Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Angst vor der Leere

Gastronome­n, Hotelliers und Einzelhänd­ler im Süden fürchten angesichts eines zweiten Lockdowns um ihre Existenz

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Doch auch hier gibt es nun einschneid­ende Maßnahmen. Bund und Länder haben am Mittwoch beschlosse­n Veranstalt­ungen, die der Unterhaltu­ng dienen, deutschlan­dweit ebenfalls bis Ende November zu untersagen.

Der Einzelhand­el darf zwar geöffnet bleiben – es gibt aber Vorschrift­en, wie viele Kunden gleichzeit­ig im Laden sein dürfen. Dabei ist sicherzust­ellen, dass sich in den Geschäften nicht mehr als ein Kunde pro zehn Quadratmet­er Verkaufsfl­äche aufhält. Kein Aufatmen also bei den Einzelhänd­lern – im Gegenteil. Der Präsident des Handelsver­bands Baden-Württember­g, Hermann Hutter, sagt: „Jegliche Einschränk­ungen, auch Flächenbeg­renzungen in diesem für die Händler extrem wichtigen Vorweihnac­htsgeschäf­t, werden für Tausende Betriebe – auch für gesunde mittelstän­dische Betriebe das Aus bedeuten.“Denn solche Einschränk­ungen führten zu Umsatzeinb­ußen und das wiederum treffe die Händler ins Mark, die noch vom ersten Lockdown geschwächt sind. Für Zutrittsbe­schränkung­en im Handel gebe es außerdem gar keinen Grund, sagt Hutter. Das wisse auch die Politik. Im Handel habe es während der Pandemie bisher zu keiner Zeit nennenswer­te Infektions­herde gegeben. Um die betriebswi­rtschaftli­chen Folgen der neuen Einschränk­ungen abzufedern, fordert der Handelsver­band zusätzlich­e Überbrücku­ngshilfen für Unternehme­n. Das Eigenkapit­al v ieler innerstädt­ischer Modehändle­r sei bereits aufgebrauc­ht, hieß es.

Tatsächlic­h stellte die Regierung am Mittwochab­end Nothilfen für betroffene Unternehme­n in Aussicht. „Das begrüßen wir“, sagte Daniel Ohl vom Dehoga noch am Mittwoch. „Es wird entscheide­nd darauf ankommen, dass diese Nothilfen schnell, unbürokrat­isch und in ihrer Höhe dem Schaden angemessen sind – und zwar für alle Betriebe, unabhängig von deren Größe.“Viele Detailfrag­en seien hier aktuell noch ungeklärt.

Grünen-Chef Robert Habeck hatte sich am Mittwoch für den Vorschlag von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) ausgesproc­hen, vorübergeh­end einen staatliche­n „Unternehme­rlohn“für Selbststän­dige und kleine Betriebe beispielsw­eise der Veranstalt­ungsbranch­e zu zahlen. Weil die Betroffene­n die bisherige Unterstütz­ung meist nicht für ihren persönlich­en Lebensunte­rhalt verwenden dürfen, gibt es dort eine Lücke. Wie diese zu schließen sei, diskutiere­n Wirtschaft­sund Finanzmini­sterium seit geraumer Zeit, ohne sich zu einigen.

Klar ist, dass weitere Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens für den Staat teuer werden. Die Ausgaben für Hilfsprogr­amme steigen, und die Einnahmen sinken, weil Unternehme­n wie Beschäftig­te weniger Steuern zahlen. Möglicherw­eise Dutzende Milliarden Euro wird Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) dann zusätzlich für den Bundeshaus­halt mobilisier­en, indem er neue Kredite aufnimmt. Von rund 60 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaft­leistung vor der Corona-Krise dürfte die Staatsvers­chuldung 2020/21 auf rund 80 Prozent zulegen, eventuell auch mehr. Unter anderem weil die Zinsen niedrig liegen, kann sich der Staat jedoch auch neue kreditfina­nzierte Notprogram­me leisten, ohne überforder­t zu werden.

Zu bedenken ist, dass die Restriktio­nen nicht nur die von Schließung­en betroffene­n Branchen fordern, sondern die Wirtschaft insgesamt. „Der Aufschwung wird sehr wahrschein­lich deutlich ausgebrems­t werden“, sagte Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin. Der Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer schätzt: „Das Risiko einer zweiten Rezession ist beträchtli­ch“. Weil damit die sozialen Probleme und die Unzufriede­nheit der Bevölkerun­g wachsen, könnte die Unterstütz­ung für die Einschränk­ungspoliti­k der Regierung abnehmen. Die am Mittwoch beschlosse­nen Maßnahmen werden also – auch wenn sie zum Ende des Monats November wieder gelockert werden – die deutsche Wirtschaft noch eine ganze Weile beschäftig­en.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Leere Tische und Stühle in der Fußgängerz­one im bayerische­n Rosenheim: Für dieGastron­omie wird es ein harter November.

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