Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Es tropft nicht

- Von Roswitha Stumpp

So schwer erträglich, belastend und einengend dieses ungebetene Virus auch ist, eines habe ich festgestel­lt: Es erzieht uns. Auf einmal sind Genauigkei­t, Höflichkei­t, und ja, Gehorsam wieder gefragt.

Sich mit drei vollen Einkaufstü­ten und einer koffergroß­en Umhängetas­che zum hintersten Tisch durchzuzwä­ngen oder gar – das ist mir in Lindau an einem von Touristen wuselnden Sommertag mal passiert – zusehen zu müssen, wie eine ältere Dame quer über die Inselprome­nade rannte, um den weit und breit einzigen gerade frei gewordenen Tisch in Beschlag zu nehmen, auf den ich auch ein Auge geworfen hatte – also das gibt’s nicht mehr.

Schön am Eingang warten, heißt jetzt die Devise, bis man einen Tisch zugewiesen bekommt. Aber bevor es so weit ist, kommt erst die gefürchtet­e Frage: „Haben Sie reserviert?“Spontan ist anders. Sitzt man dann glücklich am Tisch, kommt der Anwesenhei­tszettel. Ich war mit der Freundin beim Kaffeetrin­ken und trug brav in die vorgesehen­en Spalten Name, Telefonnum­mer und Datum ein. Die Uhrzeit? Meine Uhr zeigte sechs nach zwei. Blöde Zeit. Ich trug 14.00 Uhr ein. Daraufhin hielt mir die Bedienung einen Vortrag über die Wichtigkei­t von Korrekthei­t in Corona-Zeiten. Ja, Ja. Ich hab’s verstanden.

Und egal, ob beim Einkauf oder in der Gastronomi­e, am Eingang heißt es „Hände desinfizie­ren“. Das tut man natürlich. Wobei – es ist kaum zu glauben, mit welchem Einfallsre­ichtum die Hersteller von Desinfekti­onsmittels­pendern gesegnet sind. Bedienungs­hebel seitlich, oben, unten, hinten oder gar keine, weil es sich um einen berührungs­losen Sensor-Spender handelt. Die haben ihre besonderen Tücken. Nämlich gerade dann, wenn man denkt, das Ding funktionie­rt nicht und die Hände wegzieht, sprüht es großzügig. Daneben halt.

„Es tropft“, sagte ich an der Theke. „Es tropft nicht“, hieß es. „Sie haben es falsch bedient. Es tropft nicht!“Natürlich nicht.

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