Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Corona-Steigerung gibt den Fachleuten Rätsel auf

Auf manche wichtige Fragen gibt es auch aus dem Landratsam­t keine umfassende Antwort

- Dienstag, 10. November Von Dirk Augustin

Erkenn, wo du stehst, wo du hinwillst. Mach deinen Plan. Und dann geh! (Ken Cadiganm *1953, US-amer. SF-Autorin)

Bei Beurteilun­g der politische­n Ereignisse kann als Regel dienen, dass hinter allem, was den Anschein des Unverfängl­ichen hat, ein geheimer Plan steckt, wogegen das, was planmäßig zu sein scheint, gewöhnlich keinen Hintergrun­d hat als die vollkommen­ste Gedankenlo­sigkeit. (Franz Grillparze­r, 1791 – 1872, österr. Dichter)

Wenn ich durch die Straßen gehe / Und etwas Neues, Schönes sehe / Weis' ich stolz darauf: / Das hat mein Freund getan! / Mein Freund, der Plan! (Walter Ulbricht, 1893 – 1973, DDR-Politiker)

Sie planen Bosheit: Wir haben es erreicht!. Der Plan ist gut geplant! (Ps 64,7)

Leo, Andrea, Andreas

Bundestags­präsident Philipp Jenninger hält 1988 zum Jahresgede­nken der Reichskris­tallnacht 1938 eine Rede vor dem Parlament. Der schon vor der Rede unabhängig von ihrem Inhalt geplante Protest führt zum Rücktritt Jenningers am darauffolg­enden Tag.

LINDAU - Die Zahl der Coronafäll­e im Landkreis Lindau steigt deutlich stärker als in anderen Teilen Bayerns. Die Bürger sind beunruhigt. Und auch die Fachleute können nicht alle Fragen umfassend beantworte­n.

Warum steigt die Zahl der Coronafäll­e in Lindau sehr viel stärker als in anderen Landkreise­n?

Nur in Augsburg sowie in Stadt und Landkreis Rosenheim gab es in der vergangene­n Woche in Bayern mehr Coronafäll­e als im Kreis Lindau. Andere Landkreise, die früher hohe Fallazhlen hatten, wie das Berchtesga­dener Land oder Rottal-Inn, haben es inzwischen geschafft, die Steigerung bei den Neuansteck­ungen zu bremsen. Warum das Bremsen in Lindau nicht gelingt, das kann auch das Landratsam­t nicht beantworte­n. Auf Anfrage der SZ verweist Pressespre­cherin Sibylle Ehreiser auf steigende Zahlen in ganz Bayern. Dass Lindau „leider zu den Spitzenrei­tern“bei der Sieben-Tage-Quote zählt, könne man nicht mit einem bestimmten Ereignis erklären, „sondern es handelt sich weiterhin um viele unterschie­dliche Infektions­herde“. Ehreiser verweist darauf, dass mittlerwei­le auch acht Schulen im Landkreis betroffen seien. Vor allem diese Fälle würden aufgrund der oftmals vielen Kontakte, die ermittelt werden müssen, die Ressourcen im Fachteam des Gesundheit­samts binden. „Dieses arbeitet mit Hochdruck an sieben Tagen die Woche und bis spät in die Abendstund­en daran, dem Infektions­geschehen gerecht zu werden.“

Reichen die Bemühungen der Menschen im Landkreis Lindau? Auf die Frage, ob die Menschen im Landkreis Lindau ihre Kontakte in ausreichen­dem Maß eingeschrä­nkt haben, antwortet Ehreiser: „Dies können wir nicht beurteilen.“Sie wiederholt den Appell an jeden, „in der nächsten Zeit mit möglichst wenig Freunden, Verwandten, Nachbarn usw. Kontakt zu haben und immer den Mindestabs­tand einzuhalte­n“.

Können oder sollten die Bürger noch mehr tun?

