Folgen haben etwa für den derzeit laufenden Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, dem Synodalen Weg. Dort können sich die Reformer jetzt auf den Papst berufen.
Noch viel brisanter sind die Äußerungen nach Seewalds Einschätzung für die katholische Kirche in den USA. „Dort ist diese Frage eine ganz hitzig diskutierte, sie wird geradezu zum Prüfstein für katholische Rechtgläubigkeit stilisiert. Dass der Papst da nun Bewegung signalisiert, wird vielen konservativen Kreisen in den USA, die jetzt auch im Wahlkampf eine sehr dominante Rolle spielen, nicht gefallen.“
Tatsächlich ließen die ersten Reaktionen nicht lange auf sich warten: „Die Erklärung des Papstes widerspricht klar der lang etablierten Lehre der Kirche“, wurde der konservative Bischof von Providence, Thomas Tobin, in US-Medien zitiert. „Die Kirche kann die Akzeptanz objektiv unmoralischer Beziehungen nicht unterstützen.“
In Deutschland fielen die Reaktionen zunächst positiv aus. Matthias Koschar, katholischer Dekan in Tuttlingen, spricht von einer „großen
Baustelle in der Kirche“. Der Papst dulde keine Diskriminierung, grenze niemanden aus und strebe eine pastorale, keine dogmatische Lösung an: „Er will jetzt einen Ausgleich zwischen der Kirche und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften schaffen.“
Christliche Gruppen, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben in der Kirche einsetzen, begrüßen die Äußerung. „Das ist ein guter Schritt nach vorne“, sagte Claudia Brand vom Vorstand des Regenbogenforums, einem Verein christlicher LSBTTIQ-Gruppen. Als LSBTTIQ bezeichnen sich Bürgerrechtsgruppen für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen. Gleichzeitig sagte sie: „Wir hoffen sehr, dass bald weitere Schritte folgen.“
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken unterstütze die vom Papst geäußerte Haltung schon seit Langem, sagte der Sprecher der Laienorganisation, Theodor Bolzenius. „Es geht um eine Anerkennung dieser Lebenssituation.“
Matthias Kopp, der Sprecher der deutschen katholischen Bischofskonferenz, wollte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht äußern: „Wir kennen die ,Zitate’ nur aus den Agenturen.“
Die große Frage ist nun, ob es um einen dauerhaften Positionswechsel der Kirche geht. Die Überzeugung des Vatikan-Kenners Mario Politi ist: „Es gibt kein Zurück.“Erst einmal würden die Äußerungen von Franziskus zwar den „schwelenden Bürgerkrieg innerhalb der Kirche“– den Dauerkonflikt zwischen Reformern und Konservativen – befeuern, doch ein völliges Zurückdrehen sei nicht mehr vorstellbar. „Das ist ähnlich wie bei der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Auch da ist nichts festgeschrieben, aber ein Zurück gibt es auch da nicht mehr.“