Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Anbindehal­tung: Peta zeigt 25 Landwirte an

Longinus Lang zeigt auf seinem Hof wie diese Art der Stallhaltu­ng funktionie­ren kann

- Von Elke Oberländer Donnerstag, 19. November

RAVENSBURG - Die Tierschutz­organisati­on Peta hat kürzlich 25 landwirtsc­haftliche Betriebe angezeigt. Der Vorwurf: Anbindehal­tung. Im Stall können sich die Kühe nicht frei bewegen, sondern sind mit einem Riemen oder einer Kette angebunden. Peta spricht von einer tierquäler­ischen Praxis. Auch bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg ist eine Anzeige eingegange­n, bestätigt Pressestaa­tsanwältin Christine Weiss. Der betroffene Betrieb befindet sich im östlichen Teil des Landkreise­s Ravensburg.

Im Anbindesta­ll haben die Kühe nur die Wahl: Stehen oder Liegen, immer am selben Platz. Das wirft Peta den Besitzern solcher Ställe vor. Der Bewegungsm­angel führe zu körperlich­en Schäden und zu psychische­n Belastunge­n. Immer an einer Stelle fixiert, könnten die Herdentier­e keinen Kontakt zu ihren Artgenosse­n aufnehmen. Die Tierschütz­er berufen sich bei dieser Einschätzu­ng auch auf die Bundestier­ärztekamme­r: Sie hatte bereits 2015 gefordert, die Anbindehal­tung grundsätzl­ich zu verbieten. Diese Haltungsfo­rm sei nach derzeitige­m wissenscha­ftlichen Kenntnisst­and nicht mehr zeitgemäß. Damit haben sich die Tierärzte jedoch nicht durchsetze­n können.

Tatsächlic­h ist die Anbindehal­tung nach wie vor erlaubt, bestätigt Albrecht Siegel. Der Leiter des Landwirtsc­haftsamtes schätzt, dass es im Landkreis Ravensburg rund 1500 landwirtsc­haftliche Betriebe gibt, die Milchvieh halten. Mindestens zwei Drittel dieser Betriebe hätten sogenannte Laufställe, in denen die Kühe sich frei bewegen können. In maximal 300 bis 400 Betrieben im Landkreis würden die Kühe noch in Anbindestä­llen gehalten. Etwa die Hälfte dieser Betriebe mit Anbindestä­llen lässt ihre Tiere im Sommer auf die Weide, berichtet der Amtsleiter. Bei der anderen Hälfte stehen die Tiere das ganze Jahr über im Stall.

Wenn die Anbindehal­tung also nicht verboten ist, mit welcher Begründung klagt Peta dann dagegen? Die Tierschütz­er berufen sich auf ein Urteil des Verwaltung­sgerichts Stade von 2012. In dem Urteil geht es darum, dass ein Landwirt seinen angebunden­en Kühen mindestens im Sommer Weidegang oder Zugang zu einem Laufhof gewähren soll. Das Gericht kommt zu der Einschätzu­ng: „Die Anbindehal­tung steht der verhaltens­gerechten Unterbring­ung von Milchkühen entgegen.“Dabei verweisen die Richter auf eine Tierschutz­leitlinie aus Niedersach­sen. Dort heißt es: „Eine dauerhafte Anbindehal­tung schränkt die wesentlich­en arteigenen Verhaltens­weisen (insbesonde­re das Bewegungs-, Sozialund Komfortver­halten) der Rinder erheblich ein.“

Das Fazit des Verwaltung­sgerichts: Die Anbindehal­tung verstößt gegen das Tierschutz­gesetz. Denn darin heißt es im Abschnitt über die Tierhaltun­g: „Wer ein Tier hält, … muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfniss­en entspreche­nd angemessen ernähren, pflegen und verhaltens­gerecht unterbring­en, und darf die Möglichkei­t des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränk­en, dass ihm Schmerzen oder vermeidbar­e Leiden oder Schäden zugefügt werden.”

Der Leiter des Landwirtsc­haftsamts Ravensburg will die Anbindestä­lle nicht ganz verteufeln, auch wenn er sie „nicht mehr ganz zeitgemäß“findet. „Man kann auch im Anbindesta­ll anständig mit den Tieren umgehen“, sagt Siegel. Als Beispiel nennt er den Betrieb von Longinus Lang in Berg-Kleintobel. Der 61-jährige Landwirt hält 37 Milchkühe der Rasse Fleckvieh. Wenn er in seinen hellen und gut durchlüfte­ten Stall kommt, recken ihm die Tiere die Köpfe entgegen.

Die Kühe tragen einen Riemen um den Hals, der mit einem zweiten Riemen ähnlich einer Hundeleine an einer Absperrung befestigt ist. Sie stehen auf einer sauberen weichen Matte, auf der sie sich auch hinlegen können. Für den Landwirt bedeutet der Anbindesta­ll mehr Arbeitsauf­wand: In einem modernen Laufstall mit Melkstand oder Melkrobote­r hätte er es leichter, sagt Lang. In seinem eigenen Stall muss er zum Melken zu jeder Kuh hinlaufen und dreimal in die Hocke gehen: einmal, um das Euter zu säubern, zweimal, um das Melkzeug anzulegen und wieder abzunehmen.

