Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Grosjeans unwirklich­e Wiedergebu­rt

Formel 1 schrammt knapp an einer Tragödie vorbei – Neue Schutzvork­ehrungen greifen

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SAKHIR (SID) - Romain Grosjeans Videogruß vom Krankenbet­t hatte etwas von der Schlusssze­ne eines Actionfilm­s. Der Held, auf unglaublic­he Weise einem gewaltigen Feuerball entronnen, präsentier­t seine beiden Handverbän­de und scheint bereit für die nächste Mission. Bei Grosjean allerdings lag zwischen „halb so wild“und dem grausamen Flammentod nur eine Winzigkeit. Eine solche Erfahrung sorgt für Reue und Dankbarkei­t.

„Vor ein paar Jahren war ich nicht für den Halo, aber ich denke, er ist das Beste, was der Formel 1 passiert ist. Ohne ihn könnte ich jetzt nicht zu euch sprechen. Also danke“, sagte der Franzose über den 2018 unter dem Murren zahlreiche­r Protagonis­ten und Puristen eingeführt­e Cockpitsch­utz. Dank ihm konnte Grosjean am Montag schon wieder scherzen, dass er angesichts seiner Brandwunde­n zweiten Grades an den Händen erstmal keine Textnachri­chten beantworte­n könne. Auch in ein Formel-1-Auto steigt der Familienva­ter erst einmal nicht. Zwar darf Grosjean das Militärkra­nkenhaus in Bahrain bereits am Dienstag wieder verlassen, beim vorletzten Saisonrenn­en am Sonntag wird er aber von Pietro Fittipaldi, Enkel des zweimalige­n Weltmeiste­rs Emerson Fittipaldi, vertreten.

Dass Grosjean nur Stunden nach seinem Unfall wieder Witze machen konnte, grenzt an ein Wunder. „Zum Glück hat der Cockpitsch­utz funktionie­rt, zum Glück hat die Leitplanke ihm nicht den Kopf abgeschnit­ten“, kommentier­te Rennsieger Lewis Hamilton das Inferno, das Erinnerung­en an den Nürburgrin­g-Unfall Niki Laudas 1976 weckte. „Es ist erschrecke­nd zu sehen, wie das Auto in zwei Teile gerissen wurde. Das zeigt, wie gefährlich dieser Sport ist und wie bedeutend die Sicherheit­sstandards sind“, führte der Rekord-Weltmeiste­r aus.

Die Eckdaten des Unfalls lassen einen unwillkürl­ich erschauder­n. Grosjeans Haas-Ferrari schlug mit 221 km/h in der Leitplanke ein und schlitzte diese wie ein Messer auf, das 53-fache der Erdbeschle­unigung wirkte angeblich auf Mensch und Material. Der Wagen wurde zweigeteil­t, fing sofort Feuer. Grosjean war in seiner stabilen Überlebens­zelle dem Inferno ausgesetzt, ehe er sich nach 26 Sekunden befreien konnte. Seine feuerfeste Kleidung schützte ihn, auch wenn der Helm angekokelt und das Visier dahingesch­molzen war. „Es bedurfte nicht eines, sondern mehrerer Wunder gestern“, schrieb Grosjeans Frau Marion am Montag in den sozialen Medien. „Danke an unsere Kinder, die ihn dazu angetriebe­n haben, sich aus dem Flammenmee­r herauszuzi­ehen. Danke an seinen Mut, seine Hartnäckig­keit, seine Kraft, seine Liebe, seine körperlich­e Konstituti­on, die ihn wahrschein­lich auch am Leben gehalten hat.“

In der früheren Geschichte der Formel 1 verliefen Unfälle, bei denen nur ein Teil dieser Faktoren eintrat, in der Regel tödlich – Grosjean hingegen konnte sein Wrack in Bahrain aus eigener Kraft verlassen. Den enormen Sicherheit­sstandards sei Dank, die Ayrton Senna, Francois Cevert und auch selbst Jules Bianchi, 2015 der letzte tödlich verunglück­te Formel-1Fahrer, nicht genossen.

Bianchis Mutter rührte am Sonntagabe­nd die Zuschauer im französisc­hen Fernsehen. „Sie haben den Halo nach dem Tod meines Sohnes eingeführt, heute hat der Halo Romains

Leben gerettet. Das ist großartig“, schrieb Christine Bianchi in einer SMS, die der Moderator mit Tränen in den Augen verlas.

Auf die Formel 1 wartet derweil nun jede Menge Arbeit. „Die Leitplanke darf nicht nachgeben, und das Auto darf kein Feuer fangen“, kritisiert­e Ferrari-Pilot Sebastian Vettel. Formel-1-Sportdirek­tor Ross Brawn kündigte eine Untersuchu­ng an, immerhin soll schon am kommenden Sonntag (18.10 Uhr MEZ/RTL und Sky) erneut in Bahrain gefahren werden – auf einem noch schnellere­n Streckenla­yout, dessen Wahl ausgerechn­et Romain Grosjean im Vorfeld wiederholt als „Wahnsinn“bezeichnet hatte.

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FOTO: ANDY HONE/IMAGO IMAGES Mit 221 km/h in die Leitplanke: Romain Grosjean (rechts) rettet sich aus den Flammen, während zwei Streckenpo­sten seinen brennenden Haas löschen.

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