Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Querdenker“-Auftritt alarmiert Jugendamt

Rede von Elfjährige­r löst Empörung aus

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KARLSRUHE (lsw) - Dass Kinder bei „Querdenken“-Demos unter den Protestier­enden sind, ist nicht mehr überrasche­nd. Nicht mal, dass sie auf der Bühne stehen. Dass eine Elfjährige aber ihren Geburtstag unter coronabedi­ngten Einschränk­ungen mit der Situation des jüdischen Mädchens Anne Frank im Zweiten Weltkrieg vergleicht, ruft die Behörden auf den Plan. Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) warnte vor der zunehmende­n Radikalisi­erung der „Querdenken“-Bewegung.

Die Elfjährige hatte am Samstag auf der Bühne eine Rede vorgelesen, in der sie sagte, die Geburtstag­sfeier mit ihren Freunden sei anders gewesen als in den Jahren davor: „Wir mussten die ganze Zeit leise sein, weil wir sonst vielleicht von unseren Nachbarn verpetzt worden wären. Ich fühlte mich wie bei Anne Frank im Hinterhaus, wo sie mucksmäusc­henstill sein mussten, um nicht erwischt zu werden.“Bis zu 1000 Menschen hatten sich bei der Demonstrat­ion versammelt.

Die Polizei übergab die Dokumentat­ion des Falls durch den Staatsschu­tz am Dienstag der Staatsanwa­ltschaft. Diese teilte mit, die Prüfung des Falls habe keine hinreichen­den Anhaltspun­kte für ein strafbares Verhalten ergeben. Abgesehen davon, dass das Kind selbst strafunmün­dig sei, werde auch nicht gegen die Eltern ermittelt, sagte der Sprecher. Die Stadt Pforzheim, in der das Mädchen lebt, kündigte jedoch an, das Jugendamt werde das Gespräch mit den Eltern der Schülerin suchen.

Anne Frank hatte von 1942 bis 1944 mit ihrer Familie in Amsterdam im Versteck vor den deutschen Nationalso­zialisten gelebt und dort ihr weltberühm­tes Tagebuch geschriebe­n. Sie starb im Frühjahr 1945 im Konzentrat­ionslager Bergen Belsen im Alter von 15 Jahren.

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der baden-württember­gischen Landesregi­erung, Michael Blume, sprach von einer „neuen Eskalation“: NS-Vergleiche habe es die ganze Zeit bei den Protesten gegen die Corona-Politik gegeben. „Neu ist, dass Kinder in offensive Rollen und zum Mitmachen gedrängt werden“, sagte Blume. „Der Antisemiti­smus greift jetzt gezielt nach Kindern und setzt Kinder gezielt ein, um Tabus zu brechen.“

Aus Sicht des Kinderschu­tzbunds sind Auftritte wie der in Karlsruhe bislang Einzelfäll­e. Es sei aber ein gängiges politische­s Mittel auf solchen Veranstalt­ungen, Kinder zu instrument­alisieren, sagte eine Sprecherin des Bundesverb­ands. Eine Elfjährige könne ihren Eltern da nichts entgegense­tzen. „Es ist schlimm, dass sie sich nicht zu schade sind, ihre Kinder für ihre Zwecke einzusetze­n.“Wie Blume verwies sie darauf, dass Kinder bei den Gegnern der Corona-Maßnahmen immer wieder Thema sind. So werde verbreitet, Kinder würden wegen Masken sterben.

Die Demo-Veranstalt­er von „Querdenken­721“, dem Karlsruher Ableger der „Querdenken“-Bewegung, wollten sich auf Anfrage zunächst nicht zu der Debatte äußern.

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