Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mann tötet seine Ehefrau: Acht Jahre Haft
Er soll mit einem Messer zugestochen haben – Das Gericht geht aber von einem minderschweren Fall aus
LINDAU/KEMPTEN - Er wirkt unscheinbar und zurückhaltend, fast schüchtern. Sein Geständnis liest er nicht selbst vor, das übernimmt seine Anwältin für ihn. Vor einem Dreivierteljahr hat der 36-Jährige seine Ehefrau mit einem Messer in einem Lindauer Hostel so stark verletzt, dass sie verblutete. Die Vorgeschichte dieses Abends ist lang.
Und zwar genau so lang, wie die Beziehung des Ehepaars: neun Jahre. „Bei Ihnen war es, wie so oft, eine ungesunde Beziehung, die der Tat voran gegangen ist“, sagt Christoph Schwiebacher, Vorsitzender Richter der Schwurgerichtskammer am Landgericht Kempten, am Dienstagnachmittag. „Die Eifersucht Ihrer Ehefrau war krankhaft.“
Nur Sekunden vorher hat er das Urteil gegen den Angeklagten verkündet: acht Jahre Haft für minderschweren Totschlag. Minderschwer, weil die ständige Eifersucht, mit der der Angeklagte jahrelang konfrontiert gewesen sei, bei ihm selbst zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt habe. Zum Tatzeitpunkt habe eine „ akute Belastungsreaktion“vorgelegen. „Aber sie haben es nicht geschafft, sich zu lösen, oder Ihre Frau davon zu überzeugen, dass sie sich Hilfe holt“, sagt Schwiebacher. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die beiden hatten das, was man gemeinhin als On/Off-Beziehung bezeichnen würde. Immer wieder war es zum Streit und zur Trennung gekommen. Das Jugendamt wurde schon vor Jahren auf die Familie aufmerksam, weil den Grundschullehrern des ältesten Sohns auffiel, dass er immer schmutzige Kleidung trug. Unterstützung vom Amt nahm die Familie aber nur für kurze Zeit in Anspruch, dann habe die Frau die Helferin nicht mehr ins Haus gelassen. Denn sie sah in ihr eine Gefahr. „Sie hatte Angst, dass sie ihren Mann verführt“, berichtet ein Zeuge.
Ähnlich war die Situation immer dann, wenn der Angeklagte einen neuen Job hatte. Die Frau sei dann bei der Arbeitsstelle aufgetaucht, um Kolleginnen auszuhorchen und ihn zu kontrollieren. Mehrere Stunden von ihm getrennt zu sein, sei ihr wegen des Kontrollverlusts schwer gefallen.
Der 36-Jährige hatte offenbar mehrmals versucht, sich zu lösen. In Lindau wollte er neu anfangen, bekam dort eine Wohnung, in die er allein einzog. Doch seine Frau sei ihm nachgegangen, habe bei den Nachbarn geklingelt und randaliert, der Vermieter warf ihn schließlich raus. Gemeinsam zogen die beiden dann in das Hostel auf der Lindauer Insel.
Auch dort waren sie aufgefallen, wie die Hostelmanagerin vor Gericht erzählt. Zwar hätte der Mann ein Doppelzimmer gemietet, im Gespräch mit ihr habe die Ehefrau aber erzählt, sie würde ihn kaum kennen. Dann sei Post gekommen, auf der die Frau denselben Nachnamen hatte wie der Angeklagte. „Ich habe mich gewundert und wollte ihren Ausweis sehen“, sagt die Hostelmanagerin.
