Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Genug der schönen Worte

- Von Hendrik● Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Die Karenzzeit ist seit Längerem vorbei. Wer allerdings von Ursula von der Leyen erwartet hat, dass sie in ihren ersten zwölf Monaten als EU-Kommission­spräsident­in spektakulä­r in Erscheinun­g treten würde, der dürfte sich getäuscht haben. Die Rahmenbedi­ngungen waren schlecht für die Kompromiss­kandidatin Frankreich­s und Deutschlan­ds, unabhängig von dem komplizier­ten Austariere­n der Interessen der 27 EU-Mitglieder. Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump attackiert­e die Europäisch­e Union, beschimpft­e Verbündete wie Feinde, stärkte den britischen EU-Aussteiger­n zumindest rhetorisch den Rücken.

Nach dem Brexit ist bis heute offen, ob es einen Vertrag zwischen Brüssel und London über die zukünftige­n Handelsbez­iehungen geben wird. Die Corona-Pandemie zeigte dann, dass nationale Egoismen nach wie vor existent sind, die unabgestim­mten Grenzschli­eßungen innerhalb der EU brachten den freien Warenverke­hr in massive Schwierigk­eiten. Dass sich Ungarn und Polen dann auch noch gegen die Rechtsstaa­tlichkeits­gebote der Union stellen und mit ihrem Veto Corona-Hilfen blockieren, ist mehr als eine kleinere Randersche­inung. Die EU stand und steht von außen wie von innen unter erhebliche­m Druck.

Erfahrene EU-Politiker zitieren zwar immer wieder das Bonmot „Krise ist immer“, aber das erste Jahr an der Spitze der EU-Administra­tion war für die frühere Bundesvert­eidigungsm­inisterin kein Zuckerschl­ecken. Sie hat es dennoch nicht schlecht gemacht. Doch nun muss mehr kommen. Hinter Trump kann sich niemand mehr verstecken. Mit Joe Biden wird ein US-Amerikaner Präsident, der die internatio­nale Zusammenar­beit schätzt. Klimaschut­z und Wirtschaft­spolitik bedürfen einer gemeinsame­n Linie demokratis­cher Staaten, wenn die hochbeschw­orenen Werte tatsächlic­h eine Rolle spielen sollten. Auch in der gemeinsame­n Verteidigu­ngspolitik gibt es dank der Nato viele Schnittmen­gen, aber auch hier muss gehandelt werden. Der schönen Worte sind genug gewechselt.

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