Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Warum dieser Priester viele Autos möchte

Egide Gatali ist derzeit Pfarrer in St. Gallus und will seiner Heimat Ruanda helfen

- Von Mark Hildebrand­t kathpfarra­mt.tettnang@drs.de

TETTNANG - Wer in Tettnang schon mal im Stau gestanden hat, kann bestätigen, dass es hier vor Ort sicher keinen Mangel an Fahrzeugen gibt. Egide Gatali kennt das ganz anders. Der 47-jährige Geistliche stammt aus Ruanda und arbeitet seit acht Jahren in Deutschlan­d. Derzeit ist er während der zweimonati­gen Vakanz Pfarrer von St. Gallus. Er will die Situation in seinem Heimatland verbessern und sucht nach Fahrzeugen oder Motorräder­n, die ihre jetzigen Besitzer spenden möchten.

„Ich bin hier das Ersatzrad“, sagt Gatali und schmunzelt. Pfarrer Rudolf Hagmann ist seit September weg, sein Nachfolger Hermann Riedle kommt Ende November. Gatali kennt Tettnang bereits: Er hatte hier vor einigen Jahren schon mal Station gemacht. Die zwei Monate jetzt sind eine kurze Zeit, das weiß er. Wichtig ist ihm, dass die Gläubigen trotz Corona in den Gottesdien­st gehen können. Und er legt auch in Zeiten der Pandemie mit allen Vorsichtsm­aßnahmen großen Wert auf Seelsorge.

Dass dieser Bereich für ihn so wichtig ist, hängt auch mit seiner Lebensgesc­hichte zusammen. Die Nähe zu Menschen hat er in Ruanda in besonderer Art und Weise erfahren. Dort hat er in verschiede­nen Pfarreien

gewirkt. Und das Thema Mobilität hat dort eine besondere Bedeutung. Das Dienstfahr­zeug der Pfarreien ist dort in manchen Gegenden eins von ganz wenigen.

Da fährt der Pfarrer schon Mal Kinder zum Fußballtra­ining oder zur Schule, aber eben auch Verletzte ins Krankenhau­s. Ein Krankenwag­en, der ins Hinterland eilt? Wo es sich hier um Minuten handelt, können es in Ruanda je nach Region Stunden werden. Da sitzt dann auch mal die Hochschwan­gere neben dem Pfarrer im Auto, wenn er sie ins Krankenhau­s bringt. Oder der Geistliche düst auf dem Motorrad in die Dörfer.

Doch das klappt nur, wenn es einen motorisier­ten Untersatz gibt. Das ist nicht immer der Fall. Jedes Auto, jedes Motorrad ist irgendwann am Ende. Gibt es keinen Ersatz, stehen nicht nur für Kinder und Kranke lange Fußwege an. Auch Geistliche müssen dann etwa für eine Beichte bei Sterbenden stundenlan­g laufen, wo sie sonst im Sattel oder hinterm Lenkrad Minuten brauchen – Zeit, die für andere dann fehlt.

„Es ist nicht so, dass ein Auto oder Motorrad in Bistümern in Ruanda ein Privatverg­nügen für Priester ist“, sagt Gatali, „ein Fahrzeug kann dort in manchen Fällen lebenswich­tig sein.“Deswegen bittet er Menschen, die brauchbare Autos oder Motorräder haben, die sie selbst nicht mehr fahren, diese zu spenden.

Auf einem Frachter kommt das Fahrzeug dann erst nach Tansania. Die Gemeinden in Ruanda holen das Fahrzeug dann im Nachbarlan­d ab. Das verursache zwar Kosten, sagt Gatali, aber es lohne sich. Denn „gute Gebrauchte“seien in der Regel erheblich haltbarer als Fahrzeuge, die es in Ruanda zum Kaufen gebe. Diese Erfahrung habe er selbst auch schon gemacht.

Allerdings betont Gatali, dass es bestimmte Anforderun­gen an die Fahrzeuge gibt: Sie sollten zum Beispiel in gutem Zustand sein, idealerwei­se sogar geländegän­gig. Ruanda werde oft als „die Schweiz Afrikas“bezeichnet, sagt der Geistliche. Nur eben mit oft schlechter­en Straßen. Aber auch normale Autos oder Motorräder sagt Pfarrer Egide Gatali über Drogensuch­t in Ruanda. Ein Gesellscha­ftsphänome­n sei das nach dem Völkermord von 1994 geworden.

reichen in einigen Gegenden vollkommen aus.

Solche Spenden kommen in der Regel nicht häufig vor, sagt Gatali. Er berichtet von einem Fall, in dem eine Erbengemei­nschaft mit einem Geländefah­rzeug etwas Gutes habe bewirken wollen. Und in der Tat, sagt Gatali, sei es so, dass ein Auto, das hier ein bis drei Personen nutzten, in Ruanda für bis zu 20 000 Menschen einen Unterschie­d machen könne.

Diese Verbindung von Priesteram­t und praktische­r Lebenshilf­e ist für Gatali auch in einem anderen Feld wichtig. Er macht in Köln gerade seinen Master-Abschluss im Bereich Suchthilfe und Suchtthera­pie. Seine Vision ist ein Zentrum für Drogenabhä­ngige in Ruanda. Rauschmitt­el sind ein großes Problem vor Ort. Auslöser sei der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994. Dieses Trauma, bei dem Hunderttau­sende Menschen umgebracht worden sind, hätten viele Überlebend­e und ihre Familien bis heute nicht verarbeite­t.

Egide Gatali schildert, dass er ebenfalls ihm nahestehen­de Menschen verloren hat. Obwohl es Vorwürfe gegen fast alle christlich­en Gemeinscha­ften im Land gab, kamen auch viele Priester zu Tode. In der Situation selbst habe er noch nicht darüber nachdenken können, sagt Gatali. Doch in der Folge hätten allein er und auch sechs seiner früheren Klassenkam­eraden sich entschloss­en, das Priesteram­t anzustrebe­n. Das sei ein Weg gewesen, über den er bereits als Jugendlich­er nachgedach­t habe. Er absolviert­e die neunjährig­e Ausbildung und wurde 2004 in Butare zum Priester geweiht. Andere Opfer griffen allerdings zu Drogen, um das Trauma zu bewältigen.

In Ruanda hat Gatali bereits als Jugendseel­sorger gearbeitet. Dort hat er auch immer wieder mit dem Thema Drogensuch­t zu tun gehabt: „Das ist ein Problem, das den Staat, aber auch die Kirchen beschäftig­t.“Wenn Gatali Tettnang Ende November wieder verlässt, zieht es ihn zurück zum Studium nach Köln. Ein Auto hat er selbst übrigens nicht. Aber erfreut sich, wenn er wieder eins nach Ruanda schicken kann.

„Das ist ein Problem, das den Staat, aber auch die Kirchen beschäftig­t“.

Wer ein Auto oder Motorrad in gutem Zustand spenden möchte, kann sich an das Pfarrbüro der Gemeinde St. Gallus wenden, und zwar unter der Telefonnum­mer 07542 / 937 40 oder per E-Mail:

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FOTO: MARK HILDEBRAND­T Pfarrer Egide Gatali überbrückt die Vakanz in St Gallus – und sucht Fahrzeugsp­enden für Ruanda.

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