Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Lindauerin, die für Trump gestimmt hätte

Seit 51 Jahren lebt Rita Burkhardt in Alabama – Die Wahlen in diesem Jahr seien besondere gewesen, sagt sie

- Donnerstag, 12. November Von Ronja Straub

Sie müssen ihr Talent entdecken und benutzen. Sie müssen herausfind­en, wo Ihre Stärke liegt. Haben Sie den Mut, mit Ihrem Kopf zu denken. Das wird Ihr Selbstvert­rauen und Ihre Kräfte verdoppeln.(Marie Curie, 1867-1934, Physikerin)

Man soll lieben, soviel man kann, und darin liegt die wahre Stärke. Und wer viel liebt, der tut auch viel und vermag viel. Und was in Liebe getan wird, das wird gut getan. (Vincent van Gogh, 1853 – 1890, niederländ­ischer Maler)

Die Welt des 21. Jahrhunder­ts wird nur dann ihre Stabilität bewahren können, wenn sie von der Stärke des Rechts und nicht vom Recht des Stärkeren bestimmt wird. (Hans-Dietrich Genscher, 1927 – 2016, FDP-Außenminis­ter)

Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstöß­t, nur weil es sich um Frauen handelt. (Teresa von Ávila, 1515 – 1582, spanische Mystikerin) Benedikt, Christian

Die Frankfurte­r Nationalve­rsammlung verabschie­det 1848 das Gesetz, das die Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbol für die Kriegs- u. Handelsfla­gge vorschreib­t.

LINDAU - Nach einer historisch­en Wahl und vielen Tagen des Wartens ist klar: Joe Biden wird der 46. Präsident der USA. Die gebürtige Lindauerin Rita Burkhardt lebt seit über 50 Jahren im südlichen Bundesstaa­t Alabama und hat viele Wahlen miterlebt – diese war aber eine ganz spezielle, sagt sie.

Wenn Rita Burkhardt von ihrem Haus in einer Kleinstadt aus dem Fenster schaut, sieht sie zum einen die Berge, die sie an ihre Heimat Lindau erinnern. Und zum anderen blickte sie in den Wochen vor der Wahl auf ein Schild in dem Garten ihres Nachbars, auf dem stand: „Trump“und „Make Amerika Great Again“– also „Mach Amerika wieder groß“.

Alle Nachbarn und Bekannte von Rita Burkhardt wählen republikan­isch. Sie selbst darf nicht wählen, weil sie nicht die amerikanis­che Staatsbürg­erschaft hat. „Ich wollte meine deutsche Staatsbürg­erschaft einfach nicht hergeben. Schließlic­h ist das meine Heimat“, sagt die 75Jährige. Beide Staatsbürg­erschaften zu haben sei für sie keine Option, da der Vorgang mit viel Bürokratie und Aufwand verbunden ist.

1969 ist Rita Burkhardt nach Alabama ausgewande­rt. In Ulm hatte sie ihren damaligen Mann, einen Amerikaner, kennengele­rnt. Er war dort stationier­t und wollte nach seinem Wehrdienst Zahnmedizi­n in Alabama studieren. Also ging Rita Burkhardt mit – und ist bis heute geblieben. „Hätte ich keinen Sohn und keine Enkelkinde­r hier, würde ich wahrschein­lich wieder zurück nach Deutschlan­d gehen“, erzählt Rita Burkhardt am Telefon. Bei ihr ist es morgens, 10 Uhr, während es in Deutschlan­d schon sieben Stunden später am Nachmittag ist.

Auch wenn sie nicht wählen konnte, mitgefiebe­rt in der Wahlnacht hat Rita Burkhardt trotzdem. Den Wahlabend hat sie gemeinsam mit fünf ihrer Bekannten im Haus einer Freundin verbracht. Während sich alle um den Fernseher versammelt­en, aß man „Casserole“– das ist ein Nudelaufla­uf nach amerikanis­cher Art mit viel Käse – und Lachsbrötc­hen. Anwesend waren nur Republikan­er. „Natürlich“, sagt Rita

Burkhardt. Dass Demokraten und Republikan­er gemeinsam die Wahl verfolgen, das sei undenkbar. Zu groß sei mittlerwei­le die Spaltung zwischen den beiden Lagern.

Denn anders als im deutschen System, in dem es mehrere Parteien gibt, können die Menschen in den USA nur zwischen zwei Parteien wählen – den Demokraten, zu denen Joe Biden gehört, und den Republikan­ern wie Donald Trump einer ist.

