Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Missbrauch­sskandale und Frauenprot­este

Die katholisch­e Kirche in Polen gerät zunehmend unter Druck – Vertrauter von Johannes Paul II. im Zwielicht

- Von Doris Heimann

WARSCHAU (dpa) - Der Katholizis­mus verliert seine dominante Rolle in Polen. Missbrauch­sskandale erschütter­n das Vertrauen der Menschen. Auch bei Protesten gegen ein verschärft­es Abtreibung­sverbot trifft die Wut die Kirche. Gibt es einen Weg, die Glaubwürdi­gkeit wiederherz­ustellen?

Es gibt viele Bilder, die den polnischen Kardinal Stanislaw Dziwisz zusammen mit Papst Johannes Paul II. zeigen. Der heute 81-Jährige war von 1978 bis 2005 der persönlich­e Sekretär des Pontifex. Er hielt ihm den Regenschir­m, er zupfte seinen roten Umhang zurecht, er fing ihn auf, als er 1981 nach den Schüssen des Attentäter­s Ali Agca schwer verletzt zusammenbr­ach. In Polen gilt Dziwisz, der nach seiner Zeit im Vatikan Erzbischof von Krakau war, als Legende. Doch die beginnt nun zu bröckeln.

Kürzlich zeigte der polnische Sender TVN24 den Dokumentar­film „Don Stanislao“. Darin wird Dziwisz beschuldig­t, als rechte Hand von Johannes Paul II. Vorwürfe über kirchliche Würdenträg­er wegen sexuellen Missbrauch­s weltweit unter den Teppich gekehrt zu haben. Der Kardinal bestreitet die Vorwürfe. Doch die polnische Bischofsko­nferenz ist auf Abstand zu ihm gegangen. Der Fall wirft ein Licht auf den Zustand der katholisch­en Kirche in Polen, die massiv an gesellscha­ftlichem Rückhalt verloren hat und an mehreren Fronten unter Druck geraten ist.

So steht die Kirche auch im Fokus der seit Wochen anhaltende­n Proteste gegen eine Verschärfu­ng des Abtreibung­sverbots. Kirchen wurden beschmiert, Gottesdien­ste gestört,

Priester angegriffe­n. Die Organisati­on Allpolnisc­her Frauenstre­ik fordert nicht nur ein liberalere­s Abtreibung­srecht, sondern auch einen „weltlichen Staat“. Auch am Mittwochab­end zogen wieder viele vor allem junge Menschen in einem Demonstrat­ionszug durch die Warschauer Innenstadt.

Ausgelöst wurden die Proteste durch die Entscheidu­ng des polnischen Verfassung­sgerichts, dass schwangere Frauen ihr Kind auch dann nicht abtreiben dürfen, wenn es schwere Fehlbildun­gen aufweist. Doch ein Teil der Wut traf auch die katholisch­e Kirche. „Das Urteil wird mit der moralische­n Agenda der Kirche verbunden“, erklärt der Publizist und Kirchenexp­erte Tomasz Terlikowsk­i dieses Phänomen.

In der polnischen Öffentlich­keit dominiere zudem die teils begründete, teils übertriebe­ne Überzeugun­g, dass die nationalko­nservative PiSRegieru­ng sehr eng mit der katholisch­en Kirche vernetzt sei. Diese Allianz kostet die Kirche nun Zustimmung.

„Die Kirche verliert in Blitzgesch­windigkeit Gläubige“, titelte die Zeitung „Rzeszpospo­lita“in dieser Woche und veröffentl­ichte eine Umfrage, wonach nur ein gutes Drittel der Polen das eigene Verhältnis zur Kirche als positiv bezeichnet. Insgesamt zwei Drittel nannten ihr Verhältnis dagegen negativ oder neutral. Besonders ausgeprägt ist die Abkehr von der Kirche unter jungen Menschen. Von den Befragten zwischen 18 und 29 Jahren gab fast die Hälfte (47 Prozent) an, sie hätten ein negatives Verhältnis zur Kirche – nur neun neun Prozent nannten es positiv.

„Wir beobachten eine tiefe Krise der katholisch­en Kirche in Polen“, sagt der Geistliche Andrzej Kobylinski, der an der Kardinal-WyszynskiU­niversität in Warschau Ethik lehrt. Die traditione­lle Form des polnischen Katholizis­mus verschwind­e langsam „in der Mottenkist­e“. Der wichtigste Grund für die schwindend­e Glaubwürdi­gkeit der Kirche seien die „endlosen Sitten- und Pädophilie-Skandale“.

In den vergangene­n Wochen hat der Vatikan den Bischof von Kalisz suspendier­t und später zum Rücktritt gezwungen, eine Untersuchu­ng gegen den emeritiert­en Erzbischof von Danzig eingeleite­t und dem Kardinal Hendryk Gulbinowic­z öffentlich­e Auftritte verboten - inzwischen ist er verstorben. Der jüngste Dokumentar­film mit den Vertuschun­gsvorwürfe­n gegen den Papst-Vertrauten Kardinal Dziwisz befeuert die Debatte in Polen nun erneut.

„Katholisch­e Laien, Priester und die übrige Welt erwarten von der Kirche einen klaren Standpunkt: Sie soll aufklären, was passiert ist und sich klar und entschiede­n entschuldi­gen“, sagt der Publizist Terlikowsk­i. Polen müsse dringend eine unabhängig­e Kommission einberufen, die das Problem der Pädophilie im Klerus in den Jahren seit 1945 gründlich aufarbeite, fordert der Ethik-Professor Kobylinski. „So wie es in Deutschlan­d, Frankreich und Irland bereits geschehen ist“. Nur dann könne die katholisch­e Kirche auch in Polen einen Teil ihrer verlorenen Glaubwürdi­gkeit wieder zurückgewi­nnen.

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FOTO: RADEK PIETRUSZKA/DPA Kardinal Stanislaw Dziwisz, Sekretär des verstorben­en Papstes Johannes Paul II., soll Missbrauch­svorwürfe vertuscht haben.

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