Als dann klar war, dass es sich um ein Ehepaar handle, habe sie bei der Frau einen regelrechten „Eifersuchtswahn“bemerkt. Diese habe sie und auch ihre Kolleginnen immer wieder gefragt, ob sie mit dem Angeklagten „was hätten“. „Ich habe ihn als einen freundlichen, zugewandten Mann erlebt, der seine Frau aushält“, sagt die Hostelmanagerin. „Und der die Liebe seines Lebens irgendwo verloren hat.“Die Frau sei ihr psychisch und körperlich krank vorgekommen. Dass in dieser Beziehung einmal etwas Schlimmes passieren würde, das habe sie geahnt. „Aber hätte ich wetten müssen, hätte ich nicht gewettet, dass er es ist, der überlebt“, sagt sie in Richtung des Angeklagten. Beim Rausgehen wünscht sie ihm alles Gute für die Zukunft.
Zum Zeitpunkt der Tat wohnte das Ehepaar zwar noch immer im Hostel, allerdings mittlerweile in getrennten Zimmern. Noch am Tag zuvor hatte der Angeklagte die beiden gemeinsamen Kinder, die längst bei Pflegeeltern leben, besucht. Während der Angeklagte die Treffen regelmäßig wahrnahm, besuchte seine Frau die Kinder nur selten. Seit sie auch die Pflegemutter aggressiv beschuldigt hatte, eine Affäre mit ihrem Mann zu haben, durfte sie ihre Kinder nur noch in Anwesenheit eines Caritas-Mitarbeiters sehen.
An diesem Samstag jedenfalls war der Angeklagte allein auf der Heimfahrt von der Pflegefamilie. Im Zug sei er in eine Polizeikontrolle geraten, bei der die Beamten eine Tablette gefunden hätten. Zwar sei das ein Medikament vom Arzt gewesen, die Polizisten hätten ihm aber unterstellt, es handle sich um eine Droge – und die Tablette mitgenommen. Das habe ihn so gestresst, dass der Angeklagte, der selbst zugibt, ein Alkoholproblem zu haben, am darauffolgenden Sonntag schon vormittags mit dem Trinken begann. Am Abend sei dann seine Frau gekommen mit dem Vorschlag, gemeinsam schön essen zu gehen. „Ich dachte, das sei ein normales Abendessen“, liest die Anwältin im Geständnis des Angeklagten. Dann habe seine Frau ihm mal wieder unterstellt, dass er eine andere habe. „Die Eifersucht war ständig Thema, obwohl ich sie noch nie betrogen habe.“
Später sei sie mit in sein Zimmer gekommen. Er habe sie rausschmeißen wollen, doch das ließ sie nicht zu. Er habe eine Zigarette rauchen gehen wollen, doch sie habe ihn nicht aus dem Zimmer gelassen. Er habe schlafen wollen, doch sie habe ihn gezwickt und über seine angebliche Affäre sprechen wollen. Dann, so der Angeklagte, der laut Gutachter zum Zeitpunkt der Tat um die 2,5 Promille gehabt haben muss, habe er ein Küchenmesser genommen und nach ihr geworfen. Doch dieses Detail glaubt ihm das Gericht nicht. Denn Tiefe und Winkel des Schnitts, der die Arterie zwischen Oberschenkel und Leiste durchtrennt hat, deuten stark darauf hin, dass der Ehemann frontal vor ihr stand und zugestochen hat – darin sind sich gleich mehrere Gutachter einig. Auch, dass der Mann seine Frau mit dem Messerwurf nur habe erschrecken wollen, glauben weder Richter noch Schöffen. „Ihnen sind die Nerven durchgegangen und dann haben Sie zugestochen“, sagt Richter Schwiebacher.
Der Angeklagte habe gewusst, dass das lebensgefährlich sein könne, immerhin war die Klinge des Messers 20 Zentimeter lang. „Sie haben es billigend in Kauf genommen, dass Ihre Frau daran sterben könnte.“Das Gericht sei aber auch davon überzeugt, dass der Angeklagte seine Tat sofort bereut habe. Während seine Frau bewusstlos auf dem Boden kauerte, hatte er den Rettungsdienst gerufen und sich von der Polizei ohne Widerstand festnehmen lassen. Dass die 31-Jährige zwei Stunden nach der Tat im Lindauer Krankenhaus starb, erfuhr er erst am nächsten Morgen in seiner Arrestzelle.