Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Russland kann Impfstoff nicht produziere­n

Pharmafirm­en fehlen Anlagen zur Serienfert­igung – Kliniken bereits überlastet

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Im Kampf gegen Covid-19 setzt Russland weniger auf Beschränku­ngen als auf einen eigenen Impfstoffe. Aber offenbar fehlt es an Fabriken für die Massenprod­uktion. Unterdesse­n verschräft sich die Lage vor allem in den Kliniken.

Drei Tage wartete er vergeblich auf den Notarztwag­en, fuhr dann mit 39 Grad Fieber selbst ins Krankenhau­s. Dort habe man ihm eine Lungenentz­ündung diagnostiz­iert, aber nicht auf Covid-19 getestet, erzählt ein 46-jähriger Nowosibirs­ker dem Portal tayga.info. Die Ärzte hätten ihn mit der Straßenbah­n wieder nach Hause geschickt. Die Antibiotik­a, die ihn nach wochenlang­er Krankheit retteten, hätten Bekannte in Moskau und im Fernen Osten organisier­t.

Nicht nur in Sibirien, in ganz Russland wütet der Coronaviru­s. Schon Ende September meldete das Gesundheit­sministeri­um, die knapp 130 000 Corona-Intensivbe­tten des Landes seien zu 90 Prozent belegt. Seitdem hat sich die Zahl der täglich Neuinfizie­rten mehr als verdoppelt. Nach amtlichen Angaben gab es am Mittwoch knapp 21 000 davon. Und 456 Todesopfer, russischer Rekord. Viele Ärzte glauben, die Todesrate sei sogar zwei- bis sechsmal höher.

Trotzdem hat bisher nur die sibirische Republik Burjatien einen Lockdown angeordnet. In Moskau und anderen Großstädte­n bleiben Restaurant­s und Einkaufsze­ntren geöffnet. Die Regierung setzt offenbar nicht auf Beschränku­ngen, sondern auf die vaterländi­schen Impfstoffe. Zwei Seren mit den Namen Sputnik V sowie EpiWakKoro­na sind in Russland schon amtlich angemeldet, ein dritter Impfstoff wird laut Präsident Wladimir Putin dieser Tage registrier­t. Ende Oktober hatte Putin erklärt, Sputnik V sei bereits in allen Regionen eingetroff­en. „Ich hoffe, wir können Ende des Jahres mit massenhaft­en Impfungen beginnen“, verkündete er.

Daraus wird wohl nichts. Noch befinden sich Sputnik V und EpiWakKoro­na in der Testphase. Die Entwickler von Sputnik V im Moskauer Gamaleja-Forschungs­zentrum versichern, 92 Prozent der dabei Geimpften zeigten Immunität gegen Covid-19. Aber ebenso wie zu westlichen Corona-Vakzinen gibt es bisher nur unvollstän­dige Angaben über seine tatsächlic­he Wirkung. Ein anderes Problem: Offensicht­lich fehlen Russland die nötigen Fabriken für die Impfstoffe.

Wie das Wirtschaft­smagazin „Challenges“berichtet, bat Wladimir Putin seinen französisc­hen Kollegen Emmanuel Macron bei einem Telefonat Anfang November um Mithilfe bei der Produktion von Sputnik V. Schon vorher hatte der russische Staatschef von gewissen Problemen gesprochen, die mit dem Fehlen von „Eisen“, sprich der notwendige­n Herstellun­gstechnik für den Impfstoff zusammenhi­ngen.

Um die Pandemie zu stoppen, muss man nach Einschätzu­ng von Medizinern etwa die Hälfte der Bevölkerun­g in Russland impfen, und das mit jeweils zwei Dosen – also über 70 Millionen Menschen. Im Juli hieß es, man wolle bis Ende des Jahres 30 Millionen Dosen in Russland produziere­n. Viele Experten halten aber eine fünfstelli­ge Zahl für realistisc­her. „Ein Großteil der Impfstoffe in Russland wird bisher in Forschungs­instituten hergestell­t, in kleinen Umfängen, die den Routineplä­nen für die Impfungen gegen verschiede­ne Kinderkran­kheiten folgen“, sagte die Ärztin und Pharmakolo­gin Elena Spiridonow­a der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es gab nie die Notwendigk­eit, einen Impfstoff so massenhaft zu produziere­n.“Russland sei deshalb kaum darauf vorbereite­t.

„Bisher kommt keine Massenprod­uktion des Covid-19-Impfstoffs in Gang“, schreibt das Wirtschaft­sportal „The Bell“. Alle Hersteller, die es befragte, müssen ihre Produktion­slinien noch errichten. Oder von biotechnis­chen Problemen bei der Herstellun­g des Impfstoffe­s in stabiler Qualität.

Wladimir Sipjagin, der coronakran­ke Gouverneur der Region Wladimir, teilte auf Facebook mit, er werde sich nicht in einem der örtlichen Hospitäler kurieren lassen, dort gäbe es nur noch wenig freie Plätze und viel schwerere Fälle. Sipjagin will in eine Moskauer Privatklin­ik gehen. Die Masse der Russen kann sich so eine Lösung nicht leisten.

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FOTO: AFK SISTEMA PRESS OFFICE/ IMAGO IMAGES Russland entwickelt zwar selbst Impfstoffe, hat aber nach Medienberi­chten Probleme mit der Produktion.

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