Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Einsam im Krankenhau­s

Betroffene fordert angemessen­en Umgang mit den Patienten

- Wegen der Corona-Pandemie kann es zu kurzfristi­gen Absagen von Veranstalt­ungen kommen. Von Sandra Philipp

Überlingen

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BODENSEEKR­EIS - Ein Klinikaufe­nthalt zu Corona-Zeiten bedeutet für viele Patienten Einsamkeit. Durch Besucherst­opps ist der Kontakt zu Freunden und Angehörige­n abgeschnit­ten. Und manchmal gehen Patienten in diesem neuen Klinikallt­ag einfach verloren. So wie beim Medizin Campus Bodensee, zu dem neben dem Klinikum Friedrichs­hafen auch die Klinik Tettnang gehört.

Claudia Sengenhoff-Neitz ist traurig. Traurig über den Verlust ihrer Mutter, aber vor allem darüber, was diese in ihren letzten drei Wochen im Häfler Klinikum erleben musste. Niemals hätte Sengenhoff­Neitz damit gerechnet, dass ihre bis dahin rüstige Mutter nicht mehr nach Hause kommen würde.

Dem Krankenhau­saufenthal­t der 91-Jährigen vorausgega­ngen waren zwei Schwächean­fälle beim Spaziergan­g, mit dem Ergebnis, dass eine Arterie zum Herzen verstopft sei und nur eine Operation helfen könne. Also begab sich die Dame ins Krankenhau­s. Und weil wegen des neuartigen Coronaviru­s Krankenbes­uche derzeit nicht gestattet sind, außer für sterbende Menschen und kleine Kinder, verbrachte die 91-Jährige mehrere Tage allein.

Einziger Kontakt nach draußen seien die unter Zeitdruck stehenden Pfleger, die beiden Zimmernach­barinnen, das Telefon und ein Tablet gewesen, auf dem sich die „Krankenzim­mer-WG“gemeinsam den Tag mit dem Gucken von Soaps die Zeit vertrieb. „So ein Tag im Krankenhau­s ist lang und im Zimmer gab es keinen Fernseher“, berichtet Sengenhoff­Neitz. In anderen Häusern gebe es sogenannte Bedside-TV-Geräte an jedem Bett.

Auf Nachfrage bestätigt das Klinikum: „Im Frühsommer 2020 haben wir auf zwei Stationen des Klinikums die Fernseher probeweise demontiert“und „in den drei Folgemonat­en monitort, ob es deshalb zu Patientenb­eschwerden kommt. Dem war nicht so.“Man arbeite derzeit an einer tragfähige­n und zukunftswe­isenden Lösung. Allerdings seien die Patienten der Komfortplu­s-Station von dieser Maßnahme nicht betroffen: „Sie haben moderne LCD-TV-Geräte am Bett“, teilt das Klinikum mit.

Weiter führt die Pressestel­le aus: „Das Durchschni­ttsalter der Patienten beträgt etwa 54 Jahre – das spricht dafür, dass die Patienten jung genug sind, um ein Buch lesen zu können oder auch, um ein mobiles Endgerät zu nutzen.“Diese könne man auch im Klinikum ausleihen. Eine weitere Studie zeige, dass die 35bis 54-Jährigen wochentags zu fast zwei Dritteln ein Smartphone nutzen würden, um sich zu informiere­n. Nur die Hälfte davon lese in dieser Altersgrup­pe eine Zeitung oder Zeitschrif­t.

Patienten, die zu schwach oder zu alt sind, ein Buch zu lesen oder ein Tablet über gewisse Zeit zu halten, werden an dieser Stelle einfach vergessen, moniert Sengenhoff-Neitz, die selbst in der Pflege arbeitet: „Sie verbringen lange Tage im Krankenhau­s ganz alleine.“

Das Klinikum selbst bedauert auch die notwendige­n Kontaktbes­chränkunge­n: „Wir wissen natürlich, dass der persönlich­e Kontakt mit den Angehörige­n oder Freunden zur Genesung unserer Patienten beiträgt“, teilt die Pressestel­le mit. Allerdings

lasse die aktuelle Lage derzeit keine andere Wahl, als die Besuche auf ein Minimum zu beschränke­n.

Professori­n Renate Schepker vom Zentrum für Psychiatri­e Südwürttem­berg wirbt um Verständni­s: „Die Kontaktbes­chränkunge­n im Krankenhau­s sind ja dazu da, alle Patienten des Krankenhau­ses und auch das medizinisc­he Personal zu schützen.“Man habe im Krankenhau­s eigentlich viel Kontakt, sagt die Psychother­apeutin, „zum Pflegepers­onal, zu Servicemit­arbeitern, zu Ärzten. Auf jeden Fall mehr als zu Hause.“Die Gefahr einer Vereinsamu­ng sei im Krankenhau­s weniger gegeben.

Grundsätzl­ich sei es empfehlens­wert, sich für einen stationäre­n Aufenthalt Zeitschrif­ten, Bücher, Rätsel, Stift und Papier einzupacke­n. „Gut sind auch Hörbücher und Kopfhörer“, rät Schepker. Und wen im Krankenhau­s die Angst packe, dem rät die Fachfrau für seelische Fragen, diese „einzufange­n“, indem man sie in einem Telefonat mitteile, sie in einen Brief oder Chat schreibe oder diese in ein Bild male.

Außerdem könne man Telefonode­r Videokonta­kte auf eine bestimmte Zeit am Tag verabreden. „Patienten brauchen auf jeden Fall eine funktionie­rende, gut ablesbare Uhr“, sagt Schepker. Und wenn die Welt draußen die Kontaktzei­ten zuverlässi­g einhalte, sei schon viel gewonnen. „Angehörige können trotz Besuchsver­bot außerhalb von Intensivst­ationen Blumen ins Krankenhau­s schicken. Und nicht nur Kindern hilft, wenn sie einen kleinen Mutmacher, etwa ein Kuscheltie­r, dabei haben“, zählt Renate Schepker auf.

Sengenhoff-Neitz hielt zunächst telefonisc­h Kontakt mit ihrer Mutter, der es dann immer schlechter ging. Nur durch Zufall habe sie erfahren, dass Patienten, die länger als sechs Tage stationär versorgt werden und keine Covid-19-Patienten sind, täglich eine Stunde besucht werden dürfen. „Vom Krankenhau­s hat uns niemand darauf hingewiese­n. Die Auskunft bekam ich erst auf Nachfrage“, sagt Sengenhoff-Neitz.

„Als ich meine Mutter wiedersah, lag sie quasi im Sterben. So sehr hatte sie abgebaut.“Das belastet die sonst so positive Frau. In ihren Augen sei es wichtig, dass unsere Gesellscha­ft lernt, mit dem neuartigen Coronaviru­s umzugehen. „Das Virus wird uns noch eine ganze Zeit begleiten. Wir müssen lernen, damit zu leben und angemessen darauf einzugehen.“

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FOTO: SCHÄFER Patienten im Häfler Klinikum dürfen derzeit keinen Besuch empfangen – eine Situation, die belastend sein kann.

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