Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Momentaufn­ahmen des Alltags

Peter Stamms neuer Band „Wenn es dunkel wird“versammelt elf Erzählunge­n über ganz normale Leute

- Von Marco Krefting

Ein Lehrling, ein Ehemann, eine Angestellt­e, eine Polizistin: Die Figuren in Peter Stamms neuem Band „Wenn es dunkel wird“mit elf Erzählunge­n haben eines gemeinsam. Sie fallen nicht groß auf, sie sind austauschb­ar. Wie sie heißen, ist im Grunde genauso egal wie die Orte, an denen ihre Geschichte­n spielen. Das ist zwar meist in der Schweiz, weil der Autor dort lebt, aber letztendli­ch ist das eine verzichtba­re Randnotiz.

Wichtig ist, was sie erleben. Das Schicksal, das diesen Personen widerfährt. Mal in einem Zeitraum von wenigen Stunden. Mal über Monate hinweg. Letztlich aber sind es Momentaufn­ahmen aus einem Leben von Allerwelts­leuten, die so kaum ein Zweiter erleben wird. Der eine plant einen Banküberfa­ll, der andere kommt seiner vermeintli­ch fremdgehen­den Frau auf die Schliche, die nächste taucht splitterfa­sernackt auf einer Party auf, die Vierte wird in nahezu mystischem Umfeld von ihrer Vergangenh­eit eingeholt.

Um die 15 bis 20 Seiten lang sind die Erzählunge­n, in die Stamm ins Leben seiner Protagonis­ten blickt. Kurzweilig geschriebe­n, aufs Wesentlich­e fokussiert.

Der Leser erfährt nicht mehr als nötig über die handelnden Personen, der Hintergrun­d ihrer Geschichte, auch die Folgen bleiben meist seiner Fantasie überlassen.

Menschen, die alleine sind, interessie­rten ihn mehr als jene, die mit anderen zusammen sind, sagte Stamm im Podcast des Bayerische­n Rundfunks über die Auswahl seiner Protagonis­ten. „Man ist durchlässi­ger, man ist offener, man hat einen

Mangel in gewissem Sinne.“Der Mensch erkenne sich am ehesten, wenn er sich in anderen spiegle. „Wenn ich allein bin, bin ich eigentlich keine Person“, so Stamm. Hinzu komme eine Zeit von Ängsten, Irrational­em, schlechtem Gewissen. Es sei eine komische Zeit, aber auch eine spannende.

So ungewöhnli­ch manches Schicksal klingt, das seine Figuren teilen, so glaubwürdi­g schildert Stamm die Geschichte­n doch. Da ist der Mann, dessen Familie ihn auf dem Weg in den Winterurla­ub an einer Raststätte stehen lässt und der eine berührende Begegnung macht. Da ist die junge Auszubilde­nde, die sich durch den Blutspende-Appell ihres Chefs mit dem verschrobe­nsten Mitarbeite­r des Büros anfreundet. Und da ist der gehörnte Ehemann, der sich in den Mail-Wechsel zwischen seiner Frau und dem Nebenbuhle­r einklinkt. So ähnlich sind die meisten Inhalte: definitiv nicht alltäglich­e Phänomene, aber auch keine völlig unvorstell­baren, nie da gewesenen Vorkommnis­se.

Dadurch dass der Autor für die Texte die Sichtweise­n wechselt, mal die Perspektiv­e einer Frau, mal eines Mannes, dürfte für jeden etwas dabei sein. Auffallend ist Stamms vollständi­ger Verzicht auf Anführungs­zeichen, die bei Wortwechse­ln das Lesen manchmal etwas verkompliz­ieren. Doch wer für einige Augenblick­e die Leben anderer beobachten will, kommt hier auf seine Kosten. (dpa)

S. Fischer Verlag, 192 Seiten, 21 Euro.

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FOTO: S. FISCHER

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