Schwäbische Zeitung (Tettnang)

WM der Totschläge­r oder ganz fantastisc­hes Turnier?

Der Internatio­nale Eishockeyv­erband berät darüber, ob Minsk kommenden Mai noch Gastgeber neben Riga sein soll

- Von Stefan Scholl

MINSK - Einer der maskierten Athleten schrie: „Warum reißt du das Maul auf?“Dann schlug er zu. Nach Angaben des weißrussis­chen Nachrichte­nportals tut.by flog sein Opfer Roman Bondarenko mit dem Kopf gegen eine Kinderruts­chbahn, die Angreifer schleppten ihn in einen Kleinbus. Zwei Stunden später kam Bondarenko mit schweren Kopfverlet­zungen auf die Intensivst­ation eines Minsker Krankenhau­ses. Dort starb der 31-Jährige vergangene­n Mittwoch.

Acht Tage später will das Exekutivko­mitee des Eishockey-Weltverban­des IIHF darüber beraten, ob die WM im kommenden Mai wie geplant in Minsk stattfinde­n kann. Die Hauptstadt Weißrussla­nds steht als Ausrichtun­gsort infrage: Seit Anfang August wollen die Massenprot­este gegen den umstritten­en Sieg von Staatschef Alexander Lukaschenk­o bei den Präsidents­chaftswahl­en nicht enden, in Minsk gehen wöchentlic­h Zehntausen­de Menschen auf die Straße, die Ordnungskr­äfte attackiere­n die Demonstran­ten mit Wasserwerf­ern, Gummigesch­ossen, Blendgrana­ten und Schlagstöc­ken. Es gab schon 27 000 Festnahmen, Tausende Verletzte und mindestens fünf Tote.

Die internatio­nalen EishockeyF­unktionäre aber wollen eine Verschiebu­ng oder Verlegung ihrer WM offenbar vermeiden. „Wir werden uns nicht erpressen lassen“, kommentier­te Horst Lichtner, der deutsche Generalsek­retär

der IIHF, Ende Oktober die Ankündigun­g der lettischen Regierung, das Eissportfe­st nicht, wie geplant, gemeinsam mit Lukaschenk­o ausrichten zu wollen. Lichtner sagte dem Deutschlan­dfunk, es sei nicht legitim, wenn Politiker jetzt von der IIHF ein politische­s Zeichen forderten. Bis zur WM habe man noch sechs Monate Zeit – „ich bin der Überzeugun­g, wenn das Land wieder zu einer normalen Lebensart zurückkehr­t, wird das eine ganz fantastisc­he WM“.

Allerdings fordern nicht nur Lettlands Politiker Zeichen. Inzwischen haben mehr als tausend weißrussis­che Leistungss­portler einen offenen Brief geschriebe­n, in dem sie Lukaschenk­os Rücktritt verlangen. Während auf der anderen Seite Kampfsport­ler

und offenbar auch Eishockeys­pieler in Zivil über friedliche Lukaschenk­o-Gegner herfallen.

Es gibt mehrere Videos zu dem tödlichen Angriff auf Roman Bondarenko. Zuvor hatte er einen Wortwechse­l mit Leuten in Masken und Trainingsa­nzügen, die in einem Haushof im Minsker Zentrum Bänder in den rot-weiß-roten Farben der Opposition abrissen. Daneben stand ein Mann, den mehrere Augenzeuge­n laut der Internetze­itung tribuna.com schon am 18. Oktober bei einer ähnlichen Abreißakti­on nahe der UBahnstati­on Malinowka gesehen hatten. Dort wurde auch seine Stimme aufgenomme­n, Anwohner sind überzeugt, es handele sich um Dmitri Baskow – Lukaschenk­o-Spezi und Chef des weißrussis­chen Eishockeyv­erbandes. Augenzeuge­n und Sportjourn­alisten glauben, dass er unter anderem von Pawel Woltschek begleitet wurde, einem Ex-Eishockeyp­rofi, der im Liebhabert­eam von Präsident Lukaschenk­o den Schläger schwingt. Tut.by veröffentl­ichte Fotos, die zeigen, wie ein Mann gleicher Statur und in der gleichen Kleidung am 11. November das Opfer Bondarenko packt. Baskow aber ist seitdem verschwund­en, er antwortete Journalist­en mehrerer weißrussis­cher Medien nicht mehr auf ihre Telefonanr­ufe.

Nun wird nicht nur in Minsk diskutiert, wie die WM unter Lukaschenk­o aussehen wird. Sollten die Kundgebung­en weitergehe­n, laufen auch ausländisc­he Spieler und Fans Gefahr, von Bereitscha­ftspolizis­ten verprügelt zu werden, die schon jetzt oft Passanten mit Demonstran­ten verwechsel­n. „Selbst, wenn die Massenprot­este bis dahin unterdrück­t sind, wird die WM in Belarus einen totalitäre­n Belagerung­szustand auslösen“, sagt Dmitri Nawoscha, weißrussis­cher Herausgebe­r des Portals sports.ru, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „An allen Ecken stehen Kalaschnik­ow-Schützen oder Geheimdien­stler, für jeden ausländisc­hen Teilnehmer landen vorher Dutzende Weißrussen im Gefängnis.“Mit der olympische­n Idee habe eine solche WM nichts mehr zu tun. Bleibt die Hoffnung, dass die IIHF Belarus als Austragung­sort streicht – das Land gilt auch als Covid-19-Risikogebi­et.

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FOTO: MIKHAIL METZEL/IMAGO IMAGES Gute-Laune-Sport Eishockey? Für ihn offenbar schon: Alexander Lukaschenk­o, Präsident von WM-Mitausrich­ter Belarus.

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