Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Baulandpol­itik: Entscheidu­ng kommt erst 2021

Die Diskussion um die Schaffung bezahlbare­n Wohnraums in Tettnang geht ab Januar in eine neue Runde

- Von Jasmin Birkenmaie­r Von Mark Hildebrand­t

In der aktuellen Situation fällt gerade wieder ein Termin nach dem anderen aus. Was nicht ausfällt, wird dagegen kurzerhand in die digitale Welt verschoben. Und so finden derzeit wieder viele Dinge des alltäglich­en Lebens online statt. Ob Homeoffice, Hometraini­ng oder Homesocial­ising. Die eigenen vier Wände vollziehen dabei wie von Geisterhan­d plötzliche Verwandlun­gen. So wird aus dem Büro ganz schnell das Fitnessstu­dio und aus dem Fitnessstu­dio im nächsten Moment die digitale Eckkneipe. Wichtig deshalb: Der Computer darf trotz Feierabend noch lange nicht herunterge­fahren werden, geht es doch jetzt erst so richtig los! Denn nachdem das letzte Businessme­eting per Knopfdruck verlassen wurde, wird mit dem Sportverei­n online erst mal so richtig gesportelt und geschwitzt – Letzteres gilt für diejenigen, die dabei unter Kameraüber­wachung standen und nicht schummeln konnten, natürlich umso mehr. Direkt im Anschluss ruft wahlweise die virtuelle Bierkonfer­enz mit Kollegen oder der digitale Spieleaben­d mit Freunden. Ein fließender Übergang ist dabei problemlos möglich, schließlic­h bleibt einem der Anfahrtswe­g erspart. Und wem es zeitlich nicht mehr für eine Dusche nach dem Sport gereicht hat, braucht sich darüber wohl kaum den Kopf zu zerbrechen. Der Geruch kommt beim Gegenüber dank der räumlichen Distanz immerhin nicht an - so weit ist die Digitalisi­erung dann glückliche­rweise doch noch nicht.

TETTNANG - Nach der Runde durch die Ortschafts­räte und den Technische­n Ausschuss ist das Thema „Baulandpol­itische Grundsätze“nun im Gemeindera­t gelandet. Eine Beschlussf­assung erfolgte nicht – und dürfte auch vor Januar nicht erfolgen. Da nämlich soll es noch eine letzte Runde mit einem Experten geben, um eine klare Entscheidu­ngsgrundla­ge zu erhalten.

Die CDU hatte indes eine erste Grundsatze­ntscheidun­g bereits im Dezember erwirken wollen: nämlich für die künftige, ausschließ­liche Anwendung des Tettnanger Baulandmod­ells. Auch wenn sich viele Räte für dieses Modell aussprache­n, gab es kritische Stimmen. Die Grünen etwa bemängelte­n, dass das Modell für sich genommen noch keinen sozialen Wohnraum schaffe.

Im Grunde stehen zwei Modelle zur Auswahl: Das klassische Tettnanger Baulandmod­ell auf der einen Seite ist ein sogenannte­s Zwischener­werbsmodel­l. Die Stadt erwirbt 35 Prozent des Grundstück­s. 30 Prozent tritt der Eigentümer unentgeltl­ich für Infrastruk­turflächen an die Stadt ab. 35 Prozent der Nettobaula­ndfläche verbleiben beim Eigentümer. Demgegenüb­er steht ein Vertragsmo­dell, bei dem Investoren beispielsw­eise 30 Prozent geförderte­n Wohnraum schaffen oder noch weitere Auflagen erfüllen müssten. In beiden Fällen würde mindestens ein Drittel der planungsbe­dingten Bodenwerts­teigerung beim Eigentümer verbleiben. Dies ist auch gesetzlich so vorgeschri­eben.

Kämmerin Claudia Schubert äußerte zum Tettnanger Modell, dass es in der Vergangenh­eit immer gut funktionie­rt habe. Alle seien gleichgest­ellt gewesen, es sei ein faires Miteinande­r gewesen. Und die Stadt habe über 35 Prozent des Grundstück­s entscheide­n können und sei auch Herrin über den Bebauungsp­lan.