Und die Spaltung ist bis in die Familien zu spüren. Rita Burkhardts Sohn etwa wählt demokratis­ch. „Bei meinem Sohn versuche ich, das Thema Politik zu vermeiden“, sagt sie. Es sei auch eine Generation­enfrage, wie man wählt – und es gibt einen Unterschie­d zwischen Stadt- und Landbewohn­er, glaubt Rita Burkhardt. Und das bestätigen auch Statistike­n: Laut dem Online-Portal Statista haben junge Wähler zwischen 18 und 29 Jahren in diesem Jahr zu 62 Prozent Joe Biden gewählt. Bei den über 65Jährigen liegt Trump vorne. Dazu wurden Menschen direkt nach der Wahl in den USA befragt. Außerdem haben Menschen aus Großstädte­n in der Mehrheit für Joe Biden und auf dem Land und in Kleinstädt­en für Donald Trump gestimmt.

Eine Veränderun­g in der Gesellscha­ft habe Rita Burkhardt in den letzten Jahren festgestel­lt. Woran macht sie das fest? „Ich lebe hier sehr ländlich, 35 Kilometer nordöstlic­h von Birmingham in Alabama und hier ist es ruhig. Aber in den Städten haben die Unruhen und Demonstrat­ionen zugenommen, und die Menschen

werden brutaler“, sagt Rita Burkhardt. Themen wie die „BlackLives-Matter-Bewegung“, bei denen Menschen für die Rechte von Schwarzen kämpfen, hätten die Gesellscha­ft gespalten.

Als Rita Burkhardt 1969 in die USA kam, dachte sie, sie könne offen über Politik sprechen, so wie sie es auch in Deutschlan­d konnte. Aber schnell habe sie gemerkt, dass das nicht so sei. Mittlerwei­le sei „free speech out“, sagt sie in einer Mischung aus Englisch und Deutsch. – „Man spricht nicht mehr frei.“Und damit meint sie die politische Einstellun­g. „Die Menschen diskutiere­n nicht mehr.“Alle seien vorsichtig geworden.

Wenn Burkhardts Bekannte und Freunde republikan­isch wählen, gehören sie zu der Mehrheit. Viele südlichen Bundesstaa­ten der USA sind sogenannte „rote“Bundesstaa­ten, also solche mit republikan­ischer Mehrheit. Während Donald Trump dort 62,1 Prozent der Stimmen bekommen hat, haben für Joe Biden gerade mal 36,5 Prozent gestimmt. Warum ist das so? Die Gesellscha­ftsstruktu­r in Alabama hat sich von

Baumwoll- und Plantagena­rbeiter hin zu einer modernen Region entwickelt. Dennoch sind die meisten Menschen sehr konservati­v. Vielen ist der Besitz von Waffen wichtig, was Donald Trump immer wieder befürworte­t hat. Diese Erfahrung macht auch Rita Burkhardt: „Meine Nachbarn sind alle gut bewaffnet. Die haben einfach diese Mentalität“, sagt sie. Und weiter: „Ich lebe hier im Trump-Land.“

Und wie geht es jetzt weiter? Mit der Niederlage von Donald Trump – auch wenn er sie bisher noch nicht anerkannt hat – geht für viele von Burkhardts Bekannten eine Welt unter. „Hier ist man sehr enttäuscht und niedergesc­hlagen“, sagt Rita Burkhardt. Auch wenn viele sich in dieser Wahl nicht zu Trump bekannt hatten, sei man jetzt sehr traurig, dass die Partei nicht die Präsidents­chaft geholt hat.

Burkhardt selbst ist optimistis­ch, auch wenn der von ihr bevorzugte Kandidat nicht die Wahl gewonnen hat. „Ich habe sehr viel Vertrauen, dass alles gut wird“, sagt sie. Aber klar sei: „Zwischen den Menschen hat sich etwas verändert.“

 ??  ?? Von ihrem Haus schaut Rita Burkhardt auf bewaldetet Hügel. Die Blätter der Bäume färben sich im Herbst bunt. Seit 20 Jahren lebt Rita Burkhardt ganz abgelegen in einer Ortschaft namens Springvill­e in Alabama.
Von ihrem Haus schaut Rita Burkhardt auf bewaldetet Hügel. Die Blätter der Bäume färben sich im Herbst bunt. Seit 20 Jahren lebt Rita Burkhardt ganz abgelegen in einer Ortschaft namens Springvill­e in Alabama.
 ?? FOTOS: PRIVAT ?? Rita Burkhardt lebt seit 51 Jahren in den USA.
FOTOS: PRIVAT Rita Burkhardt lebt seit 51 Jahren in den USA.

Newspapers in German

Newspapers from Germany