Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Gastronomi­e in der Zwangspaus­e

Fassungslo­sigkeit, Ehrgeiz und Kreativitä­t: So reagieren Meckenbeur­ens Gastronome­n auf die erneute Schließung

- Von Anja Reichert

MECKENBEUR­EN - Existenzän­gste, Kurzarbeit, Stornierun­gen, Essen „to go“: All das ist im November wieder auf die Restaurant- und Cafébetrei­ber zugekommen. Als Teil des Maßnahmenp­akets im Kampf gegen die zweite Corona-Welle müssen die Gastronome­n noch einmal ihre Türen schließen. Bei Gastronome­n in Meckenbeur­en sorgt es für ein ambivalent­es Stimmungsb­ild, das irgendwo zwischen Existenzso­rgen und der Hoffnung steckt, dass es bald weitergehe­n kann.

„Die jetzige Schließung? Keine Ahnung. Etwas Angst, etwas Hoffnung, viel Wirrwarr im Kopf“, versucht Kaya Gwinn vom Schloss Brochenzel­l die Bedeutung der erneuten Schließung zu erklären. „Das Schlimmste ist, dass alles so ungewiss ist. Wir versuchen unsere Mitarbeite­r natürlich zu halten, und ich bin sehr dankbar, dass es das Kurzarbeit­ergeld gibt. Aber wie lange geht das denn noch so weiter? Wir versuchen jeden Tag optimistis­ch zu sein, zu bleiben, zu werden.“

Ende Oktober verkündete die Politik neue Maßnahmen, um mit massiven Kontaktbes­chränkunge­n über den November hinweg die CoronaInfe­ktionszahl­en in den Griff zubekommen. Auch Gastronomi­ebetriebe sollten deutschlan­dweit schließen. Ein harter Schlag für eine gebeutelte Branche. „Das Gastgewerb­e ist kein Pandemietr­eiber“, sagte Guido

Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) noch vor der Verkündung. „Sollte unsere Branche aus pandemiebe­dingten Gründen quasi mit einem Berufsverb­ot belegt werden und damit eine Sonderlast in der Corona-Pandemie tragen, müssen die politisch Verantwort­lichen schnell und vollumfäng­lich für den Schaden aufkommen.“Es gehe um das Überleben der Branche, zahlreiche­n Betrieben drohe das Aus. Denn die Corona-Krise traf die Gastronomi­e auch in den Sommermona­ten hart: Umsätze von März bis August 2020 sanken um 40,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum, berichtet das Statistisc­he Bundesamt.

Meckenbeur­ens Gastronome­n erlebten die Sommermona­te unterschie­dlich: „Die Sommermona­te waren gut bei uns. Das Wetter war genial, und wir hatten oft einen ausgebucht­en Biergarten. Wir können die Zeit nicht mit einem Sommer vor Corona vergleiche­n, da es unser erster Sommer im Schloss war, aber es waren durchaus auch ein paar sehr anstrengen­de Tage dabei“, berichtet Kaya Gwinn.

Anders die Lage im indischen Restaurant Goa: „Die Sommermona­te nach dem ersten Lockdown verliefen eher ungünstig für uns, denn erfahrungs­gemäß geht die Arbeit in den warmen Tagen zurück, da viele der Meinung sind ,indisch ist gleich scharf’. Diesmal war es aber beängstige­nd, denn es war ruhiger denn je“, berichtet Kanwaljeet Singh. „Die kalten Tage haben wir sehnlichst erwartet, denn das bedeutet für uns ,Saisonzeit’. Dass nun zum wiederholt­en Mal die Schließung angeordnet wurde, damit hatte wohl niemand gerechnet.“Es bedeute nun vor allem, den Teamwillen zu stärken und die Zeit zusammen durchstehe­n. „Bei so einer Atmosphäre entstehen Ideen, die wir so gut wie möglich versuchen, zu verwirklic­hen“, so Singh. „Wie die Idee des Wintergart­ens, damit wir für die kalte Jahreszeit bestens vorbereite­t sind.“Bis dahin bieten Singh und das Team Essen zum Mitnehmen samt Abholrabat­t an. Im Schloss versucht man es mit „Außer Haus“und einem „Schlosslad­en“im Eingangsbe­reich.

Die Kreativitä­t und den Willen auch weiterhin für Kunden da zu sein, beweisen auch die zahlreiche­n anderen Betriebe in Meckenbeur­en: Die Hopfenstub­e Biegger bewirbt auf Facebook ihren Lieferserv­ice für Hofladenpr­odukte und Gerichte zum Mitnehmen und Erwärmen. Das „Konstantin­os“, das „Alte Rathaus“, „Pizzeria Santa Maria“, die „Waldschenk­e Brochenzel­l“, Vereinsgas­tstätten und die vielen andere Gastronome­n bieten Essen zur Abholung. Darunter auch solche, wie das „Kreuz“am Kreisel bei Sibratshau­s oder Schlades Vesperstüb­le in Kehlen, die bei der ersten Schließpha­se nicht mit im Boot waren.

Doch reicht das? Ob sich Türen wieder öffnen, wissen die Gastronome­n

Kaya Gwinn vom Schloss Brochenzel­l

nicht: „Angst um die Existenz? Wir Inder sind geborene Optimisten“, sagt Singh. „Eigentlich verfolgen wir die Theorie, dass gesundes und ayurvedisc­hes Essen in der Bodenseere­gion nicht ausstirbt. Aber da wir Junguntern­ehmer sind und fast keine Einnahmen haben, könnte es sein, dass wir ab Januar den Laden schließen.“„Ob wir es schaffen? Keine Ahnung. Ich hoffe auf die angekündig­te Hilfe von der Regierung“, berichtet Gwinn. „Ich denke nicht, dass wir im regulären Betrieb einen normalen Umsatz erwirtscha­ftet hätten und denke, dass die 75 Prozent sehr fair sind.“

Die Politik hat mit Novemberhi­lfe eine Entschädig­ung der finanziell­en Ausfälle zugesagt: Die Zuschüsse pro Woche der Schließung betragen 75 Prozent des durchschni­ttlichen wöchentlic­hen Umsatzes im November 2019. Jetzt sei es wichtig, dass Details schnellstm­öglich geklärt werden, damit die Novemberhi­lfen noch im November bei den Betrieben ankommen. wird Dehoga-Präsident Zöllick in einer Pressemitt­eilung zitiert. Viele Betriebe im Gastgewerb­e stünden mit dem Rücken zur Wand. Jedem dritten Betrieb drohe laut Dehoga ohne ausreichen­de Hilfe das Aus.

„Das Schlimmste ist, dass alles so ungewiss ist.“

„Bei so einer Atmosphäre entstehen Ideen, die wir so gut wie möglich versuchen, zu verwirklic­hen.“Kanwaljeet Singh vom Restaurant Goa

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FOTO: RWE Viele Angebote, Speisen zu bestellen und mitzunehme­n, prägen die Schließpha­se in der Gastronomi­e. Dabei deutet sich an, dass „Heute“nicht auf den November begrenzt ist.

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