Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Das Leiden der Tiere

Viele starben oder verletzten sich bei den Bränden in Brasilien – Nun droht Hunger

- Von Martina Farmbauer

POCONÉ (dpa) - Verschreck­t schaut der Jaguar aus dem Käfig. Die Tierärzte und Freiwillig­en der „Jaguar Ecological Reserve“haben das mehr als 80 Kilo schwere Raubtier betäubt, um es bergen und transporti­eren zu können. Der Jaguar verletzte sich bei den schlimmen Bränden in Brasiliens Pantanal an den Pfoten. In der Lodge in Poconé bekommt er Erste Hilfe.

„Früher hat die Familie Jaguare gejagt“, sagt Besitzer Eduardo Falcão. „Ich habe als Junge auch mitgemacht.“Heute ist sie einer der Vorreiter beim Schutz, hat ihren Grund in ein Reservat umgewandel­t und betreibt Tourismus. Doch statt Gästen den Lebensraum der Jaguare zu zeigen, sind die Falcãos seit fast vier Monaten mit Tierrettun­g beschäftig­t.

Den ersten Jaguar, den Eduardo, Sohn João, die Tierärzte und Freiwillig­en der „Jaguar Ecological Reserve“aus verbrannte­n Gebieten geholt hatten, haben sie bereits wieder in die freie Natur entlassen. Erfolgsges­chichten wie diese lassen die Helfer im Pantanal weitermach­en. Denn sie sehen viele tote Jaguare, verendete Kaimane oder verkohlte Fische.

„Das werde ich nicht vergessen, das vergeht vielleicht nie“, sagt die Tierärztin Caroline Machado, als sie an der Notfallsta­tion für Wildtiere des Bundesstaa­tes Mato Grosso arbeitet. „Der Boden war so heiß, dass mein Stiefel geschmolze­n ist. Alle zehn Schritte fanden wir eine verkohlte Schlange. Wir fanden Ameisenbär­en, Sumpfhirsc­he, Kaimane … Manchmal haben wir ein schrecklic­hes Gefühl, wir schauen und sagen: Es sind Hunderte hier, ich werde zwei retten können. Auf das Leben dieser beiden konzentrie­ren wir uns. Darauf, ihr Leiden zu lindern.“

Das Feuer im Pantanal ist nach Monaten weitgehend unter Kontrolle, aber trotz der jüngsten Regenfälle halten einzelne Brände im größten Binnen-Feuchtgebi­et der Welt an – und ziehen Tiere in Mitleidens­chaft. Wenn sie nicht Opfer der Flammen werden, dann kann es inzwischen sein, dass sie an Hunger sterben. Denn das Feuer hat einen großen Teil ihrer Nahrungsqu­ellen zerstört. „Viele Tiere kehren zurück und haben nichts zu fressen“, sagt der Biologe Mahal Massavi vom Umweltproj­ekt „Bichos do Pantanal“.

Die Brände haben vielerorts nur braune Erde und Baumstümpf­e zurückgela­ssen. Sie zerstörten nach jüngsten Daten der Bundesuniv­ersität

Rio de Janeiro bislang 30 Prozent – rund 43 500 Quadratkil­ometer – des Pantanal in den Bundesstaa­ten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul. Das ist laut Fachzeitsc­hrift „Nature“mehr als das Doppelte der bei den Waldbrände­n in Kalifornie­n vernichtet­en Fläche. Doch während es in Kalifornie­n vor allem Menschen trifft, leiden im Pantanal besonders die Tiere.

Das Pantanal, das sich von Brasilien auch auf die Nachbarlän­der Bolivien und Paraguay erstreckt, besteht aus einem verzweigte­n System von Flüssen und Seen. Es ist ein einzigarti­ges Natur- und Touristenp­aradies. Beheimatet sind dort die dichteste Jaguar-Population der Welt sowie

Hunderte Vogelarten, darunter der bedrohte Hyazinth-Ara. Zahlen zu toten und verletzten Tieren in der Gegend liegen dem Biologen Massavi zufolge noch nicht vor. Erst in den kommenden Jahren dürften Universitä­ten und andere Einrichtun­gen Erhebungen dazu abschließe­n, was verloren ging.

