Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der große Bestell-Exzess
Chinas Rabatt-Tag bricht erneut Rekorde – Auftakt für Black Friday und Cyber Monday in Deutschland
BERLIN - Die Corona-Pandemie hat Chinas großem Online-Rabatt-Tag einen zusätzlichen Schub gegeben. Der Internetkonzern Alibaba vermeldete am Mittwoch neue Umsatz-rekorde auf seinen chinesischen Einzelhandelsseiten. Bis 20 Uhr abends chinesischer Zeit gingen Bestellungen für Waren im Wert von 60 Milliarden Euro ein. „Die Reisebeschränkungen infolge der Pandemie haben besondere Konsumbereitschaft für ausländische Marken geschaffen“, sagt Alibaba-Vorstandsmitglied Liu Bo. Produkte internationaler Marken, die chinesische Konsumenten sonst im Ausland gekauft hätten, haben sie nun daheim online bestellt.
Chinas „Singles’ Day“gilt als der größte Shopping-Exzess der Welt. Schätzungen zufolge wechseln im Rahmen des Events ungefähr 100 Milliarden den Besitzer. Zum Vergleich: Der deutsche Einzelhandelsumsatz wird in diesem Jahr rund 550 Milliarden Euro betragen. Der von Alibaba ausgewiesene Warenumsatz zum
Singles’ Day hat sich dabei in diesem Jahr im Vergleich zu 2019 mehr als verdoppelt. Alibaba hat allerdings diesmal wegen Corona eine besonders lange Anlaufphase vorgeschaltet. Erste Vorbestellungen waren schon Anfang November möglich.
Alibaba hat den Singles’ Day im Jahr 2009 ins Leben gerufen, um dem Werbe-Klischee vom glücklichen Paar etwas entgegenzusetzen. Die Rabatte sollten vor allem Alleinstehenden zugute kommen. Der 11.11. galt da wegen eines verbreiteten Campus-Scherzes als Tag der Singles – wegen der vielen Einsen im Datum. Unter dem Einfluss Chinas hat sich der Singles’ Day in ganz Südostasien zum Anlass für Sonderangebote entwickelt. Auch die Bandbreite der verbilligt angebotenen Waren und Dienste wurde immer größer. In Bangkok bot beispielsweise eine Praxis für Schönheitschirurgie günstige Nasen- und Augenlidkorrekturen an. Die 20 angebotenen OP-Termine waren sofort ausverkauft. Thailands Ärzteschaft leidet derzeit wegen Corona unter einem
Mangel an Medizintouristen und wirbt daher mehr um einheimische Kundschaft.
Umweltverbände klagten derweil Jahr für Jahr über den hohen Kohlendioxidausstoß durch die vielen Paketbestellungen. In den Wochen nach dem Singles’ Day werden sich in China rund zwei Milliarden Päckchen mit den bestellten Waren bewegen. Das Problem beschränkt sich bekanntlich nicht auf China. Denn mit dem 11.11. geht ein Rabattzirkus rund um den Globus los: Am Freitag, dem 27. November, ist wieder „Black Friday“. Die Tradition kommt aus den USA. Zuerst hatte der amerikanische Marktplatz Amazon am Freitag nach dem letzten Donnerstag im November großzügige Rabatte gewährt. Auf seinem Heimatmarkt handelt es sich um die Online-Version eines schon lange bestehenden jährlichen Ausverkaufs am Tag nach dem amerikanischen Erntedankfest.
Inzwischen haben notgedrungen auch hierzulande die anderen Online-Händler nachgezogen. Denn wenn die Konsumenten sich schon Ende November günstig auf Amazon eindecken, dann bleibt für die anderen weniger Umsatz übrig. Also machen auch Saturn, Media Markt, Zalando, Otto, Notebooksbilliger und zahlreiche weitere Händler mit. Laut einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland kennen über 90 Prozent der Online-Shopper den Black Friday, und über 80 Prozent von ihnen sind mit dem Cyber Monday am darauffolgenden Montag vertraut.
Tatsächlich sind die Rabattaktionen längst zeitlich ausgeufert, weil die Webseiten mehr Zeit brauchen, um die Bestellungen anzunehmen und zu verarbeiten. Zum Teil fließen sie daher bereits ineinander. Während die letzten Angebote zum 11. November noch laufen, beginnt zum Teil schon der Vorverkauf für den Black Friday. Nach dem Cyber Monday folgt dann eine ganze Woche der Rabatte. Das nennt sich dann „Cyber Week“und dauert bis zum 1. Advent.
Die Zustell-Dienstleister fordern in diesem Jahr die Internetkunden dazu auf, ihre Bestellungen schon früh abzuschicken. Denn wegen Corona vermeiden viele Konsumenten die Innenstädte. Für Mitte Dezember ist ein Paket-Stau vorhersehbar. „Wir gehen vom mengenstärksten Weihnachten aller Zeiten aus“, sagt Olaf Schabirosky, der Chef des Paketdienstes Hermes. Das Unternehmen erwartet ein Fünftel mehr Sendungen als im Vorjahr. Dennoch will Hermes alle Pakete, die bis zum 21. Dezember abgegeben sind, bis Heiligabend zustellen.
Alibaba erhält am 11. November auch Auslandsbestellungen. Neben den Einzelhandelswebseiten für den chinesischen Markt spielt die Abwicklung von Bestellungen durch ausländische Kunden direkt in China eine immer größere Rolle. Oft wissen diese gar nicht, dass Alibaba die Bestellung vermittelt. Und manchem Schnäppchen-Surfer wird auch erst hinterher klar, dass die Ware aus China versendet wird. Nach Firmenangaben kamen die meisten Orders aus den USA, Russland und Frankreich. Deutschland befindet sich nicht unter den Top 10.