Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Immer mehr Biker stören den Waldfrieden
Corona verschärft die Konflikte – Trail könnte für Entlastung sorgen
RAVENSBURG - Corona treibt die Menschen in den Wald, um sich dort möglichst abseits von anderen und einer etwaigen Ansteckungsgefahr zu bewegen und frische Luft zu schnappen. Weil sich aber nicht nur mehr Wanderer, Jogger, Nordic-Walker und Spaziergänger im Ravensburger Wald tummeln, sondern dort auch mehr Mountainbiker unterwegs sind, verschärfen sich die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Gruppen. Manche meinen, ein speziell angelegter Trail für Mountainbiker könnte für Entzerrung sorgen. Andere sehen das kritisch. Warum die Lage verzwickt ist.
Die Anrufe bei Stadtförster Wolfram Fürgut häufen sich: Seit den Corona-Beschränkungen im Frühjahr klagen insbesondere ältere Menschen und Mütter mit kleinen Kindern über rücksichtslose Radler, die so plötzlich einen Hang runtergeschossen kommen, dass man ihnen kaum noch ausweichen könne. Fürgut versteht das: Ob Locherholz (inklusive Hirschegg), das Gewann Haslach hinter Fenken oder Langholz „von St. Christina bis rauf nach Strietach“– an fast jedem Hang „gibt es mittlerweile drei bis vier solche Dinger“, weiß er. Gemeint sind Trails, die allesamt illegal sind, denn: Laut Gesetz dürfen Radler nur auf Wegen fahren, die breiter als zwei Meter sind. Doch die meisten setzen sich schlicht und ergreifend darüber hinweg und bewegen sich „einfach auf fremdem Terrain“– was Fürgut ziemlich unverschämt findet.
Für entsprechende Kontrollen und Sanktionen fehlen freilich Geld und Personal, obwohl es sogar schon Unfälle gab, wie Umweltbürgermeister Dirk Bastin bedauert. Folge: Wenn Fürgut wild durch den Wald fahrende Mountainbiker auf ihr verbotenes Tun anspricht, zeigen manche ihm den Stinkefinger, ehe sie das Weite suchen. Andere schwärmen vom Hobby in der nahezu unberührten Natur. Seine Hinweise, „dass diese Leute genau das kaputt machen, was sie so gern mögen“, falle in den wenigsten Fällen auf fruchtbaren Boden.
In der Tat setzt das Biken quer durch den Wald Flora und Fauna zu: Wildtiere werden aufgescheucht, Wurzeln freigelegt – was die Bäume schädigen kann –, und teilweise erodieren ganze Steilhänge, wie Fürgut ausführt. Auch Gerhard Engele, als Ravensburger Kämmerer für den Stadtwald zuständig, weiß, dass Mountainbiker, die sich ihre abschüssigen Trails bahnen, bei den Abfahrten oft frisch gepflanzte Bäumchen umnieten.
Die Lösung könnten seiner Ansicht nach ein bis zwei speziell für Mountainbiker angelegte Trails sein. Dann „würde das Ganze kanalisiert, wir hätten die Radler nicht überall im Wald“– und sie würden weder Fußgängern noch Tieren in die Quere kommen. In Markdorf, wo er selbst gern mit dem Mountainbike unterwegs ist, habe man mit zwei angelegten Trails am Gehrenberg gute Erfahrungen gemacht: Da sei abends und am Wochenende richtig was los, so Engele.
Auch der Vorsitzende des DAV Ravensburg, Markus Braig, kann sich vorstellen, dass ein ausgewiesener Trail vor Ort die Nachfrage der Mountainbiker befriedigt und zudem Konflikte zwischen Wanderern und Mountainbikern entschärft. Insbesondere, da man „in neuester Zeit mit dem Aufkommen des E-Mountainbike-Booms Lösungen finden“müsse, wie die Menschen in den Bergen ebenso wie in den Wäldern in und um Ravensburg ihrem jeweiligen Hobby nachgehen können. Zudem sind solche Trails laut Braig „hervorragend geeignet, um Kindern und Jugendlichen in spielerischer Weise den Spaß an Bewegung mit dem Fahrrad in der Natur zu vermitteln“.
Alexander Herr, Leiter der Mountainbikegruppe im DAV, hingegen, ist gegenüber vorgegebenen Trails eher skeptisch: Sie seien zwar nett, brächten aber vermutlich nicht die gewünschte Entlastung. Denn der klassische Mountainbiker sei am liebsten auf schmalen, technisch herausfordernden, also möglichst steilen, steinigen, wurzeligen Pfaden mit vielen Kehren unterwegs – weil das Spaß macht und und Mut braucht, „vielleicht auch mal Übermut“. Da Herr das weiß und die Leute sich sonst auf eigene Faust ihre Schneisen durchs Unterholz bahnen würden, bietet er als DAV-Führer von April bis September zweimal die Woche Feierabend-Touren durch die Wälder von Ravensburg über Bodnegg bis nach Waldburg oder Wolfegg an. Nicht nur auf den breiten Waldwegen – obschon Herr weiß, dass das verboten ist: „Wenn wir nur zugelassene Wege fahren, kommt keiner mehr, dann fahren die Leute privat – breite Wege interessieren niemanden.“
Und was ist mit den dadurch aufgescheuchten Tieren? Es gäbe auch Theorien, führt Herr ins Feld, denen zufolge die Tiere sich an die radelnden Gäste gewöhnen. Und was die Waldschäden betrifft, wirft er die Frage auf, ob die Schneisen, die Vollernter schlagen, nicht schlimmer seien als die Trails der Biker. Dennoch ist sich Herr bewusst, dass sich der Druck auf den Wald deutlich erhöht hat, seit es „viel, viel mehr Mountainbiker“– auch unter jungen Leuten – gebe. Da werde teilweise, etwa um den Lanzenreuter Weiher bei Weingarten, „extrem reingefräst“. Und so räumt der DAV-Mountainbiker ein, dass er noch nach der idealen Lösung für eine gute Balance zwischen Hobby und Naturschutz – mithin der Quadratur des Kreises – suche.
Im Übrigen steht in den Sternen, ob und wann Mountainbike-Trails im Ravensburger Stadtwald entstehen. Denn allein die dafür nötige Umweltverträglichkeitsprüfung würde schon mehr als 20 000 Euro kosten, schätzt Dirk Bastin. In Zeiten, in denen im Zuge der Coronakrise Einkommenund Gewerbesteuer einbrechen, dürfte auch das Geld für einen oder mehrere Trails kaum aus dem gebeutelten städtischen Haushalt herauszuschwitzen sein.
Kämmerer Gerhard Engele könnte sich daher vorstellen, dass man offizielle Mountainbike-Trails ehrenamtlich anlegt. Womöglich gar mit Unterstützung der Ravensburger Sektion des Deutschen Alpenvereins.