Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Eine Lindauerin, die für Trump gestimmt hätte
Seit 51 Jahren lebt Rita Burkhardt in Alabama – Die Wahlen in diesem Jahr seien besondere gewesen, sagt sie
Sie müssen ihr Talent entdecken und benutzen. Sie müssen herausfinden, wo Ihre Stärke liegt. Haben Sie den Mut, mit Ihrem Kopf zu denken. Das wird Ihr Selbstvertrauen und Ihre Kräfte verdoppeln.(Marie Curie, 1867-1934, Physikerin)
Man soll lieben, soviel man kann, und darin liegt die wahre Stärke. Und wer viel liebt, der tut auch viel und vermag viel. Und was in Liebe getan wird, das wird gut getan. (Vincent van Gogh, 1853 – 1890, niederländischer Maler)
Die Welt des 21. Jahrhunderts wird nur dann ihre Stabilität bewahren können, wenn sie von der Stärke des Rechts und nicht vom Recht des Stärkeren bestimmt wird. (Hans-Dietrich Genscher, 1927 – 2016, FDP-Außenminister)
Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt. (Teresa von Ávila, 1515 – 1582, spanische Mystikerin) Benedikt, Christian
Die Frankfurter Nationalversammlung verabschiedet 1848 das Gesetz, das die Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbol für die Kriegs- u. Handelsflagge vorschreibt.
LINDAU - Nach einer historischen Wahl und vielen Tagen des Wartens ist klar: Joe Biden wird der 46. Präsident der USA. Die gebürtige Lindauerin Rita Burkhardt lebt seit über 50 Jahren im südlichen Bundesstaat Alabama und hat viele Wahlen miterlebt – diese war aber eine ganz spezielle, sagt sie.
Wenn Rita Burkhardt von ihrem Haus in einer Kleinstadt aus dem Fenster schaut, sieht sie zum einen die Berge, die sie an ihre Heimat Lindau erinnern. Und zum anderen blickte sie in den Wochen vor der Wahl auf ein Schild in dem Garten ihres Nachbars, auf dem stand: „Trump“und „Make Amerika Great Again“– also „Mach Amerika wieder groß“.
Alle Nachbarn und Bekannte von Rita Burkhardt wählen republikanisch. Sie selbst darf nicht wählen, weil sie nicht die amerikanische Staatsbürgerschaft hat. „Ich wollte meine deutsche Staatsbürgerschaft einfach nicht hergeben. Schließlich ist das meine Heimat“, sagt die 75Jährige. Beide Staatsbürgerschaften zu haben sei für sie keine Option, da der Vorgang mit viel Bürokratie und Aufwand verbunden ist.
1969 ist Rita Burkhardt nach Alabama ausgewandert. In Ulm hatte sie ihren damaligen Mann, einen Amerikaner, kennengelernt. Er war dort stationiert und wollte nach seinem Wehrdienst Zahnmedizin in Alabama studieren. Also ging Rita Burkhardt mit – und ist bis heute geblieben. „Hätte ich keinen Sohn und keine Enkelkinder hier, würde ich wahrscheinlich wieder zurück nach Deutschland gehen“, erzählt Rita Burkhardt am Telefon. Bei ihr ist es morgens, 10 Uhr, während es in Deutschland schon sieben Stunden später am Nachmittag ist.
Auch wenn sie nicht wählen konnte, mitgefiebert in der Wahlnacht hat Rita Burkhardt trotzdem. Den Wahlabend hat sie gemeinsam mit fünf ihrer Bekannten im Haus einer Freundin verbracht. Während sich alle um den Fernseher versammelten, aß man „Casserole“– das ist ein Nudelauflauf nach amerikanischer Art mit viel Käse – und Lachsbrötchen. Anwesend waren nur Republikaner. „Natürlich“, sagt Rita
Burkhardt. Dass Demokraten und Republikaner gemeinsam die Wahl verfolgen, das sei undenkbar. Zu groß sei mittlerweile die Spaltung zwischen den beiden Lagern.
