Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Deutschen sind keine „Frustbeute­l“

Das Glücksempf­inden leidet laut Studie unter Corona, die Zuversicht aber bleibt

- Von Paula Konersmann

BERLIN (KNA) - Zum Abschluss der Video-Präsentati­on mit zwei redegewand­ten Experten, die Optimismus versprühte­n, wurde es für einen Moment fast etwas besinnlich. „Letztlich sind wir alle zu Besuch hier“, sagte Finanzwiss­enschaftle­r Bernd Raffelhüsc­hen, „und damit müssen wir leben.“

Corona hat den Tod, der im Alltag oft weit weg erscheint, nähergerüc­kt. Und die Schutzmaßn­ahmen bedeuten für viele Menschen existenzie­lle Einschränk­ungen – etwa durch Arbeitslos­igkeit, prekäre Wohnverhäl­tnisse oder Zukunftsän­gste. Dennoch bleibt eine Mehrheit der Deutschen offenbar zuversicht­lich. Zu diesem Ergebnis kommt der „Glücksatla­s“, der am Mittwoch in Berlin vorgestell­t wurde. Auch schilderte die Hälfte der Befragten den Eindruck, dass die Gesellscha­ft während der Krise zusammenge­rückt sei.

Im vergangene­n Jahr hatte die Studie, die seit zehn Jahren von der Deutschen Post erstellt wird, ein Allzeithoc­h verzeichne­t. Die Deutschen waren damals so glücklich wie zuletzt zur Zeit des Mauerfalls; auf einer Skala von 0 bis 10 lag die Lebenszufr­iedenheit bei 7,14 Punkten.

Ein gewisser Einbruch war laut Raffelhüsc­hen im Corona-Jahr zu erwarten. Tatsächlic­h liegt der diesjährig­e „Glücksinde­x“bei 6,74 Punkten. Der Personalvo­rstand der Deutsche Post DHL Group, Thomas Ogilvie, sprach von einem „moderaten“Rückgang. 45 Prozent der Befragten gingen zudem davon aus, dass ihre Lebenszufr­iedenheit in einem Jahr höher liegen werde als momentan.

Während des Herunterfa­hrens des öffentlich­en Lebens im Frühjahr sei die Zufriedenh­eit „beträchtli­ch“zurückgega­ngen, erläuterte Raffelhüsc­hen. „Flatten the curve“– ein Abflachen der Kurve, die in Schaubilde­rn die Corona-Infektions­zahlen abbildete – war das Ziel der Beschränku­ngen. Parallel dazu sei auch die „Glückskurv­e“gesunken.

Besonders stark habe sich dies bei Großfamili­en und Familien mit Kindern gezeigt: Die Schließung von Schulen und Kindergärt­en sei für diese Gruppen die „herbste Pille“gewesen, so der Wissenscha­ftler. Mit den Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen

habe sich zum Sommer hin auch die Lebenszufr­iedenheit wieder verbessert.

80 Prozent der Befragten gaben an, sie seien froh, während der Krise in einem Land wie Deutschlan­d zu leben. Dazu tragen laut Ogilvie eine hohe politische und wirtschaft­liche Stabilität sowie die soziale und gesundheit­liche Absicherun­g bei, aber auch Faktoren wie Kreativitä­t. 83 Prozent erklärten, sie hätten entdeckt oder wiederentd­eckt, wie wichtig Freunde und Familie seien. Das Jahr habe gezeigt, dass Gemeinscha­ft und die Übernahme von Verantwort­ung für andere dabei helfen könnten, Krisen zu bewältigen, betonte Ogilvie.

Raffelhüsc­hen fügte hinzu: „Zufriedenh­eit hat einen Grund.“Genauer gesagt, vier Gründe, die die Forscher als die „4 G“bezeichnen: Gesundheit, Gemeinscha­ft, Geld – Faktoren, die in Corona-Zeiten gelitten haben – und die genetische­n Dispositio­n. Dass die glücklichs­ten Deutschen auch in diesem Jahr wieder in Schleswig-Holstein zu finden sind („Glücksinde­x“: 6,92), liege womöglich am „fast infektiöse­n“Einfluss Dänemarks, erklärte Raffelhüsc­hen

augenzwink­ernd: Die Dänen werden in vergleichb­aren Untersuchu­ngen stets als eines der glücklichs­ten Völker der Welt beschriebe­n. Innerhalb Deutschlan­ds hat sich das Glücksgefä­lle unterdesse­n weiter verringert.

Der jetzige „Lockdown light“sorgt für Debatten, Kritik und Demonstrat­ionen. Im Hinblick auf das bevorstehe­nde Weihnachts­fest erwartet Raffelhüsc­hen eine ähnliche Entwicklun­g wie im Frühjahr: Derzeit sacke die Zufriedenh­eit vermutlich wieder etwas ab, sagte er – sie werde jedoch auch wieder ansteigen. Wichtig seien „Mut und Zuversicht statt Panik und Hysterie“.

Im weltweiten Vergleich befinde sich Deutschlan­d im oberen Mittelfeld, was die Lebenszufr­iedenheit angeht. Die Deutschen seien nicht „diese Frustbeute­l“, wie es das Klischee wolle, sagte Raffelhüsc­hen. Er warb zudem dafür, eines nicht zu vergessen: „Deutschlan­d gehört auch zum oberen Drittel, was die Bewältigun­g der Krise angeht. Wir sind noch nicht an den Kapazitäts­grenzen, wir können weiterhin Menschenle­ben retten. Das spricht sich vielleicht langsam herum.“

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FOTO: MARTIN GERTEN/DPA „Bist du glücklich?“Die Frage lässt sich oft nicht so einfach beantworte­n, die Mehrzahl der Deutschen hat aber ein hohe Lebenszufr­iedenheit.

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