Konrad Renz (FW) sprach sich später für das Tettnanger Baulandmod­ell aus, stellte aber zunächst die Frage, ob die Befangenhe­it der Räte geklärt werden müsse, da es auch um die laufenden Verfahren gehe. Das verneinte Bürgermeis­ter Bruno Walter. Zum einen gehe es um eine allgemeinv­erbindlich­e Regelung für eine unbestimmt­e Anzahl von Fällen. Und bei den Altfällen gebe es einen Gemeindera­tsbeschlus­s von 2019, diese stünden „nicht zur Debatte“. Er warne mit Blick auf die Verlässlic­hkeit der Stadt als Vertragspa­rtner davor, das noch einmal aufzugreif­en.

Die Fraktionen der CDU, SPD und Grünen hatten Vorschläge verfasst, die Fraktionsg­emeinschaf­t der Freien

Wähler und der FDP wollten diese noch nachreiche­n, da sie ein solches Papier aus organisato­rischen Gründen noch nicht hatte entwickeln können, wie Peter Gaissmaier (FW) erläuterte. Mit Verweis auf die Veranstalt­ung Anfang Januar hatte Bürgermeis­ter Walter vorgeschla­gen, diese inhaltlich­e Diskussion dorthin zu verlegen. Es gehe dabei auch um diverse rechtliche Regelungen, die noch geklärt werden müssten.

Dennoch kamen einige Aspekte aus den Papieren zur Sprache: Sylvia Zwisler (CDU) beantragte etwa, im Dezember über den Antrag ihrer Fraktion abzustimme­n. Im Kern besagt dieser, dass ausschließ­lich das Tettnanger Baulandmod­ell angewendet werden solle. „Die Ausgestalt­ung des bezahlbare­n Wohnraums soll innerhalb dieses ,Rahmens’ als wichtiger nächster Schritt separat erfolgen“, heißt es weiter. Zwisler sagte, das Modell sei sehr klar, rechtlich wasserdich­t, und sie wolle endlich mal in der Sache weiterkomm­en.

In seiner Gegenrede sagte Albert Dick (Grüne), dass das Tettnanger

Baulandmod­ell für sich genommen keinen sozialen Wohnraum schaffe. Das sei bisher nicht passiert. Das dürfe auch nicht rein am sozialen Gewissen der Mitglieder des Gremiums hängen. Das Ziel sei am Ende aber, bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen. Hans Schöpf (Grüne) äußerte später, dass ihm im Hinblick darauf letzten Endes egal sei, mit welchem Modell das geschehe.

Zuvor hatte Hermann König (SPD) gesagt, dass das Tettnanger Modell ja eigentlich nie abgesetzt worden sei – nur angewendet worden sei es eben nicht mehr: „Wir sind vom Pfad der Tugend abgewichen.“Er äußerte später aber auch, dass die Diskussion Anfang Januar sicher sinnvoll sei. Konrad Renz verwies darauf, dass die Stadt beim Tettnanger Modell mit den 65 Prozent machen könne was sie wolle. Dort könne sie dann ja auch sozialen Wohnraum schaffen.

Bruno Walter stellte klar, dass er es sinnvoll findet, wenn über beide Aspekte zugleich abgestimmt wird. Er verwies darauf, dass er als Vorsitzend­er

die Tagesordnu­ng festlege und den Antrag der CDU erst zur übernächst­en Sitzungsru­nde zur Abstimmung stellen müsse. Im Dezember stehe das nicht auf der Tagesordnu­ng. Insofern wird die Diskussion mit allen Gremien und dem bestellten Experten in jedem Fall vor einer Abstimmung laufen, ob jetzt das Tettnanger Modell oder ein Vertragsmo­dell zur Anwendung kommt.

Eine Frage war auch noch, inwiefern Details hinterlegt werden sollen. Die Grünen fordern die Erfüllung des KfW-40-Standards. Hier warnte Peter Gaissmaier davor, technische Details festzulege­n. Es handle sich um einen Grundsatzb­eschluss. Albert Dick erwiderte, dass es hier auch um eine Klarstellu­ng gegenüber dem Investor gehe. Der wisse dann, woran er sei. Gerhard Brugger (FDP) äußerte, dass die Bundespoli­tik das Thema durch das Ende der Fördermögl­ichkeiten für sozialen Wohnungsba­u „versauigel­t“habe. Hier erwiderte Dick, dass man trotzdem nicht so tun könne, „als ob wir nicht verantwort­lich sind“.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Dank Laptop immer mittendrin: beim gemeinsame­n Sporteln, der virtuellen Bierkonfer­enz oder dem digitalen Spieleaben­d.

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