Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Einzelhändler fürchten ums Weihnachtsgeschäft
Die Unternehmen im Süden blicken besorgt auf die kommenden Wochen und fordern Unterstützung von der Politik
RAVENSBURG – Noch etwa fünf Wochen sind es bis Weihnachten und die Mitarbeiter des Ravensburger Pharmaunternehmens Vetter können sich freuen. Ihr Arbeitgeber schenkt ihnen für ihren Einsatz in der Pandemiezeit Gutscheine im Wert von 200 Euro. Es sind aber nicht irgendwelche Gutscheine. Die Mitarbeiter können sie nur bei den lokalen Einzelhändlern in der Ravensburger Innenstadt einlösen, möglicherweise ihre Weihnachtsgeschenke davon kaufen.
Das Pharmaunternehmen will den angeschlagenen Einzelhandel in Ravensburg in Zeiten des Teil-Lockdowns unterstützen. Es ist ein Schulterschluss, der Hoffnung geben soll. Doch er zeigt gleichzeitig die desaströse Lage des stationären Einzelhandels auf. Der Handel „leidet spürbar unter den Corona-Auswirkungen“, sagt Thomas Reischmann vom Wirtschaftsforum Pro Ravensburg. Nicht nur in der oberschwäbischen Stadt ist das so, sondern überall in Baden-Württemberg und Bayern.
Normalerweise ist die Vorweihnachtszeit für viele Einzelhändler die wichtigste Zeit im Jahr. „Sie macht bei einigen bis zu 40 Prozent des Jahresumsatzes aus“, sagt Hermann Hutter, Präsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg bei der digitalen Jahresbilanzkonferenz des Verbandes am Mittwoch. Doch in diesem Jahr „sind die Straßen in vielen Städten leer“. Die Menschen seien zum einen einfach zurückhaltender und verunsichert, zum anderen gebe es wegen des aktuellen Teil-Lockdowns viel weniger Gründe für die Kunden in die Stadt zu gehen, zu flanieren und zufällig Dinge im Schaufenster zu entdecken. Gastronomie, Kinos, Museen und Theater sind geschlossen.
Da nun noch die Weihnachtsmärkte ausfallen, „rechnen alle mit schlechten Zeiten für den Handel“, sagt Hutter. „Der Ulmer Weihnachtsmarkt beispielsweise hat bis zu einer Million Besucher jedes Jahr angezogen, da kamen Busse aus Italien und der Schweiz“. Diese Besucher hätten eben nicht nur den Weihnachtsmarkt besucht, sondern auch eingekauft. Das falle nun weg.
Eine Umfrage unter 400 badenwürttembergischen Einzelhändlern spiegelt die Erwartungen für das diesjährige Weihnachtsgeschäft wider. Zehn Prozent der befragten Händler rechnen mit mehr als 50 Prozent Umsatzeinbußen im Weihnachtsgeschäft.
39 Prozent der Betriebe gehen von Erlösrückgängen zwischen 30 und 50 Prozent aus, weitere 28 Prozent erwarten Einbußen zwischen zehn und 30 Prozent. Knapp zwei Drittel der Befragten rechnen mit hohen Rückgängen bei den Besucherfrequenzen, eben weil die Weihnachtsmärkte als Innenstadt-Magneten wegfallen.
„Das sind schwierige Zahlen, wenn man bedenkt, wie niedrig die Margen im Handel sind, da bedeuten bereits einstellige Minuszahlen beim Umsatz ein großen Problem“, sagt Hutter. Und da das Weihnachtsgeschäft für viele Händler einen so großen Teil des Jahresumsatzes ausmache, sei der jetzige Lockdown noch einmal einschneidender als der im Frühjahr.
Das hat Auswirkungen: Der Handelsverband Baden-Württemberg rechnet mit rund 6000 Insolvenzen und Geschäftsschließungen in den kommenden zwei Jahren im Südwesten. „Die Unternehmen, die wir jetzt verlieren, werden wir für immer verlieren“, sagt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg.
Buchhandlungen, Spielehändler oder Parfümerien hängen laut Handelsverband besonders vom Weihnachtsgeschäft ab. Generell aber seien von der Pandemie vor allem die Unternehmen, die Textil-, Schuhund Lederwaren verkaufen, betroffen. „Die sitzen noch auf der Ware, die sie vor einem Jahr gekauft haben, sie hängt in den Geschäften wie Beton“, sagt Hagmann.
Deswegen sei nun eine Unterstützung der Politik unbedingt notwendig. „Wir fordern, dass die vom TeilLockdown indirekt betroffenen Unternehmen, die Innenstadteinzelhändler, ebenfalls in das staatliche Nothilfeprogramm aufgenommen werden“, sagt Hagmann. Auch solle der Einzelhandel in der Überbrückungshilfe III, die momentan auf Bundesebene für den Zeitraum von Januar bis Ende Juni 2021 verhandelt wird, angemessen beachtet werden. Hagmann fordert auch noch vor Weihnachten verkaufsoffene Sonntage zuzulassen und die Unterstützung der Kommunen. „Dekorationen der Innenstädte und mehr kostenloses Parken in den Innenstädten können helfen.“
Der Präsident des bayerischen Handelsverbands, Ernst Läuger, forderte die Verbraucher am Dienstag in München auf, beim Geschenkekauf den stationären Einzelhandel zu bevorzugen. „Das Einkaufen in den Geschäften ist sicher“, ergänzte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Wolfgang Puff.
Doch gerade bei jüngeren Konsumenten könnten solche Appelle wirkungslos sein, denn je jünger die Verbraucher sind, desto eher erledigen sie ihre Einkäufe am Computer. Die Online-Umsätze im Weihnachtsgeschäft in Bayern werden laut Verband mit über 2,3 Milliarden Euro auf Rekordhöhe steigen. Dies entspreche im Vorjahresvergleich einem Plus von 19 Prozent. Der Verband betont aber auch, dass auch die Zahl der regionalen Onlineshops zunehme.
Wenn die Verbraucher also schon nicht den stationären Einzelhandel in den bedrohten Innenstädten besuchen wollten, dann sollte man doch wenigstens die regionalen OnlinePlattformen unterstützen, appellierte Puff. Die Deutschen hätten genug Geld, viele seien aber unsicher, ob sie es ausgeben sollten.
Diese These wird auch von einer Untersuchung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg gestützt, die der Leiter des Studiengangs Handelsmanagement, Andreas Kaapke, am Mittwoch vorstellte. Demnach ist es um die Kauflaune der BadenWürttemberger eigentlich gar nicht schlecht bestellt. Die Mehrheit der Menschen im Südwesten will etwa so viel Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben wie im vergangenen Jahr. Diesmal sind es im Schnitt 374 Euro, vor einem Jahr waren es 379 Euro. „Die Verbraucher signalisieren uns also, dass sie einkaufen wollen, wenn man sie lässt“, folgerte Kaapke.
Bei der Frage, wo die Menschen ihre Käufe tätigen wollen, gibt es eine Überraschung: Zwar steigt erwartungsgemäß der Anteil der Onlineshops von 32 auf 37 Prozent, zugleich wächst aber auch die Bindung zu stationären Geschäften innerhalb des eigenen Wohnorts leicht. Ein Indiz dafür, dass den Menschen trotz Onlineangeboten eine belebte Innenstadt vor der eigenen Haustür am Herzen liegt und dass sie bewusst dort einkaufen wollen – vielleicht in der Weihnachtszeit umso mehr.