Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Handspiel der unerhörten Art

Artjom Dsjuba, Kapitän der russischen Fußballaus­wahl, muss um seine Karriere bangen

- Von Stefan Scholl und unseren Agenturen

ST. PETERSBURG - Sportlich war der Skandal eigentlich schon ausgestand­en. Am Sonntag schoss Artjom Dsjuba den Siegtreffe­r für Zenit St. Petersburg gegen FK Krasnodar, wurde danach zum Spieler des Tages ernannt und gab diesen Ehrentitel an einen Mitspieler weiter, dessen Vater gerade gestorben war. Feine Geste eines 32-Jährigen, der in Russland seit der Heim-WM als Sport-Idol gilt. Damals schoss er sein Land mit drei Treffern ins Viertelfin­ale und wurde zum Fußballer des Jahres gewählt. In 47 Länderspie­len traf er stolze 26-mal.

Doch das Idol bröckelt. Am Vortag war im russischen Internet ein peinliches Video aufgetauch­t, es zeigt den Fußballer nackt, er befriedigt sich selbst. Smartphone-Sex nennt man so etwas. Für den Spieler geriet es zum öffentlich­en Schandflec­k, der nicht mit einem Tor und einer feinen Geste abzuwasche­n war. Nationaltr­ainer Stanislaw Tschertsch­essow gab bekannt, er werde seinen Kapitän und Mittelstür­mer nicht zu den nächsten Spielen einladen. Das Team müsse sich mit maximaler Konzentrat­ion vorbereite­n. „Um die Mannschaft wie auch den Spieler selbst vor überflüssi­gen Negativrea­ktionen zu bewahren“, verzichte man auf Dsjuba. Der brauche Zeit, um in sich zu gehen, bei seiner Familie zu sein.

Andrej Sosin, Ethikfunkt­ionär des russischen Fußballver­bandes, erklärte, die „Sbornaja“könne ja nicht so tun, als sei nichts passiert. „Das mag auch für Artjom besser sein, viele sagen, er sei müde, nicht besonders fit.“Es bleibe eine große Frage, ob Dsjuba sich von diesem Imageschad­en erholen werde.

Ganz offensicht­lich, dass Dsjuba nach Ansicht der russischen Fußballver­antwortlic­hen etwas sehr Schlimmes getan hat. Etwas, über das sich jetzt halb Russland ereifert. „Dsjuba hat Hand gespielt“, witzelt das Massenblat­t „Moskowski Komsomolje­z“. Der Goalgetter selbst bat um Verzeihung: „Ich bin schuldig, kann niemand anderem Vorwürfe machen. Aber ich bin nicht perfekt – wie jeder andere auch. Ich mache Fehler. Wir sind alle Sünder, leider. Ich kann mich nur schämen“, schrieb er in den sozialen Medien. Dabei wurde das Skandalvid­eo offenbar von Hackern aus seinem Smartphone gestohlen.

Fürspreche­r Dsjubas verweisen darauf, er sei in dieser Affäre Opfer, nicht Täter. Vor allem liberale Kreise machen Front für ihn. Popstar Sergei Lasarew und Star-Moderator Andrei Malachow fotografie­rten sich ebenso nackt und in lasziver Pose – unter dem Hashtag: #IchWirDsju­ba.

Auch diese Solidaritä­tskampagne wirkt irgendwie schräg. Dsjuba wird wie jemand beschuldig­t und verteidigt, der etwas Ungeheuerl­iches getan hat. Dabei hat er niemanden sexuell missbrauch­t, nicht mal belästigt. Aber Dsjuba hat Hand an sich gelegt. In Russland ist Selbstbefr­iedigung noch immer eine abgrundtie­fe Peinlichke­it. Nur absolute Loser, schreibt der Bestseller­autor Sergei Minajew in seinem Kultroman „Duchless“, säßen verängstig­t im Gebüsch und masturbier­ten. Das Land lebt im Spagat zwischen sexueller Ausschweif­ung und Verklemmth­eit, Roman Popow, Chefredakt­eur der Boulevardz­eitschrift „Tainy Swjosd“, spricht von Heuchelei.

Tatsächlic­h erinnert sich die Öffentlich­keit plötzlich an alte Sünden Dsjubas. Der Ehemann und zweifache Vater wurde einmal ertappt, als er mit einer TV-Moderatori­n herumknuts­chte. Ein andermal filmte jemand mit, als er bei einer Kabinenfei­er mit einem Mannschaft­skameraden eine Begattung simulierte. Aber all das verzieh man dem WM-Helden von 2018, im Gegensatz zum fatalen Griff ans eigene Gemächt.

Zenit-Generaldir­ektor Alexander Medwedew meinte, dass nun alles von Dsjuba selbst abhänge, aus der schwierige­n Lage herauszuko­mmen. „Eine persönlich­e Informatio­n des Stürmers ist zum Allgemeing­ut und zum Gegenstand der öffentlich­en Erörterung geworden, was so nicht sein sollte.“Dsjuba sagte, er hoffe, sein Leben in Würde weiterzufü­hren.

 ?? FOTO: MIKE KIREEV/DPA ?? Wehe dem, der Hand an sich legt: Russlands Fußballsta­r Artjom Dsjuba (li.) von Zenit St. Petersburg, hier im Zweikampf mit Wesley Hoedt von Lazio Rom, muss wegen eines Sexvideos um seine Karriere fürchten.
FOTO: MIKE KIREEV/DPA Wehe dem, der Hand an sich legt: Russlands Fußballsta­r Artjom Dsjuba (li.) von Zenit St. Petersburg, hier im Zweikampf mit Wesley Hoedt von Lazio Rom, muss wegen eines Sexvideos um seine Karriere fürchten.

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