Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ex-Wirecard-Chef mauert vor dem Ausschuss
Markus Braun stellt sich als Opfer dar und macht keine Aussage zum Verbleib der verschwundenen Milliarden
BERLIN - Den Abgeordneten war der steigende Ärger anzumerken: Markus Braun, der ehemalige Chef der Wirecard AG, weigerte sich am Donnerstag vor dem zuständigen Untersuchungsausschuss des Bundestags, auch nur einfachste Faktenfragen zu beantworten. „Merken Sie nicht, dass das Ihre Position in der Öffentlichkeit weiter schwächt?“, fragte ihn der Abgeordnete Hans Michelbach von der CDU. Der Wirecard-Untersuchungsausschuss hatte von Brauns Aussage gehofft, Einblick in die Zusammenhänge des größten deutschen Wirtschaftsskandals der Nachkriegsgeschichte zu erhalten.
Die Ausschussmitglieder machten wiederholt klar, dass sie das Recht, vor einem Ausschuss die Aussage zu verweigern, nicht so weit auslegen wie Braun. Dieser hatte in einer abgelesenen Erklärung angekündigt, nur der Staatsanwaltschaft München Rede und Antwort zu stehen, aber vorerst nicht dem Bundestag. „Die staatsanwaltschaftliche Ermittlung steht auf gleicher Stufe wie dieser Ausschuss“, ermahnte ihn Ausschussmitglied Florian Toncar von der FDP. Fragen, die nicht für das Strafverfahren wichtig seien, müsse der Zeuge auch hier beantworten, sagte Michelbach. Der 51jährige Braun stellte sich derweil in seiner vorbereiteten Erklärung zumindest von der Wortwahl her als Opfer dar. „Die Gerichte müssen klären, wer die Verantwortung für den Zusammenbruch der Wirecard AG trägt“, sagte er. Die Ermittler sollten
„den Verbleib veruntreuter Unternehmensgelder“ausfindig machen, er vertraue auf deren Objektivität. Aus Sicht der Ankläger war Braun jedoch die treibende Kraft hinter dem Milliardenbetrug bei Wirecard. Braun wollte auch keine Fragen dazu beantworten, ob die Staatsanwaltschaft
ihm eine bevorzugte Behandlung im Gegenzug für eine umfassende Aufklärung der Vorgänge angeboten hat.
Wirecard galt bis zum tiefen Sturz als Star der deutschen Börsenwelt. Das Unternehmen hat die Verarbeitung von Kreditkartenzahlungen angeboten. Angeblich soll es damit traumhafte Gewinne erzielt haben. Im Jahr 2018 stieg Wirecard sogar in den Deutschen Aktienindex Dax auf. Im Juni dieses Jahres flog dann jedoch krachend auf, dass 1,9 Milliarden Euro in der Kasse des Unternehmens fehlen. Inzwischen kursieren auch noch deutlich höhere Zahlen für den Fehlbetrag: Die Bilanz war offenbar um mindestens 3,2 Milliarden Euro aufgebläht; die Gläubiger des Unternehmens sehen sich gar um mehr als zwölf Milliarden Euro geprellt.
Braun gilt als Schlüsselfigur des Wirtschaftskrimis um Wirecard. Der ehemalige Firmenchef soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ein Finanzkarussell organisiert haben, das gewaltige Scheingewinne hervorgebracht hat. Drittfirmen haben dazu hohe Summen an den Konzern überwiesen. Dieser verbuchte sie als Gebühreneinnahmen. In Wirklichkeit standen diese Firmen unter Kontrolle des Wirecard-Managements und wurden verdeckt durch den Konzern finanziert. „Das Unternehmen sollte finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden“, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft München I. Damit wollten Braun und seine Helfer „regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren erlangen“.
Grund zum Misstrauen gab es bei Wirecard von Anfang an reichlich. Schon von zehn Jahren gab es erste Gerüchte über Unregelmäßigkeiten in der Bilanz, die Braun jedoch immer wieder zerstreuen konnte. Im Frühjahr 2018 berichtete die britische Zeitung „Financial Times“erstmals über konkrete Betrugshinweise. Mitarbeiter von Wirecard in Singapur hatten versucht, auf Unregelmäßigkeiten hinzuweisen.
Die deutsche Finanzaufsicht Bafin behandelte diese Berichte jedoch mehr als den Versuch der Verleumdung des Unternehmens. Statt eine breit und tief angelegte Untersuchung zu beginnen, hat sie den Investoren verboten, auf fallende Kurse von Wirecard zu wetten. Trotz des praktisch erwiesenen Versagens einzelner Behörden stellte Braun diesen in seiner schriftlichen Erklärung ein perfektes Zeugnis aus: Er habe zu keiner Zeit festgestellt, dass „Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker sich nicht korrekt“verhalten hätten.