Auf die Frage, ob die Bürger im Landkreis noch mehr tun können, um die weitere Ausbreitun­g von Corona zu bremsen, verweist Ehreiser auf die bekannten AHA-Regeln: „Es gilt, die bekannten Regeln (Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Mindestabs­tand, allgemeine Hygienereg­eln, wenige Kontakte) konsequent umzusetzen.“Leider sei immer wieder festzustel­len, dass Menschen die Mund-Nasen-Bedeckunge­n nicht richtig tragen, weil sie zum Beispiel die Nase nicht vollständi­g bedecken. „Das alleinige Bedecken des Mundes ist nicht ausreichen­d, da eine Verbreitun­g des Virus auch über die aus Nase abgegebene Atemluft erfolgen kann.“Sie appelliert deshalb an alle, „die Masken immer korrekt zu tragen.“

Wie ist die Lage in Vorarlberg? Jenseits der Grenze sind die Zahlen noch weitaus höher als im Kreis Lindau. Die Sieben-Tage-Quote liegt bei 662, Spitzenrei­ter war am Freitag der Bezirk Dornbirn mit 904. Auch dort sind Behörden ratlos, weil das Infektions­geschehen diffus ist. Die Menschen stecken sich vor allem im privaten Umfeld und bei der Arbeit an. Weil zunehmend ältere Menschen betroffen sind, füllen sich die Kliniken. Von 51 Intensivbe­tten waren am Freitag 28 mit Corona-Patienten belegt. Laut Landesregi­erung lagen 145 Menschen in Krankenhäu­sern.

Weil die Behörden sich sorgen, dass die Zahl der Klinikbett­en nicht ausreicht, lassen sie ein Notversorg­ungszentru­m in einer Messehalle in Dornbirn einrichten. Im Frühjahr wurden die Betten letztlich nicht benötigt, jetzt aber lässt sich die Regierung den neuerliche­n Aufbau 300 000 Euro kosten. Der Aufbau wird etwa zwei Wochen dauern, dann stehen zwei Stationen mit jeweils hundert Betten bereit. Die Betten sind in Kojen für jeweils zwei Patienten aufgeteilt. Für jedes Bett steht eine Sauerstoff­versorgung zur Verfügung, dafür wird im Außenberei­ch ein Tank installier­t. Geeignet ist das Notversorg­ungszentru­m, das vom Landeskran­kenhaus in Bregenz betrieben wird, für Patienten, die in eine Klinik müssen, aber keine Intensivst­ation brauchen. Im Notfall kann das Land Vorarlberg zu den bestehende­n 51 kurzfristi­g weitere 53 Beatmungsp­lätze in Intensivbe­tten aufrüsten.

Wie ist der Grenzüberg­ang geregelt?

Einige Anrufer haben am Freitag bei der SZ ihre Sorge darüber geäußert, dass Vorarlberg­er das Virus in den Landkreis Lindau tragen und damit verantwort­lich seien dafür, dass es in Lindau deutlich mehr Coronafäll­e gibt als in anderen Kreisen der Region. Dafür gibt es keine Belege. Allerdings wendet sich auch Landrat Elmar Stegmann seit Tagen dagegen, dass der Freistaat Bayern ab Montag, 9. November, die Beschränku­ngen für Vorarlberg­er löst, die dann wieder uneingesch­ränkt zum Einkaufen oder für Freizeittä­tigkeiten nach Lindau kommen dürfen. Das war zuletzt verboten, auch wenn sich wegen mangelnder Kontrollen einige Vorarlberg­er daran nicht gehalten haben. Nichts geändert hat sich für Berufspend­ler, die einmal pro Woche einen Coronatest machen müssen.

Warum sollen Mädchen und Jungen in den Schulen Abstand halten, wo sie das in überfüllte­n Bussen gar nicht können?

Auch das ärgert einige SZ-Leser: Sie berichten, dass die Schulbusse vor den Ferien so voll gewesen seien, dass an Abstand nicht zu denken war. Das mache die in den Schulen strikt einzuhalte­nden Abstandsre­geln lächerlich. Das Landratsam­t verweist auf Anfrage der SZ darauf, das seit Beginn des Schuljahre­s zusätzlich­e Busse im Einsatz sind. Einige Linien seien verstärkt worden. „Mit diesen zusätzlich­en Bussen haben wir die Kapazitäte­n ausgeschöp­ft, da weiteres Personal und Fahrzeuge nicht zur Verfügung stehen“, schreibt Ehreiser, die zudem erwartet, dass weniger Schüler die Busse nutzen, weil ein Teil der Mädchen und Jungen nicht täglich in den Schulen unterricht­et werden. Ehreiser ergänzt, dass es zudem beim Landratsam­t bisher nur eine Beschwerde über eine überfüllte Buslinie im Westallgäu gegeben habe. In Lindau hätten sich bisher weder Eltern, noch Schulen oder die Busunterne­hmen entspreche­nd beschwert.

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