Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Baulandpolitik: Entscheidung kommt erst 2021
Die Diskussion um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums in Tettnang geht ab Januar in eine neue Runde
In der aktuellen Situation fällt gerade wieder ein Termin nach dem anderen aus. Was nicht ausfällt, wird dagegen kurzerhand in die digitale Welt verschoben. Und so finden derzeit wieder viele Dinge des alltäglichen Lebens online statt. Ob Homeoffice, Hometraining oder Homesocialising. Die eigenen vier Wände vollziehen dabei wie von Geisterhand plötzliche Verwandlungen. So wird aus dem Büro ganz schnell das Fitnessstudio und aus dem Fitnessstudio im nächsten Moment die digitale Eckkneipe. Wichtig deshalb: Der Computer darf trotz Feierabend noch lange nicht heruntergefahren werden, geht es doch jetzt erst so richtig los! Denn nachdem das letzte Businessmeeting per Knopfdruck verlassen wurde, wird mit dem Sportverein online erst mal so richtig gesportelt und geschwitzt – Letzteres gilt für diejenigen, die dabei unter Kameraüberwachung standen und nicht schummeln konnten, natürlich umso mehr. Direkt im Anschluss ruft wahlweise die virtuelle Bierkonferenz mit Kollegen oder der digitale Spieleabend mit Freunden. Ein fließender Übergang ist dabei problemlos möglich, schließlich bleibt einem der Anfahrtsweg erspart. Und wem es zeitlich nicht mehr für eine Dusche nach dem Sport gereicht hat, braucht sich darüber wohl kaum den Kopf zu zerbrechen. Der Geruch kommt beim Gegenüber dank der räumlichen Distanz immerhin nicht an - so weit ist die Digitalisierung dann glücklicherweise doch noch nicht.
TETTNANG - Nach der Runde durch die Ortschaftsräte und den Technischen Ausschuss ist das Thema „Baulandpolitische Grundsätze“nun im Gemeinderat gelandet. Eine Beschlussfassung erfolgte nicht – und dürfte auch vor Januar nicht erfolgen. Da nämlich soll es noch eine letzte Runde mit einem Experten geben, um eine klare Entscheidungsgrundlage zu erhalten.
Die CDU hatte indes eine erste Grundsatzentscheidung bereits im Dezember erwirken wollen: nämlich für die künftige, ausschließliche Anwendung des Tettnanger Baulandmodells. Auch wenn sich viele Räte für dieses Modell aussprachen, gab es kritische Stimmen. Die Grünen etwa bemängelten, dass das Modell für sich genommen noch keinen sozialen Wohnraum schaffe.
Im Grunde stehen zwei Modelle zur Auswahl: Das klassische Tettnanger Baulandmodell auf der einen Seite ist ein sogenanntes Zwischenerwerbsmodell. Die Stadt erwirbt 35 Prozent des Grundstücks. 30 Prozent tritt der Eigentümer unentgeltlich für Infrastrukturflächen an die Stadt ab. 35 Prozent der Nettobaulandfläche verbleiben beim Eigentümer. Demgegenüber steht ein Vertragsmodell, bei dem Investoren beispielsweise 30 Prozent geförderten Wohnraum schaffen oder noch weitere Auflagen erfüllen müssten. In beiden Fällen würde mindestens ein Drittel der planungsbedingten Bodenwertsteigerung beim Eigentümer verbleiben. Dies ist auch gesetzlich so vorgeschrieben.
Kämmerin Claudia Schubert äußerte zum Tettnanger Modell, dass es in der Vergangenheit immer gut funktioniert habe. Alle seien gleichgestellt gewesen, es sei ein faires Miteinander gewesen. Und die Stadt habe über 35 Prozent des Grundstücks entscheiden können und sei auch Herrin über den Bebauungsplan.
