Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Immer mehr Biker stören den Waldfriede­n

Corona verschärft die Konflikte – Trail könnte für Entlastung sorgen

- Von Ruth Auchter-Stellmann

RAVENSBURG - Corona treibt die Menschen in den Wald, um sich dort möglichst abseits von anderen und einer etwaigen Ansteckung­sgefahr zu bewegen und frische Luft zu schnappen. Weil sich aber nicht nur mehr Wanderer, Jogger, Nordic-Walker und Spaziergän­ger im Ravensburg­er Wald tummeln, sondern dort auch mehr Mountainbi­ker unterwegs sind, verschärfe­n sich die Konflikte zwischen den unterschie­dlichen Gruppen. Manche meinen, ein speziell angelegter Trail für Mountainbi­ker könnte für Entzerrung sorgen. Andere sehen das kritisch. Warum die Lage verzwickt ist.

Die Anrufe bei Stadtförst­er Wolfram Fürgut häufen sich: Seit den Corona-Beschränku­ngen im Frühjahr klagen insbesonde­re ältere Menschen und Mütter mit kleinen Kindern über rücksichts­lose Radler, die so plötzlich einen Hang runtergesc­hossen kommen, dass man ihnen kaum noch ausweichen könne. Fürgut versteht das: Ob Locherholz (inklusive Hirschegg), das Gewann Haslach hinter Fenken oder Langholz „von St. Christina bis rauf nach Strietach“– an fast jedem Hang „gibt es mittlerwei­le drei bis vier solche Dinger“, weiß er. Gemeint sind Trails, die allesamt illegal sind, denn: Laut Gesetz dürfen Radler nur auf Wegen fahren, die breiter als zwei Meter sind. Doch die meisten setzen sich schlicht und ergreifend darüber hinweg und bewegen sich „einfach auf fremdem Terrain“– was Fürgut ziemlich unverschäm­t findet.

Für entspreche­nde Kontrollen und Sanktionen fehlen freilich Geld und Personal, obwohl es sogar schon Unfälle gab, wie Umweltbürg­ermeister Dirk Bastin bedauert. Folge: Wenn Fürgut wild durch den Wald fahrende Mountainbi­ker auf ihr verbotenes Tun anspricht, zeigen manche ihm den Stinkefing­er, ehe sie das Weite suchen. Andere schwärmen vom Hobby in der nahezu unberührte­n Natur. Seine Hinweise, „dass diese Leute genau das kaputt machen, was sie so gern mögen“, falle in den wenigsten Fällen auf fruchtbare­n Boden.

In der Tat setzt das Biken quer durch den Wald Flora und Fauna zu: Wildtiere werden aufgescheu­cht, Wurzeln freigelegt – was die Bäume schädigen kann –, und teilweise erodieren ganze Steilhänge, wie Fürgut ausführt. Auch Gerhard Engele, als Ravensburg­er Kämmerer für den Stadtwald zuständig, weiß, dass Mountainbi­ker, die sich ihre abschüssig­en Trails bahnen, bei den Abfahrten oft frisch gepflanzte Bäumchen umnieten.

Die Lösung könnten seiner Ansicht nach ein bis zwei speziell für Mountainbi­ker angelegte Trails sein. Dann „würde das Ganze kanalisier­t, wir hätten die Radler nicht überall im Wald“– und sie würden weder Fußgängern noch Tieren in die Quere kommen. In Markdorf, wo er selbst gern mit dem Mountainbi­ke unterwegs ist, habe man mit zwei angelegten Trails am Gehrenberg gute Erfahrunge­n gemacht: Da sei abends und am Wochenende richtig was los, so Engele.

Auch der Vorsitzend­e des DAV Ravensburg, Markus Braig, kann sich vorstellen, dass ein ausgewiese­ner Trail vor Ort die Nachfrage der Mountainbi­ker befriedigt und zudem Konflikte zwischen Wanderern und Mountainbi­kern entschärft. Insbesonde­re, da man „in neuester Zeit mit dem Aufkommen des E-Mountainbi­ke-Booms Lösungen finden“müsse, wie die Menschen in den Bergen ebenso wie in den Wäldern in und um Ravensburg ihrem jeweiligen Hobby nachgehen können. Zudem sind solche Trails laut Braig „hervorrage­nd geeignet, um Kindern und Jugendlich­en in spielerisc­her Weise den Spaß an Bewegung mit dem Fahrrad in der Natur zu vermitteln“.

Alexander Herr, Leiter der Mountainbi­kegruppe im DAV, hingegen, ist gegenüber vorgegeben­en Trails eher skeptisch: Sie seien zwar nett, brächten aber vermutlich nicht die gewünschte Entlastung. Denn der klassische Mountainbi­ker sei am liebsten auf schmalen, technisch herausford­ernden, also möglichst steilen, steinigen, wurzeligen Pfaden mit vielen Kehren unterwegs – weil das Spaß macht und und Mut braucht, „vielleicht auch mal Übermut“. Da Herr das weiß und die Leute sich sonst auf eigene Faust ihre Schneisen durchs Unterholz bahnen würden, bietet er als DAV-Führer von April bis September zweimal die Woche Feierabend-Touren durch die Wälder von Ravensburg über Bodnegg bis nach Waldburg oder Wolfegg an. Nicht nur auf den breiten Waldwegen – obschon Herr weiß, dass das verboten ist: „Wenn wir nur zugelassen­e Wege fahren, kommt keiner mehr, dann fahren die Leute privat – breite Wege interessie­ren niemanden.“

Und was ist mit den dadurch aufgescheu­chten Tieren? Es gäbe auch Theorien, führt Herr ins Feld, denen zufolge die Tiere sich an die radelnden Gäste gewöhnen. Und was die Waldschäde­n betrifft, wirft er die Frage auf, ob die Schneisen, die Vollernter schlagen, nicht schlimmer seien als die Trails der Biker. Dennoch ist sich Herr bewusst, dass sich der Druck auf den Wald deutlich erhöht hat, seit es „viel, viel mehr Mountainbi­ker“– auch unter jungen Leuten – gebe. Da werde teilweise, etwa um den Lanzenreut­er Weiher bei Weingarten, „extrem reingefräs­t“. Und so räumt der DAV-Mountainbi­ker ein, dass er noch nach der idealen Lösung für eine gute Balance zwischen Hobby und Naturschut­z – mithin der Quadratur des Kreises – suche.

Im Übrigen steht in den Sternen, ob und wann Mountainbi­ke-Trails im Ravensburg­er Stadtwald entstehen. Denn allein die dafür nötige Umweltvert­räglichkei­tsprüfung würde schon mehr als 20 000 Euro kosten, schätzt Dirk Bastin. In Zeiten, in denen im Zuge der Coronakris­e Einkommenu­nd Gewerbeste­uer einbrechen, dürfte auch das Geld für einen oder mehrere Trails kaum aus dem gebeutelte­n städtische­n Haushalt herauszusc­hwitzen sein.

Kämmerer Gerhard Engele könnte sich daher vorstellen, dass man offizielle Mountainbi­ke-Trails ehrenamtli­ch anlegt. Womöglich gar mit Unterstütz­ung der Ravensburg­er Sektion des Deutschen Alpenverei­ns.

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ARCHIVFOTO: DEREK SCHUH Immer mehr Mountainbi­ker preschen auch durch abgelegene Ecken im Wald.

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