Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nur Götze darf wieder hoffen
Die Ex-Weltmeister Müller, Hummels und Boateng sind im Nationalteam weiter außen vor
LEIPZIG (dpa/SID) - Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng dürfen nur im Ausnahmefall noch einmal zur Nationalmannschaft zurück, für Mario Götze hat sich die Tür dagegen laut Joachim Löw wieder einen Spalt weit geöffnet. „Wir verlieren auch ihn nicht aus den Augen, ganz klar“, sagte der Bundestrainer dem „Sportbuzzer“. Er habe mit dem WMHelden von Rio de Janeiro in den letzten Wochen „immer wieder Kontakt“gehabt, sagte Löw und schwärmte: „Er wirkt sehr frisch und sehr agil, die Freude ist ihm anzumerken.“
Mit seinem ablösefreien Wechsel im Sommer von Borussia Dortmund zur PSV Eindhoven steht Götze zwar nicht mehr so im Rampenlicht, doch seine Chancen auf ein Comeback im DFB-Team nach drei Jahren haben sich erhöht. „Aus meiner Sicht hat er für sich genau die richtige Entscheidung getroffen“, sagte Löw, „nämlich außerhalb des Präsentiertellers Bundesliga einen Neustart zu wagen.“
In den Kader für das Länderspiel am Mittwoch (20.45 Uhr/RTL) in Leipzig gegen Tschechien und die Nations-League-Partien in der Messestadt gegen die Ukraine (14. November) und in Sevilla gegen Spanien (17.) hat es Götze zwar – anders als der Clubkollege und Ex-Augsburger Philipp Max – noch nicht geschafft. Doch der Offensivspieler hat die Hoffnung auf ein 64. Länderspiele und die EM nicht aufgegeben. „Die EM ist ein großer Traum für mich, gerade weil ich bei der WM 2018 erstmals nicht dabei war. Mein Hunger auf Titel ist inzwischen noch größer geworden“, sagte der 28-Jährige. Und DFB-Direktor Oliver Bierhoff bekräftigte: „Wenn er eine gute Form hat, hat Mario Götze immer eine Chance, zurück in die Nationalmannschaft zu kommen.“
Götze sagte, er sei „glücklich“mit seinen bisherigen Leistungen, mit denen er sogar den Bundestrainer überraschte. Der gute Start mit drei Toren in sechs Pflichtspielen sei „so nicht zu erwarten“gewesen, meinte Löw. Das gestiegene Selbstvertrauen brauche Götze „für seine Leichtfüßigkeit, für seine Variabilität“. Die Distanz zur Bundesliga tue ihm sichtlich gut. In Dortmund und auch bei Bayern habe sich „immer alles auf ihn fokussiert“, genau wie in der Nationalmannschaft. „Er hatte durch das Tor 2014 einen Rucksack auf, der sicher auch eine große Last bedeutet hat“, sagte Löw: „Deshalb freue ich mich für ihn, dass er in Eindhoven so gut gestartet ist.“
Aber wie realistisch stehen Götzes Chancen wirklich? Objektiv betrachtet: Nicht sehr gut. Im Löw-System mit drei Spitzen kann Götze eigentlich nur die Position als Stoßstürmer besetzen, auf der er sich aber schon in Dortmund schwer tat. Sollte Löw einen Zehner benötigen, ist Ausnahmetalent Kai Havertz die erste Wahl.
Die Ex-Weltmeister Müller, Boateng und Hummels sind für Löw trotz starker Leistungen in ihren Vereinen weiter kein Thema mehr. „Wir haben uns grundsätzlich dazu entschieden, diese Spieler nicht zu nominieren, daran hat sich jetzt nichts geändert“, sagte Löw. Der Bundestrainer hatte dem Trio im März 2019 mitgeteilt, künftig nicht mehr mit ihm zu planen. Weil alle drei aber seit Wochen in sehr guter Form sind, gab es zuletzt vermehrt Forderungen nach einer Rückkehr – auch, weil das DFB-Team zuletzt defensiv nicht überzeugt hatte. Eine kleine Hintertür ließ Löw offen. „Wenn sich nächstes Jahr durch Ausfälle von Schlüsselspielern eine völlig neue Situation ergibt, werde ich das entsprechend bewerten und über alternative Szenarien nachdenken.“
Gegen Tschechien wird Löw noch sieben Spieler schonen, nur 17 Feldspieler
hat er dort aus seinem 27erKader zur Verfügung. Für die Verletzten Marcel Halstenberg, Thilo Kehrer und Joshua Kimmich hatte er U21-Nationalspieler Ridle Baku vom VfL Wolfsburg nachnominiert. Der 22 Jahre alte Rechtsverteidiger ist einer von drei Neulingen im Kader neben Max und dem Augsburger Felix Uduokhai.
Oliver Bierhoff wehrte sich derweil gegen die schlechte Stimmung rund um das junge Team. Mehr als 15 Minuten monierte der DFB-Direktor bei der Pressekonferenz in einem Monolog eine aus seiner Sicht falsche „Tonalität“und forderte einen „positiven Spirit“in der Betrachtung der DFB-Auswahl. „Es tut mir sehr weh, wie mit den jungen Spielern umgegangen wird. Ich merke, dass das wie eine dunkle Wolke über der Mannschaft schwebt“, sagte Bierhoff. In der Kabine sehe er „müde Gesichter“, er spüre
DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff
„die Anspannung und den Frust“. Man könne „gerne Jogi und mich als Verantwortliche kritisieren, aber die jungen Spieler haben unser Vertrauen verdient – und sie werden es zurückzahlen. Wir sind in einer herausgehobenen Position und verdienen viel Geld. Aber es sind Menschen. Sie stellen sich und gehen nicht den bequemen Weg. Sie haben noch nicht die emotionalen Momente aufbauen können. Einsatz, Leidenschaft und Herz ist bei den Jungen aber da.“Man wisse natürlich: „Es geht nur über Ergebnisse auf dem Platz. Da müssen wir leisten, da sein auf den Punkt.“
Auch Bierhoff bezog Stellung zu den ausgeboteten Ex-Weltmeistern um Müller. „Wenn du so verdiente Nationalspieler zurückholst, musst du einen gewissen Umgang voraussetzen. Diese Spieler wären dann natürlich gesetzt“, sagte er und erinnerte an die Rückholaktion von Kapitän Lothar Matthäus zur WM 1998 durch Bundestrainer Berti Vogts. So was mache etwas mit einer Gruppe, „weil das Alpha-Tiere sind“. Die Konsequenz laute: „Kein Handlungsbedarf.“
„Es tut mir sehr weh, wie mit den jungen Spielern umgegangen wird.“