Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der große Wumms kommt noch nicht an

Rekordschu­lden sollen Folgen der Corona-Krise abfedern – Doch Hilfen fließen nicht ab

- Von Dieter Keller

BERLIN - Erst zückte Olaf Scholz verbal die Bazooka, dann versprach er den großen Wumms – angesichts der Rezession, die durch die CoronaPand­emie ausgelöst wurde, wollte der Bundesfina­nzminister (SPD) nicht kleinlich sein. Klotzen statt Kleckern ist bei Hilfen für Bürger und Unternehme­n angesagt. Ergebnis: Der Bundestag beschloss für dieses Jahr eine Rekord-Neuverschu­ldung von 217,8 Milliarden Euro. Für 2021 sieht der Haushaltse­ntwurf weitere 96,2 Milliarden Euro vor. Was damit bislang passiert ist.

Wie sieht die Zwischenbi­lanz aus? Bis einschließ­lich September hatte der Bund ein Defizit von 72,5 Milliarden Euro. Zwar betont das Bundesfina­nzminister­ium, dass Einnahmen und Ausgaben im Jahresverl­auf stark schwanken. Dennoch zeichnet sich ab, dass der Bund seinen Kreditrahm­en bei Weitem nicht ausschöpft. Die Wirtschaft­sweisen rechnen damit, dass die Gesamtvers­chuldung des Staates in diesem Jahr um knapp 185 Milliarden Euro steigt. Darin sind allerdings Länder, Gemeinden und die Sozialvers­icherung enthalten, die alle hohe Defizite einfahren dürften. Die Schuldenqu­ote Deutschlan­ds, die 2019 erstmals seit Langem wieder unter 60 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s gefallen war, dürfte auf 72,1 Prozent steigen. Damit wäre sie noch weit von jenen 80 oder gar 90 Prozent entfernt, die zu Beginn der Krise im Raum standen.

Warum fließt das Geld nicht ab? Bürokratis­che Hürden vermutet Michael Theurer. „Mich erreichen viele Klagen von Selbststän­digen, dass die Hilfen nicht ankommen oder nahezu von den für sie notwendige­n Steuerbera­terkosten aufgefress­en werden“, sagt der FDP-Fraktionsv­ize. Er reagiert damit auf die Auskunft des Wirtschaft­sministeri­ums, dass bis Mitte Oktober nicht einmal eine Milliarde Euro Überbrücku­ngshilfe abgerufen war. Zur Verfügung stehen 25 Milliarden Euro. Inzwischen wurde etwas mehr bewilligt. Dennoch reicht das Geld nicht nur für die zweite Stufe von Oktober bis Dezember, sondern auch für die November-Hilfen für Gaststätte­n, Hotels und andere Betriebe, die dicht machen mussten. Dafür rechnet Scholz jetzt mit „deutlich über zehn Milliarden Euro“. Andere Posten sind ebenfalls bei Weitem nicht ausSchulde­nbremse gereizt. So könnte Scholz durch das Konjunktur­programm eigentlich drei Milliarden Euro an Investitio­nen vorziehen. Bisher flossen aber nur 28 Millionen Euro ab. Von den Soforthilf­en für Kleinstunt­ernehmen und Solo-Selbständi­ge waren bis Ende Oktober 13,8 Milliarden Euro abgerufen, nur gut ein Viertel der zur Verfügung stehenden Mittel.

Welchen Einfluss hat die neue Steuerschä­tzung?

Weil die Konjunktur besser läuft als befürchtet, winken dem Bund in diesem Jahr 3,4 Milliarden Euro mehr Einnahmen als nach der letzten Schätzung im September. 2021 könnte das Plus halb so hoch ausfallen. Scholz will sich trotzdem nicht festlegen, ob er mit weniger Krediten auskommt: „Wir können nicht seriös sagen, wie viel Geld wir dieses Jahr am Ende gebraucht haben werden“, sagte er bei Vorstellun­g der Zahlen am Donnerstag,

Wie geht es 2021 weiter?

Scholz will wie schon in diesem Jahr den Joker einer „außergewöh­nlichen Notsituati­on“ziehen. In einer solchen muss er sich nicht an die halten , die seit 2011 in der Verfassung verankert ist und das Regieren auf Pump bremsen sollte. In seinem Haushaltse­ntwurf, den der Bundestag im Dezember beschließe­n soll, hat Scholz 96,2 Milliarden Euro neue Schulden eingeplant. Die braucht er für vielfältig­e Zusatzausg­aben. Nur ein Teil ist coronabedi­ngt, etwa wegen der weiterhin hohen Kurzarbeit.

Und danach?

Scholz betont, er wolle ab 2022 die Schuldenbr­emse wieder einhalten, die nur wenige neue Kredite erlaubt. Doch in der Planung des Finanzmini­sters für 2022 bis 2024 hat der Präsident des Bundesrech­nungshofs, Kay Scheller, eine Lücke von 130 Milliarden Euro ausgemacht. Scheller kritisiert, die Regierung könne nicht sagen, wie sie diese schließen wolle. Außerdem weiß keiner, wie Corona künftig die Einnahmen und Ausgaben des Bundes beeinfluss­t.

Warum wird in der SPD die Schuldenbr­emse infrage gestellt? Durch Corona kämen in den nächsten Jahren auf den Staat große Aufgaben zu. Doch der sei durch die

Schuldenbr­emse im Grundgeset­z deutlich im Handeln eingeschrä­nkt, klagt der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil, und damit steht er in der SPD nicht alleine da. Forderunge­n nach einer Aufweichun­g kommen insbesonde­re aus den Ländern, die außer in Notfällen gar keine neuen Schulden machen dürfen. Scholz hat sich dem bisher nicht angeschlos­sen. Als SPD-Kanzlerkan­didat denkt er allerdings über höhere Steuern für Gutverdien­ende nach. Um die Schuldenbr­emse zu ändern, wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderli­ch. Die zu erreichen ist schwierig. Der Chefvolksw­irt im Finanzmini­sterium, Jakob von Weizsäcker, entwickelt­e schon vor der Corona-Krise andere Ideen: Der Staat könnte Geld in einen Fonds stecken, aus dem Investitio­nen etwa in die Infrastruk­tur gezahlt werden könnten. So könnte man die Schuldenbr­emse umgehen. Dafür können sich auch konservati­ve Ökonomen erwärmen, die auf den hohen Nachholbed­arf zum Beispiel bei Sanierunge­n verweisen. Dagegen lehnt Rechnungsh­ofs-Chef Scheller einen solchen Schattenha­ushalt strikt ab.

 ?? FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA ?? Will Unternehme­n und Bürgern helfen; das Geld wird aber nicht so stark abgerufen wie geplant: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD).
FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA Will Unternehme­n und Bürgern helfen; das Geld wird aber nicht so stark abgerufen wie geplant: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD).

Newspapers in German

Newspapers from Germany