Denn anders als im deutschen System, in dem es mehrere Parteien gibt, können die Menschen in den USA nur zwischen zwei Parteien wählen – den Demokraten, zu denen Joe Biden gehört, und den Republikanern wie Donald Trump einer ist.
Und die Spaltung ist bis in die Familien zu spüren. Rita Burkhardts Sohn etwa wählt demokratisch. „Bei meinem Sohn versuche ich, das Thema Politik zu vermeiden“, sagt sie. Es sei auch eine Generationenfrage, wie man wählt – und es gibt einen Unterschied zwischen Stadt- und Landbewohner, glaubt Rita Burkhardt. Und das bestätigen auch Statistiken: Laut dem Online-Portal Statista haben junge Wähler zwischen 18 und 29 Jahren in diesem Jahr zu 62 Prozent Joe Biden gewählt. Bei den über 65Jährigen liegt Trump vorne. Dazu wurden Menschen direkt nach der Wahl in den USA befragt. Außerdem haben Menschen aus Großstädten in der Mehrheit für Joe Biden und auf dem Land und in Kleinstädten für Donald Trump gestimmt.
Eine Veränderung in der Gesellschaft habe Rita Burkhardt in den letzten Jahren festgestellt. Woran macht sie das fest? „Ich lebe hier sehr ländlich, 35 Kilometer nordöstlich von Birmingham in Alabama und hier ist es ruhig. Aber in den Städten haben die Unruhen und Demonstrationen zugenommen, und die Menschen
werden brutaler“, sagt Rita Burkhardt. Themen wie die „BlackLives-Matter-Bewegung“, bei denen Menschen für die Rechte von Schwarzen kämpfen, hätten die Gesellschaft gespalten.
Als Rita Burkhardt 1969 in die USA kam, dachte sie, sie könne offen über Politik sprechen, so wie sie es auch in Deutschland konnte. Aber schnell habe sie gemerkt, dass das nicht so sei. Mittlerweile sei „free speech out“, sagt sie in einer Mischung aus Englisch und Deutsch. – „Man spricht nicht mehr frei.“Und damit meint sie die politische Einstellung. „Die Menschen diskutieren nicht mehr.“Alle seien vorsichtig geworden.
Wenn Burkhardts Bekannte und Freunde republikanisch wählen, gehören sie zu der Mehrheit. Viele südlichen Bundesstaaten der USA sind sogenannte „rote“Bundesstaaten, also solche mit republikanischer Mehrheit. Während Donald Trump dort 62,1 Prozent der Stimmen bekommen hat, haben für Joe Biden gerade mal 36,5 Prozent gestimmt. Warum ist das so? Die Gesellschaftsstruktur in Alabama hat sich von
Baumwoll- und Plantagenarbeiter hin zu einer modernen Region entwickelt. Dennoch sind die meisten Menschen sehr konservativ. Vielen ist der Besitz von Waffen wichtig, was Donald Trump immer wieder befürwortet hat. Diese Erfahrung macht auch Rita Burkhardt: „Meine Nachbarn sind alle gut bewaffnet. Die haben einfach diese Mentalität“, sagt sie. Und weiter: „Ich lebe hier im Trump-Land.“
Und wie geht es jetzt weiter? Mit der Niederlage von Donald Trump – auch wenn er sie bisher noch nicht anerkannt hat – geht für viele von Burkhardts Bekannten eine Welt unter. „Hier ist man sehr enttäuscht und niedergeschlagen“, sagt Rita Burkhardt. Auch wenn viele sich in dieser Wahl nicht zu Trump bekannt hatten, sei man jetzt sehr traurig, dass die Partei nicht die Präsidentschaft geholt hat.
Burkhardt selbst ist optimistisch, auch wenn der von ihr bevorzugte Kandidat nicht die Wahl gewonnen hat. „Ich habe sehr viel Vertrauen, dass alles gut wird“, sagt sie. Aber klar sei: „Zwischen den Menschen hat sich etwas verändert.“