Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Von Kante zu Kante, von Blase zu Blase
Timo Boll ist wieder fit und träumt weiter von Olympia, rechnet aber mit einem dicken Wermutstropfen
NEU-ULM - Unter Ausschluss der Öffentlichkeit traf der Tischtennis-Rekordeuropameister Timo Boll am Mittwochabend in Pfaffenhofen an der Roth, der Spielstätte des TTC Neu-Ulm, auf den Europameister von 2016, Emmanuel Lebesson. Boll, der stramm auf die 40 zugeht, hat in diesem Jahr sehr wenig trainiert, fast sechs Monate fasste er den Schläger nicht an – zuerst kam die Pandemie, dann meldete sich wieder mal das Iliosakralgelenk, bereits im PlayoffHalbfinale gegen Ochsenhausen im Juni war er offenbar angeschlagen.
Inzwischen trainiert der Hesse wieder, und wie schnell ein Könner wie Boll seine Reflexe wieder automatisiert hat, sah man im fünften Satz, als er beim Stand von 8:6 einen Kantenball des Franzosen noch erwischte und ihn seinerseits drüben auf die Kante setzte. „Das hab ich auch noch nie geschafft“, sagte Boll später. Der Gegner war entnervt. Boll gewann auch sein viertes Saisonspiel trotz 1:2Rückstand noch mit 11:7, 7:11, 8:11, 11:6, 11:6, am Ende gewannen seine Düsseldorfer das Spitzenspiel beim Bundesligazweiten ungefährdet mit 3:0.
Die Traumserie des deutschen Rekordmeisters geht also weiter. Mit 16:0 Punkten und sage und zähle 24:2 Spielen baute die Borussia ihre Tabellenführung vor Neu-Ulm (10:4) aus, der wohl härteste Rivale Ochsenhausen ist derzeit Fünfter, hat aber mit 6:0
Punkten corona- und terminbedingt gleich fünf Spiele weniger absolviert. Während die drei Spitzenspieler der TTF, die besten Ligaakteure und auch die deutschen Nationalspieler gerade bei den extrem kasernierten Weltturnieren in China versuchen, sich eine gute Setzung für Olympia in Tokio zu erkämpfen, tingelt Boll durch die Dörfer der Bundesliga. Anfangs waren alle Europäer gegen die Turniere, die sich mit den Terminen ihrer Clubs überschnitten, dann aber machten die Ligen Platz frei, die Zeit der Quarantäne in China wurde verkürzt, und nur Boll blieb zu Hause, letzlich des Rückens wegen. „Ich muss mich noch ein bisschen
Ohne Corona hätten wir dieses Spitzenspiel vor 2000 Zuschauern in der RatiopharmArena ausgetragen“, sagte Ebner nach dem 0:3 gegen Düsseldorf. Den Bau einer eigenen Tischtennishalle gibt Ebner derweil nicht auf. „Wenn man an das Projekt Tischtennis glaubt und den Club und den Sport weiterentwickeln möchte, ist das eine unabdingbare Notwendigkeit. ranarbeiten, aber das heute war in Ordnung“, sagte er. „Ich bin froh, wieder am Tisch und schmerzfrei zu sein. Es geht von Woche zu Woche aufwärts, ich glänze noch nicht, aber der Instinkt kommt wieder zurück, und Lebesson ist kein einfacher Gegner.“Gegen Linkshänder spielt der Linkshänder Boll nicht ganz so gerne.
Wie es geht, wenn ein Enddreißiger nicht so straff auf die 40 zugeht, sah man beim Geisterspiel in Pfaffenhofen auch. Neu-Ulms neuer Chinese Hao Shuai, 37, viermaliger WM-Medaillengewinner, hatte offenbar acht Monate nicht trainiert, ehe er vor vier Wochen am Leistungszentrum in
Düsseldorf mit Dimitrij Ovtcharov zu üben begann. Hao, an beiden Knien bandagiert und lädiert, wirkte behäbig, einige Kilo zu schwer und hatte gegen den Schweden Kristian Karlsson beim 5:11, 4:11, 7:11 nicht den Hauch einer Chance. „Ich habe in Düsseldorf gegen ihn trainiert, man spürte die Klasse, die er mal hatte. Aber er hat noch körperliche Probleme, und er ist nicht unbedingt der Beißer, wenn er mal hinten liegt, sondern lässt sich auch mal hängen“, sagte Boll.
Boll selbst dagegen wird beißen, um sich den Traum von seinen sechsten Olympischen Spielen noch zu erfüllen – dass sie stattfinden, davon geht er aus. „Es wird die entsprechenden Konzepte geben“, sagt Boll, und: „Für mich zählt nur eine Medaille. Ob ich im Achtelfinale auf einen Chinesen treffe oder in der ersten Runde, ist egal. Die Setzung spielt deshalb keine große Rolle.“Dass es ein Olympisches Dorf in bisheriger Form aufgrund des Virus – auch Japan meldet wieder steigende Zahlen – nicht geben dürfte, sei allerdings ein dicker Wermutstropfen. „Das würde viel vom Flair der Spiele nehmen. Frischlinge, die zum ersten Mal bei Olympia sind, würden den Charakter der Spiele gar nicht spüren können. Das wird sich wahrscheinlich eher so anfühlen wie ein normales internationales Turnier. Das OlympiaFeeling bekommt man als Sportler einfach nur im Dorf.“
Boll selbst wird erst im Frühjahr wieder in den Turnier-Zirkus einsteigen: „Im März soll es die Team-WM geben, im April eine Art Bubble im Nahen Osten, dann eine Bubble in China, dann eine Bubble in Europa. Also zwei Monate Turniere am Stück. Mal schauen, wie das vereinbar ist mit der Liga. Die müssen wir in jedem Fall durchbekommen.“
Von Blase zu Blase wird sich das Tischtennis hangeln, die Sorge vor einer Corona-Erkrankung bleibt. „Das kann einen auch als jungen Menschen ganz schön zurückwerfen“, sagt Boll. „DTTB-Sportdirektor Richard Prause hatte das Virus, er kann nach fünf Wochen immer noch nicht joggen. Das braucht keiner in der Olympiasaison.“