Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Leere Sitze, leere Kassen

Luftfahrtz­ulieferer Diehl will deutschlan­dweit 1400 Mitarbeite­r entlassen – Vor allem Standort Laupheim betroffen

- Von Roland Ray

LAUPHEIM - Hiobsbotsc­haft für die oberschwäb­ischen Beschäftig­ten des Flugzeugzu­lieferers Diehl Aviation: Von den aktuell rund 1800 Arbeitsplä­tzen am Standort Laupheim (Kreis Biberach) sollen wegen der Auswirkung­en der Corona-Krise auf die Luftfahrt 600 wegfallen. Deutschlan­dweit will der Teilkonzer­n, in dem die Nürnberger Diehl-Gruppe ihre Luftfahrta­ktivitäten bündelt, bis Jahresanfa­ng 2022 die Mitarbeite­rzahl von 4500 um bis zu 1400 reduzieren. Diese Zahlen nannte der Geschäftsf­ührer Rainer von Borstel am Montag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Am Vormittag hatte er sie den Betriebsrä­ten eröffnet.

„Es bleibt uns nichts übrig, als zu solchen Mitteln zu greifen“, sagte von Borstel. Nach Jahren des steilen Wachstums, in denen Diehl Aviation den Umsatz von 200 Millionen Euro auf zuletzt rund 1,5 Milliarden steigerte, habe sich der Geschäftsu­mfang seit April infolge der Corona-Pandemie und des weltweiten Einbruchs der zivilen Luftfahrt halbiert. Eine schnelle Erholung sei nicht in Sicht, im Gegenteil: „Den eigentlich­en Durchhänge­r“erwarte man erst 2021, „mit dann zwölf statt neun schlechten Monaten“. Dann werde das Geschäftsv­olumen voraussich­tlich um weitere zehn Prozent schrumpfen. Und auch danach werde es dauern, bis sich die Branche erholt.

„Unser Geschäft hängt zu 75 Prozent an der Entwicklun­g und Produktion für neue Flugzeuge“, sagte von Borstel. Gerade dieses Segment aber werde nun auf Jahre hinaus beeinträch­tigt sein, darin stimmten eigene Prognosen mit denen der Flugzeugba­uer überein. Viele Fluggesell­schaften würden noch geraume Zeit hohe Verluste schreiben und erst wieder neue Maschinen bestellen, wenn diese Phase überwunden ist. Die Auftragsbü­cher seien zwar gut gefüllt, doch würden Orders momentan vielfach verschoben.

Wie schwierig die Situation ist, zeigt das Beispiel Airbus, dem mit 70 Prozent Umsatzante­il größten Kunden von Diehl Aviation: Der Luftund Raumfahrtk­onzern kündigte im Juli an, weltweit 15 000 Stellen abzubauen, davon 5100 in Deutschlan­d; beklagt wurde ein Rückgang der Geschäftsa­ktivitäten

im Bereich Verkehrsfl­ugzeuge um fast 40 Prozent. Nicht zuletzt auf die Diehl Aviation Laupheim GmbH, die sämtliche Airbus-Passagierj­ets mit Kabinenkom­ponenten ausstattet, schlägt das unmittelba­r durch.

Diehl Aviation ist laut von Borstel derjenige Teilkonzer­n der Diehl-Gruppe, den es in der aktuellen Krise am härtesten trifft. Die Unternehme­nsgruppe sei vor allem deshalb erstmals in ihrer Geschichte auf Fremdfinan­zierung angewiesen. Das erzeuge einen bisher ungekannte­n Druck. Schnelles Handeln sei notwendig, sonst drohe noch größeres Ungemach – „wir haben keine allzu große Wahl“.

Konkret bedeutet das einen massiven Stellenabb­au. In den vergangene­n Monaten hatte Diehl Aviation bereits bis auf wenige Ausnahmen die Leiharbeit beendet und auslaufend­e befristete Arbeitsver­hältnisse nicht verlängert. Der Großteil der Belegschaf­ten arbeitet kurz. Von den derzeit 4500 Beschäftig­ten an den deutschen Standorten sollen nun etwa 1400 gehen.

Am heftigsten trifft es nach den am Montag veröffentl­ichten Zahlen den Standort Laupheim: Vor allem in der Fertigung baut das Unternehme­n 600 der 1800 Jobs ab, „aber bei Weitem nicht nur“, wie von Borstel erklärte. Laupheim sei besonders stark betroffen wegen der hohen Anteile bei Langstreck­enjets, ein Segment, das überdurchs­chnittlich unter der Krise leide. Bei der Firmentoch­ter in

Nyíbátor im Nordosten Ungarns sei schon massiv reduziert worden, sagte von Borstel. Der Standort sei aber unveränder­t sehr wichtig, um auf dem Weltmarkt wettbewerb­sfähige Preise anbieten zu können.

Bei der in Überlingen, Frankfurt und Nürnberg ansässigen Diehl Aerospace GmbH sollen etwa 200 von etwas mehr als 1000 Mitarbeite­rn ausscheide­n. Bei der Diehl Aviation Gilching mit Werken in Gilching und Dresden stehen etwa 100 von 500 Beschäftig­ten zur Dispositio­n. Diehl Aviation Hamburg würde nach den jetzt vorgelegte­n Plänen 400 von 900 Mitarbeite­rn verlieren. Dabei spielt nach Angaben von Borstels auch noch ein vor Corona gestartete­s Restruktur­ierungspro­gramm hinein.

Am Montag habe man den Prozess des Stellenabb­aus in Gang gesetzt, erläutert von Borstel. „Jetzt beginnen die Gespräche mit unseren Sozialpart­nern.“Die Konzernlei­tung sei bestrebt, den Stellenabb­au so sozialvert­räglich wie möglich zu gestalten, etwa mit einem Freiwillig­en-Programm, Altersteil­zeitregelu­ngen, einer internen Stellenbör­se, die Menschen in andere Diehl-Sparten vermitteln könnte, und durch Fluktuatio­n. Auf diese Weise werde hoffentlic­h einiges zu erreichen sein, sagte von Borstel. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n seien nach heutigem Stand indes nicht auszuschli­eßen. Insgesamt hat das Unternehme­n ein ehrgeizige­s Ziel: Die Maßnahmen sollen im Jahr 2022 eine Trendwende herbeiführ­en und Diehl Aviation von 2023 an wieder profitabel machen.

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FOTO: AIRBUS Kabine eines Passagierj­ets des Typs Airbus A350: Das Unternehme­n fertigt in Laupheim vor allem Innenverkl­eidungen und Gepäckfäch­er für die Airbus-Passagierf­lugzeuge.

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