Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Generationen auf der Rasierklinge
Es gibt jene geflügelten Wörter, bei denen man sich fragt, wie jemand allen Ernstes darauf kommt. Der Ritt auf der Rasierklinge beschreibt ein riskantes Unterfangen, das so oder so ausgehen kann. Doch stellt man sich das einmal bildlich vor, dann ist klar: So ein Ritt kann nur schiefgehen! Wie soll denn das funktionieren, dass da nichts passiert? Auf der anderen Seite aber ist das immer auch eine Frage des Zeitalters, in dem man lebt. Die Rasierklinge veranschaulicht das.
Früher gab es noch die Einmalklinge ohne besonderen Schutz. Damals brauchte man nach dem Rasiervorgang schon allein eine ganze Toilettenpapierrolle, um die ganzen Wunden abzukleben. Dass da überhaupt noch Haut im Gesicht blieb, war ein schieres Wunder. Wenn Mann sich heute überhaupt rasiert und den Bart nicht eh gleich stehen lässt, sind die Klingen heutzutage ja dank Gitters vor allem eins: eher ungefährlich. Da kann man mit hohem Druck und ohne genau hinzuschauen über Kinn und Wangen fahren, ohne dass dort schlimme Dinge passieren. Der Ritt auf einer solchen Rasierklinge? Unbedenklich!
Ähnliche Generationenfragen tun sich beim Betrachten von Filmen auf, gerade von alten Klassikern. Ein Beispiel dafür ist der 1971 gedrehte Film „Duell“, der älteste Kinoerfolg von Steven Spielberg. Trotz geringem Budget eine Überraschung für viele. Die Handlung: Ein Mann überholt mit seinem Auto einen Laster, der ihn zuvor fast ausgebremst hat. Danach beginnt eine Jagd auf Leben und Tod, denn der Lkw hat es auf ihn abgesehen. Der Verfolger ist niemals zu sehen, nur das Fahrzeug.
Was unternimmt der Held da nicht alles? Eine Szene zeigt unter anderem, wie er in einer Telefonzelle panisch versucht, die Polizei zu erreichen. Er rettet sich mit einem Sprung, als der Laster die Zelle zerstört, als er einfach hindurchfährt. Wie erklärt ein 45-Jähriger das einem 15-Jährigen? „Was ist das für ein Ding?“– „Eine Telefonzelle“– „Wieso ruft der nicht einfach vom Handy aus an?“– „Der hat keins.“– „Jeder hat ein Handy.“– „Dann gibt es da halt keinen Funkempfang.“– „Ja, aber doch nicht auf der ganzen Strecke.“Und so geht das dann weiter.
Selbst kommt man sich dann plötzlich ganz alt vor, denkt an Dinge, die es heute nicht mehr gibt. Telefonkarten zum Sammeln etwa. Seltsame Neonkleidung. Fernseher mit nur drei Programmen. Wenn man dann aber realisiert, dass man alte Filme genießen kann, ohne sich dauernd zu wundern, warum niemand ein Handy zückt, ist alles wieder gut.