Konrad Renz (FW) sprach sich später für das Tettnanger Baulandmodell aus, stellte aber zunächst die Frage, ob die Befangenheit der Räte geklärt werden müsse, da es auch um die laufenden Verfahren gehe. Das verneinte Bürgermeister Bruno Walter. Zum einen gehe es um eine allgemeinverbindliche Regelung für eine unbestimmte Anzahl von Fällen. Und bei den Altfällen gebe es einen Gemeinderatsbeschluss von 2019, diese stünden „nicht zur Debatte“. Er warne mit Blick auf die Verlässlichkeit der Stadt als Vertragspartner davor, das noch einmal aufzugreifen.
Die Fraktionen der CDU, SPD und Grünen hatten Vorschläge verfasst, die Fraktionsgemeinschaft der Freien
Wähler und der FDP wollten diese noch nachreichen, da sie ein solches Papier aus organisatorischen Gründen noch nicht hatte entwickeln können, wie Peter Gaissmaier (FW) erläuterte. Mit Verweis auf die Veranstaltung Anfang Januar hatte Bürgermeister Walter vorgeschlagen, diese inhaltliche Diskussion dorthin zu verlegen. Es gehe dabei auch um diverse rechtliche Regelungen, die noch geklärt werden müssten.
Dennoch kamen einige Aspekte aus den Papieren zur Sprache: Sylvia Zwisler (CDU) beantragte etwa, im Dezember über den Antrag ihrer Fraktion abzustimmen. Im Kern besagt dieser, dass ausschließlich das Tettnanger Baulandmodell angewendet werden solle. „Die Ausgestaltung des bezahlbaren Wohnraums soll innerhalb dieses ,Rahmens’ als wichtiger nächster Schritt separat erfolgen“, heißt es weiter. Zwisler sagte, das Modell sei sehr klar, rechtlich wasserdicht, und sie wolle endlich mal in der Sache weiterkommen.
In seiner Gegenrede sagte Albert Dick (Grüne), dass das Tettnanger
Baulandmodell für sich genommen keinen sozialen Wohnraum schaffe. Das sei bisher nicht passiert. Das dürfe auch nicht rein am sozialen Gewissen der Mitglieder des Gremiums hängen. Das Ziel sei am Ende aber, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Hans Schöpf (Grüne) äußerte später, dass ihm im Hinblick darauf letzten Endes egal sei, mit welchem Modell das geschehe.
Zuvor hatte Hermann König (SPD) gesagt, dass das Tettnanger Modell ja eigentlich nie abgesetzt worden sei – nur angewendet worden sei es eben nicht mehr: „Wir sind vom Pfad der Tugend abgewichen.“Er äußerte später aber auch, dass die Diskussion Anfang Januar sicher sinnvoll sei. Konrad Renz verwies darauf, dass die Stadt beim Tettnanger Modell mit den 65 Prozent machen könne was sie wolle. Dort könne sie dann ja auch sozialen Wohnraum schaffen.
Bruno Walter stellte klar, dass er es sinnvoll findet, wenn über beide Aspekte zugleich abgestimmt wird. Er verwies darauf, dass er als Vorsitzender
die Tagesordnung festlege und den Antrag der CDU erst zur übernächsten Sitzungsrunde zur Abstimmung stellen müsse. Im Dezember stehe das nicht auf der Tagesordnung. Insofern wird die Diskussion mit allen Gremien und dem bestellten Experten in jedem Fall vor einer Abstimmung laufen, ob jetzt das Tettnanger Modell oder ein Vertragsmodell zur Anwendung kommt.
Eine Frage war auch noch, inwiefern Details hinterlegt werden sollen. Die Grünen fordern die Erfüllung des KfW-40-Standards. Hier warnte Peter Gaissmaier davor, technische Details festzulegen. Es handle sich um einen Grundsatzbeschluss. Albert Dick erwiderte, dass es hier auch um eine Klarstellung gegenüber dem Investor gehe. Der wisse dann, woran er sei. Gerhard Brugger (FDP) äußerte, dass die Bundespolitik das Thema durch das Ende der Fördermöglichkeiten für sozialen Wohnungsbau „versauigelt“habe. Hier erwiderte Dick, dass man trotzdem nicht so tun könne, „als ob wir nicht verantwortlich sind“.