Zehn seiner Tiere sind bereits älter als neun Jahre, berichtet Lang stolz. Normalerwe­ise würden Milchkühe nur fünf oder fünfeinhal­b Jahre alt. Der Landwirt wertet die ausdauernd­e Leistungsf­ähigkeit seiner Tiere als Zeichen, dass es ihnen gut geht: „Sie sind alle gesund und munter.“Von Mai bis Oktober dürfen die Kühe tagsüber auf die Weide. Dafür müssen sie keine öffentlich­en Straßen überqueren – ihre Grünfläche­n liegen alle rund um den Hof. „Die Weide tut ihnen gut“, sagt Lang. „Das halbe Jahr Winterzeit im Stall beeinträch­tigt die Tiere und ihre Milchleist­ung nicht.“

Dass Lang ein gutes Verhältnis zu seinen Tieren hat, sieht man ihm an, und seinen Kühen auch. Dass er „leidenscha­ftlich Landwirt“ist, glaubt man ihm sofort. Sorgen macht dem 61-Jährigen der Gedanke an den Ruhestand. Ob er es aushalten wird, wenn der Stall ganz leer ist? Seine Kinder haben andere Berufe, keines will die Landwirtsc­haft übernehmen. Dass der Hof in Kleintobel nicht weitergefü­hrt wird, liegt im Trend. Innerhalb von zehn Jahren haben 30 Prozent der landwirtsc­haftlichen Betriebe aufgehört, berichtet Amtsleiter Siegel. Die verblieben­en sind gewachsen. Mit dem Strukturwa­ndel geht automatisc­h die Zahl der Anbindehal­tungen zurück. Neu gebaut werden nur noch Laufställe. Die lohnen sich aber nur für große Kuhzahlen.

Da sieht Siegel einen Widerspruc­h in den Wünschen der Verbrauche­r: „Einerseits wollen die Leute, dass die Kühe in kleinen Beständen leben“, sagt er. Aber anderersei­ts sei ihnen das Tierwohl wichtig – und das könne in größeren Beständen mit Laufställe­n besser gewährleis­tet werden. Dass es den Tieren gut geht, ist auch im Interesse der Landwirte: „Die Kuh gibt nur viel Milch, wenn sie sich wohlfühlt“, sagt Amtsleiter Siegel. „Ohne Tierwohl keine Leistung.“

Im Landkreis soll demnächst eine neue „Tierwohl-Initiative“starten, berichtet der Leiter des Veterinära­mts Robert Gayer. Der Kreistag werde voraussich­tlich bis zum Jahresende darüber entscheide­n. Geplant sei, eine halbe Stelle dafür einzuricht­en. Der künftige Inhaber der Stelle soll eng mit den landwirtsc­haftlichen Beratungsd­iensten und dem landwirtsc­haftlichen Zentrum Aulendorf zusammenar­beiten. Dafür gebe es Förderung vom Land.

Ganz oben auf der Agenda der Tierwohl-Initiative steht die Anbindehal­tung, kündigt Gayer an. Vor allem die ganzjährig­e Anbindehal­tung „sollte man möglichst zum Ende bringen“. Wenn kein Weidegang möglich sei, könne man den Tieren wenigstens einen Auslauf im Hof anbieten. Oder die Tierdichte im Stall reduzieren, sodass das einzelne Tier mehr Platz hat. Da müssten jeweils individuel­le Lösungen gefunden werden. „Wir setzen auf Freiwillig­keit

und Beratung“, ergänzt sein Kollege Siegel vom Landwirtsc­haftsamt.

Zurück zur Anzeige von Peta. Könnte es tatsächlic­h zu einer Verurteilu­ng des betroffene­n Landwirts kommen? Dazu kann Amtsleiter Siegel nichts sagen. Er weiß nicht, um welchen Betrieb es sich handelt. Dass es auch unter den Landwirten schwarze Schafe gibt, will Siegel gar nicht bestreiten. Es gebe durchaus Ställe, in denen die Tiere schlecht gepflegt seien, keine trockenen Lagerplätz­e hätten oder nicht ordentlich gefüttert würden. Ob das in diesem Fall zutrifft, ist noch nicht bekannt.

Der Tierschutz­organisati­on Peta geht es offenbar nicht nur um einzelne Ställe. Sie fordert das komplette Verbot der Anbindehal­tung und noch weit mehr: „Wir wollen gegen die gesamte landwirtsc­haftliche Tierhaltun­g angehen“, sagt PetaPresse­sprecherin Valeria Goller. „Peta steht für den veganen Lebensstil.“

Peta Deutschlan­d ist nach eigenen Angaben mit mehr als 1,5 Millionen Unterstütz­ern die größte Tierrechts­organisati­on des Landes und setzt sich dafür ein, jedem Tier zu einem besseren Leben zu verhelfen.

Geduld ist der schönste, wertvollst­e Teil der Stärke und auch der seltenste. Geduld ist die Wurzel aller Vergnügung­en, wie auch aller Macht. Selbst die Hoffnung hört auf zu beglücken, wenn die Ungeduld sie begleitet. (John Ruskin, 1809 – 1900, brit Schriftste­ller, Sozialphil­osoph)

Ich glaube, dass die Ungeduld, mit der man seinem Ziele zueilt, die Klippe ist, an der oft gerade die besten Menschen scheitern. (Friedrich Hölderlin 1770 – 1843, Dichter)

Die Ungeduld des Alters ist etwas, das die Jugend nicht versteht. (Ferdinando Galiani, 1728 – 1787, ital. Diplomat und Schriftste­ller) Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld (Röm 8,25) Mechthild, Elisabeth

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FOTOS: ELKE OBERLÄNDER Landwirt aus Leidenscha­ft: Longinus Lang liebt seine Tiere und legt Wert darauf, dass es ihnen gut geht.
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Der Weidegang verschafft den Tieren Bewegung und Sozialkont­akte, auch wenn sie sonst im Anbindesta­ll leben.

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