Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Es tropft nicht
So schwer erträglich, belastend und einengend dieses ungebetene Virus auch ist, eines habe ich festgestellt: Es erzieht uns. Auf einmal sind Genauigkeit, Höflichkeit, und ja, Gehorsam wieder gefragt.
Sich mit drei vollen Einkaufstüten und einer koffergroßen Umhängetasche zum hintersten Tisch durchzuzwängen oder gar – das ist mir in Lindau an einem von Touristen wuselnden Sommertag mal passiert – zusehen zu müssen, wie eine ältere Dame quer über die Inselpromenade rannte, um den weit und breit einzigen gerade frei gewordenen Tisch in Beschlag zu nehmen, auf den ich auch ein Auge geworfen hatte – also das gibt’s nicht mehr.
Schön am Eingang warten, heißt jetzt die Devise, bis man einen Tisch zugewiesen bekommt. Aber bevor es so weit ist, kommt erst die gefürchtete Frage: „Haben Sie reserviert?“Spontan ist anders. Sitzt man dann glücklich am Tisch, kommt der Anwesenheitszettel. Ich war mit der Freundin beim Kaffeetrinken und trug brav in die vorgesehenen Spalten Name, Telefonnummer und Datum ein. Die Uhrzeit? Meine Uhr zeigte sechs nach zwei. Blöde Zeit. Ich trug 14.00 Uhr ein. Daraufhin hielt mir die Bedienung einen Vortrag über die Wichtigkeit von Korrektheit in Corona-Zeiten. Ja, Ja. Ich hab’s verstanden.
Und egal, ob beim Einkauf oder in der Gastronomie, am Eingang heißt es „Hände desinfizieren“. Das tut man natürlich. Wobei – es ist kaum zu glauben, mit welchem Einfallsreichtum die Hersteller von Desinfektionsmittelspendern gesegnet sind. Bedienungshebel seitlich, oben, unten, hinten oder gar keine, weil es sich um einen berührungslosen Sensor-Spender handelt. Die haben ihre besonderen Tücken. Nämlich gerade dann, wenn man denkt, das Ding funktioniert nicht und die Hände wegzieht, sprüht es großzügig. Daneben halt.
„Es tropft“, sagte ich an der Theke. „Es tropft nicht“, hieß es. „Sie haben es falsch bedient. Es tropft nicht!“Natürlich nicht.