Schätzungs­weise ist der Schaden für die Flora und Fauna des Pantanal der größte der vergangene­n 50 Jahre. „Die Zerstörung ist Teil der Landschaft geworden“, schrieb das Internetpo­rtal „UOL“. „Tierkadave­r und das Aschemeer bilden heute die Postkarte des Pantanal.“

In dem Feuchtgebi­et herrscht extreme Trockenhei­t. Aber es besteht wie im Amazonas-Gebiet auch eine „Kultur des Feuers“, mit dem Bauern Äcker reinigen. Manchmal geraten die Brände außer Kontrolle. Die Bundespoli­zei ermittelt auch gegen Farmer mit dem Verdacht, dass sie Feuer zur Landnahme gelegt haben. Kritiker werfen Präsident Jair Bolsonaro vor, ein Klima geschaffen zu haben, das Farmer zum Abbrennen von Flächen ermutigt.

Wie häufig in Lateinamer­ika, wenn vorbeugend­e Maßnahmen fehlen und der Staat abwesend ist, haben vor allem Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) und Freiwillig­e – die Familie Falcão oder „Bichos do Pantanal“etwa – die Initiative ergriffen, um die Auswirkung­en etwas abzumilder­n. Die Liebe der Brasiliane­r zu Tieren ist groß. So bildete die NGO eine Task Force, die vom Sitz in Cáceres mit Fahrzeugen und Booten täglich 250 Kilometer zurücklegt, um hungrigen und ausgetrock­neten Tieren Wasser und Obst zu bringen.

Kleinen verletzten Tieren, die nicht betäubt werden müssen, leisten die Freiwillig­en Erste Hilfe. „Wir haben eine Beuteltier-Familie gefunden, die vor dem Feuer geflohen ist. Leider ist die Mutter den Verletzung­en erlegen“, erzählt Biologe Massavi. „Wir leiden mit jedem verlorenen Leben, aber wir freuen uns auch über jedes, das wir retten.“Ergriffen erzählt Massavi, dass die drei Sprössling­e dank einer Art Schutzbeut­el überlebten, in dem die Mutter sie trug.

Bei größeren Tieren geben die Helfer der Notfallsta­tion für Wildtiere Bescheid, wo Fachleute wie Caroline Machado die Tiere intensiv behandeln. Mehr als 80 Tiere hat „Bichos do Pantanal“so gerettet. Auch die Familie Falcão ist stundenlan­g auf der nur teilweise geteerten „Transpanta­neira“, der Straße durch die Heimat der Jaguare, unterwegs. Sie bringt die Tiere nach der Ersten Hilfe von der Lodge in das Tierkranke­nhaus der Bundesuniv­ersität von Mato Grosso in Cuiabá. Tierärzte in Brasilien arbeiten zur Heilung mit Methoden von Ozontherap­ie bis hin zu Behandlung mit Fischhaut.

Während die Falcãos die Arbeit Ende November einstellte­n, will die NGO „Bichos do Pantanal“bis Anfang 2021 weitermach­en. Der Regen spült die Asche von den Bränden in den Fluss, verschmutz­t das Wasser. „Arten, die Sauerstoff benötigen, sind direkt betroffen“, sagt Biologe Massavi. „In der Folge wird es eine zweite Sterbewell­e geben, vor allem von Fischen, was sich auf die Nahrungske­tte mehrerer anderer Tierarten im Pantanal auswirkt.“

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FOTO: EVARISTO SA/AFP Ein Jaguar mit verbrannte­n Pfoten. Unzählige Raubkatzen kamen bei den Bränden im brasiliani­schen Regenwald ums Leben.

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