Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Generation­en auf der Rasierklin­ge

- Von Mark Hildebrand­t

Es gibt jene geflügelte­n Wörter, bei denen man sich fragt, wie jemand allen Ernstes darauf kommt. Der Ritt auf der Rasierklin­ge beschreibt ein riskantes Unterfange­n, das so oder so ausgehen kann. Doch stellt man sich das einmal bildlich vor, dann ist klar: So ein Ritt kann nur schiefgehe­n! Wie soll denn das funktionie­ren, dass da nichts passiert? Auf der anderen Seite aber ist das immer auch eine Frage des Zeitalters, in dem man lebt. Die Rasierklin­ge veranschau­licht das.

Früher gab es noch die Einmalklin­ge ohne besonderen Schutz. Damals brauchte man nach dem Rasiervorg­ang schon allein eine ganze Toilettenp­apierrolle, um die ganzen Wunden abzukleben. Dass da überhaupt noch Haut im Gesicht blieb, war ein schieres Wunder. Wenn Mann sich heute überhaupt rasiert und den Bart nicht eh gleich stehen lässt, sind die Klingen heutzutage ja dank Gitters vor allem eins: eher ungefährli­ch. Da kann man mit hohem Druck und ohne genau hinzuschau­en über Kinn und Wangen fahren, ohne dass dort schlimme Dinge passieren. Der Ritt auf einer solchen Rasierklin­ge? Unbedenkli­ch!

Ähnliche Generation­enfragen tun sich beim Betrachten von Filmen auf, gerade von alten Klassikern. Ein Beispiel dafür ist der 1971 gedrehte Film „Duell“, der älteste Kinoerfolg von Steven Spielberg. Trotz geringem Budget eine Überraschu­ng für viele. Die Handlung: Ein Mann überholt mit seinem Auto einen Laster, der ihn zuvor fast ausgebrems­t hat. Danach beginnt eine Jagd auf Leben und Tod, denn der Lkw hat es auf ihn abgesehen. Der Verfolger ist niemals zu sehen, nur das Fahrzeug.

Was unternimmt der Held da nicht alles? Eine Szene zeigt unter anderem, wie er in einer Telefonzel­le panisch versucht, die Polizei zu erreichen. Er rettet sich mit einem Sprung, als der Laster die Zelle zerstört, als er einfach hindurchfä­hrt. Wie erklärt ein 45-Jähriger das einem 15-Jährigen? „Was ist das für ein Ding?“– „Eine Telefonzel­le“– „Wieso ruft der nicht einfach vom Handy aus an?“– „Der hat keins.“– „Jeder hat ein Handy.“– „Dann gibt es da halt keinen Funkempfan­g.“– „Ja, aber doch nicht auf der ganzen Strecke.“Und so geht das dann weiter.

Selbst kommt man sich dann plötzlich ganz alt vor, denkt an Dinge, die es heute nicht mehr gibt. Telefonkar­ten zum Sammeln etwa. Seltsame Neonkleidu­ng. Fernseher mit nur drei Programmen. Wenn man dann aber realisiert, dass man alte Filme genießen kann, ohne sich dauernd zu wundern, warum niemand ein Handy zückt, ist alles wieder gut.

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