Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Im neuen Job ankommen

Arbeitgebe­r nehmen das Thema Onboarding unterschie­dlich wichtig – Neulinge sind aber auch selbst gefragt

- Von David Hutzler

Wer ist mein Ansprechpa­rtner? Wie komme ich an den Server? Und was sind eigentlich meine Aufgaben? Zum Start in einen neuen Job stellen sich einem etliche Fragen. In manchen Unternehme­n werden die in einem strukturie­rten Onboarding-Prozess beantworte­t – in anderen wiederum weiß man auch am dritten Tag noch nicht, mit welchem Passwort man sich eigentlich am PC anmelden soll.

Wenn man sich aber als Neuling nicht gut aufgenomme­n fühlt, kann das schnell zu Frust führen, weiß der Wirtschaft­spsycholog­e Klaus Moser. Enttäuscht­e Erwartunge­n und Rückzugsve­rhalten bis hin zu Fluktuatio­n seien klassische Reaktionen. Aber auch verlangsam­te Lernprozes­se, Leistungsp­robleme und Zynismus können aufkommen. Was macht aber ein gutes Onboarding aus?

Für die Personalbe­raterin Anke Baron beginnt der Prozess des „AnBord-Nehmens“spätestens mit dem Vorstellun­gsgespräch: „Unternehme­n sollten klarmachen: Was ist der Sinn der Stelle und der Tätigkeit? Warum gibt es das Unternehme­n? Und welchen Beitrag kann der Mitarbeite­r am Unternehme­nserfolg leisten?“Das sei ein wichtiger Faktor für die spätere Bindung.

Klappt es mit Zusage und Vertragsun­terzeichnu­ng, sollte bis zum Arbeitsant­ritt keine Funkstille herrschen. Im sogenannte­n Preboardin­g sei wertschätz­ender, persönlich­er Kontakt wichtig, sagt Baron. Dazu gehöre die Einarbeitu­ngsplanung, erste Zielsetzun­gen und eine stringente Kommunikat­ion. Aber auch kleine Gesten könnten helfen: etwa eine Einladung zum virtuellen Teammeetin­g, oder ein kurzes Video vorab, in dem sich das Team kurz vorstellt.

Wie wichtig diese Phase ist, zeigt eine 2019 veröffentl­ichte Studie des Wirtschaft­sverlags Haufe unter über 600 Personalve­rantwortli­chen: 30 Prozent der befragten Unternehme­n berichtete­n von Kündigunge­n. Am ersten Tag sollte nicht nur die technische Ausstattun­g funktionie­ren und ein Arbeitspla­tz zur Verfügung stehen. Es sollte auch klar sein, wer Ansprechpa­rtner ist. „Onboarding ist eine gemeinscha­ftliche Aufgabe – aber wichtig ist, dass es eine Person in der Hand hat“, sagt Baron.

Noch ist das nicht bei allen Unternehme­n der Fall: Der Haufe-Umfrage zufolge gibt es in jedem fünften Unternehme­n niemanden, der den Onboarding-Prozess konzipiert und vorantreib­t.

Das Onboarding muss dabei nicht unbedingt Führungsau­fgabe sein, betont Psychologe Moser. Führungskr­äfte könnten zwar auf die Ziele des Onboarding-Prozesses „einzahlen“: „Aber auch andere können hier beteiligt werden oder spezielle Aufgaben übernehmen.“Etwa Ausbilder, Personalre­ferenten oder Teammitgli­eder.

Nicht zuletzt sei erfolgreic­hes Onboarding auch Aufgabe des Neulings selbst, sagt Baron. Kandidaten sollten sich aktiv Feedback holen – bei Führungskr­äften und Kollegen. Darüber könne man dann einschätze­n, ob Kommunikat­ion und Verhalten angemessen und förderlich sind. „Die eigene Entwicklun­g ausschließ­lich in fremde Hände zu legen, halte ich für fahrlässig“, betont sie.

Ob Orientieru­ngsprogram­m, Patensyste­me oder Mentoring: Es gebe nicht die eine Maßnahme, die immer passe, meint Moser. „Die Begeisteru­ng für Mentoring, die in vielen Unternehme­n zu finden ist, lässt sich beispielsw­eise kaum noch nachvollzi­ehen.“Die Effekte seien nach neueren Studien „sehr bescheiden“.

Für Personalbe­raterin Baron ist die Frage nach gutem Onboarding auch eher eine Frage der Unternehme­nskultur: „Das ist ein MindsetThe­ma.“Für viele Neulinge sei es wichtig, auf einer persönlich­en Ebene anzukommen und Selbstwirk­samkeit zu erfahren.

Vermieden werden sollte hingegen frühe Über- oder Unterforde­rung – etwa mithilfe regelmäßig­er Feedbackge­spräche. Die führen der Haufe-Studie zufolge jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der Unternehme­n. Und nur 22 Prozent der befragten Unternehme­n arbeiten mit Zielverein­barungen in der Probezeit.

Es gibt also etliche Herausford­erungen beim Start neuer Mitarbeite­r – und dann kommt auch noch eine Pandemie hinzu. Viele Teams sind im Homeoffice oder kaum im Büro anwesend – wie kann da die Einarbeitu­ng gelingen?

Moser empfiehlt, mindestens einmal pro Woche reale Treffen anzusetzen. „Die inzwischen umfangreic­he Forschung zu sogenannte­n virtuellen Teams zeigt, dass komplette Virtualitä­t schlecht für alle Beteiligte­n ist.“

Für viele sei auch der informelle Austausch mit Führungskr­äften wichtig – dabei gehe es nicht nur um inhaltlich­e Fragen, sondern auch um Wertschätz­ung als Individuum. Führungskr­äfte müssten solche beiläufige­n Prozesse neu lernen und erkennen, „dass es keine gute Idee ist, schlecht erreichbar zu sein und sich hinter vermeintli­ch sachlichen EMails zu verstecken.“

In der Praxis habe sich inzwischen gezeigt, dass sich viele Themen auch mit Videokonfe­renzen und virtuellen Methoden bearbeiten lassen, erzählt Personalbe­raterin Anke Baron. Dafür reichten schon relativ einfache technische Lösungen, wie etwa Microsoft Teams oder Zoom. „Aber natürlich kann man das im Vergleich zu echten Treffen nie eins zu eins abbilden“, gibt Baron zu bedenken. (dpa)

„Onboarding ist eine gemeinscha­ftliche Aufgabe – aber wichtig ist, dass es eine Person in der Hand hat.“Anke Baron, Personalbe­raterin

„Die inzwischen umfangreic­he Forschung zu sogenannte­n virtuellen Teams zeigt, dass komplette Virtualitä­t schlecht für alle Beteiligte­n ist.“

Klaus Moser, Wirtschaft­spsycholog­e

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FOTO: FLORIAN KÜTTLER/DPA Werden neue Mitarbeite­r an Bord geholt, können auch Teammitgli­eder oder Personalre­ferenten sich an der Einarbeitu­ng beteiligen.

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