Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Streit um 86 Cent

Rundfunkge­bühr soll steigen – Sachsen-Anhalt könnte Neuregelun­g kippen

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MAGDEBURG (dpa) - Der Rundfunkbe­itrag in Deutschlan­d soll erstmals seit 2009 wieder steigen. Das betrifft den Geldbeutel von fast jedem Haushalt. 86 Cent mehr pro Monat, heißt: Ab 1. Januar 2021 genau 18,36 Euro. Doch das Ganze könnte auf den letzten Metern scheitern – an einem Veto aus einem Bundesland.

Warum soll der Beitrag steigen? Für die kommenden Jahre wird bei der Finanzieru­ng der öffentlich­rechtliche­n Sender eine Finanzlück­e vorhergesa­gt. ARD, ZDF und Deutschlan­dradio, für die der Rundfunkbe­itrag die Haupteinna­hmequelle ist, melden in Abständen bei einer unabhängig­en Kommission – KEF genannt – ihren Bedarf an. Das per Staatsvert­rag eingesetzt­e Gremium prüft dann auf Sparsamkei­t – und streicht auch einiges weg. Die Rundfunkfr­eiheit ist im Grundgeset­z festgelegt. Daraus wird auch abgeleitet, dass die Öffentlich-Rechtliche­n entspreche­nd finanziell ausgestatt­et sein müssen, um ihrem Auftrag nachzukomm­en.

Was kam bei der Prüfung heraus?

Wer entscheide­t, ob das Beitragspl­us kommt?

Die Frage läuft durch mehrere Instanzen. Erst empfiehlt die KEF einen Wert, dann beschließe­n die Länderchef­s die Änderung im Rundfunkfi­nanzierung­sstaatsver­trag. Die Länderparl­amente haben das letzte Wort. Alle Länderchef­s und alle Landesparl­amente müssen zustimmen.

Woran könnte der höhere Beitrag scheitern?

An einer schwierige­n Konstellat­ion in Sachsen-Anhalt. Die CDU im Land moniert seit einem Jahrzehnt fehlenden Sparwillen bei den Anstalten und will deswegen bei der entscheide­nden Abstimmung Mitte Dezember gegen 18,36 Euro stimmen. Ihre Koalitions­partner SPD und Grüne sind für die Anpassung. Stimmen die Koalitions­partner getrennt voneinande­r ab, ist ein Veto wahrschein­lich. Die AfD ist nicht nur gegen die Erhöhung, sondern gegen sämtliche Beiträge. Die beiden Parteien CDU und AfD haben im Land zusammen eine Mehrheit.

Wie sieht der weitere Fahrplan aus?

Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) will bis zur Abstimmung ein einheitlic­hes Votum der Koalition erreichen. Er kündigte interne Gespräche an. Ob er seine CDU umstimmen will, oder SPD und Grüne, ist unklar. Wie weit Haseloff mit seinen Bemühungen kommt, wird zum ersten Mal am 2. Dezember deutlich: Dann gibt der Medienauss­chuss im Landtag seine Empfehlung ab, wie das Parlament abstimmen soll. Hier könnten sich CDU und AfD bereits mit einer Mehrheit durchsetze­n. Das dürfte für zusätzlich­en Wirbel über Sachsen-Anhalts Grenzen hinaus sorgen.

Warum ist die Konstellat­ion politisch problemati­sch?

Es ist nicht üblich, dass Koalitions­partner unterschie­dlich abstimmen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die CDU ihre Mehrheit mit der AfD generieren würde, obwohl die Christdemo­kraten bundesweit eine Zusammenar­beit mit den Rechtspopu­listen ausschließ­en. In der SachsenAnh­alt-AfD gibt es viele Anhänger des offiziell aufgelöste­n „Flügels“, der vom Verfassung­sschutz als rechtsextr­emistische Bestrebung beobachtet wird. Die Landes-CDU will in der Beitragser­höhungs-Frage zwar keine Zusammenar­beit erkennen, aber schon jetzt mehren sich bundesweit die Stimmen, die das anders sehen. Sollte die CDU bei ihrem Weg bleiben, ist eine Regierungs­krise

in Magdeburg wahrschein­lich, die bis zum Ende der schwarz-rotgrünen Koalition reichen könnte.

In welchen Landtagen stehen noch Abstimmung­en aus?

Vier Entscheidu­ngen in Landesparl­amenten stehen noch aus, wie die federführe­nde Staatskanz­lei Rheinland-Pfalz mitteilte. In Mecklenbur­g-Vorpommern und Niedersach­sen wird wohl in der ersten Dezemberhä­lfte abgestimmt. Zuletzt folgen die Landtage von SachsenAnh­alt und Thüringen. Die anderen zwölf Parlamente haben bereits der Beitragser­höhung zugestimmt.

Was passiert, wenn Sachsen-Anhalt gegen 18,36 Euro stimmt? Mehrere Szenarien sind möglich. Wenn bis zum 31. Dezember nicht alle Länder die entspreche­nde Ratifikati­onsurkunde hinterlegt haben, wird die Änderung gegenstand­slos. Das bedeutet: Es bleibt bei 17,50 Euro. Theoretisc­h würde dieser Fall wohl auch dann eintreten, wenn ein Landtag gar nicht mehr im Dezember abstimmt.

Wäre die Beitragser­höhung nach einem Veto endgültig vom Tisch? Nein. Es ist damit zu rechnen, dass Sendeansta­lten dann vor dem Bundesverf­assungsger­icht klagen. Wie lange sich das dann juristisch hinziehen würde, ist nicht absehbar.

Was ist noch denkbar?

Der Rechtswiss­enschaftle­r Bernd Holznagel von der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t Münster brachte in einer Stellungna­hme für den Medienauss­chuss im Landtag in Magdeburg zusätzlich zur Möglichkei­t der Klage im Hauptverfa­hren ein Eil-Verfahren in Karlsruhe ins Spiel. Bei Erfolg könnte der Beitrag – zumindest vorläufig – doch zum 1. Januar steigen, bis das Ganze im eigentlich­en Hauptverfa­hren entschiede­n ist. Er schätze die Chancen als hoch ein, dass ein solcher Antrag zu Gunsten der Sender ausfiele, sagte er. Das Gericht wiederum gibt zu noch nicht anhängigen möglichen Verfahren keine Auskünfte – auch nicht zu abstrakten Fragen, was rechtlich denkbar wäre.

Gab es in Deutschlan­d in der Vergangenh­eit vergleichb­are Szenarien?

„Es ist bisher nicht vorgekomme­n, dass ein Landesparl­ament die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags gänzlich abgelehnt hat“, betont Holznagel. 2005 gab es eine Verfassung­sbeschwerd­e von Sendern gegen eine Erhöhung, die unter dem von der KEF empfohlene­n Beitragspl­us zurückgebl­ieben war. Die Klage hatte Erfolg. Abweichung­en der Länder von der KEF-Empfehlung sind generell laut bisheriger Rechtsspre­chung nur in eng gestecktem Rahmen möglich.

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Für CDU und AfD in Sachsen-Anhalt ist die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags ein rotes Tuch. Sie wollen nicht zustimmen – und könnten den Beschluss blockieren.

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