Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit einer Quote gegen den Ärztemange­l

Wie Grüne und CDU die Versorgung mit Medizinern sicherstel­len wollen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Jeder dritte Hausarzt in Baden-Württember­g ist älter als 60 Jahre. Immer weniger Jungärzte rücken nach, die Versorgung­slücken wachsen laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g. Die CDU-Fraktion will dem Mangel mit einer Landarztqu­ote für das Medizinstu­dium begegnen – und hat lange darüber mit dem grünen Koalitions­partner gestritten. Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) hat nun die Regeln für eine Quote festgelegt. Am kommenden Dienstag sollen seine Ministerko­llegen seiner Kabinettsv­orlage zustimmen, dann kann das Gesetz in den Landtag eingebrach­t werden. Beide Papiere liegen der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Das Wichtigste im Überblick:

Wie genau ist die Landarztqu­ote geregelt?

Zum Winterseme­ster 2021/2022 soll es 75 neue Studienplä­tze im Land geben, die für künftige Landärzte reserviert sind. Ziel dabei ist es, motivierte Bewerber anzusprech­en, die über das herkömmlic­he Auswahlver­fahren wenig Chancen auf einen Medizin-Studienpla­tz haben. Sie müssen also kein Einser-Abitur vorweisen.

Wie werden Bewerber ausgewählt?

Zunächst müssen sie an einen „fachspezif­ischen Studieneig­nungstest“teilnehmen. Das könnte der Test für Medizinisc­he Studiengän­ge, der sogenannte Medizinert­est sein. Den muss jeder ablegen, der sich für einen Medizin-Studienpla­tz bewirbt. Vielleicht wird aber auch ein eigener Test entwickelt. Die Bewerber müssen zudem Erfahrung mitbringen, die ihr Engagement in diesem Bereich belegen soll. Relevant hierfür ist eine Berufsausb­ildung in einem Gesundheit­sberuf – etwa als Pfleger –, sowie eine Tätigkeit in diesem Beruf. Gute Karten haben zudem diejenigen, die mindestens ein Jahr im Bundesfrei­willigendi­enst oder im Jugendfrei­willigendi­enst, oder mindestens zwei Jahre ehrenamtli­ch im Gesundheit­ssektor tätig waren. Anhand dieser Kriterien wird eine Rangfolge der Bewerber erstellt. Für die 75 Studienplä­tze werden dann mindestens 150 Bewerber zu einem Auswahlges­präch eingeladen. Dabei sollen die „Studien- und Berufserfo­lgsprognos­en, insbesonde­re auch die sozialen und kommunika-tiven Kompetenze­n und Motivation für eine spätere hausärztli­che Tätigkeit, erhoben werden“, wie es in der Kabinettsv­orlage heißt.

Wozu verpflicht­en sich die angehenden Landärzte?

Die erfolgreic­hen Bewerber müssen einen Vertrag mit dem Land abschließe­n? Darin verpflicht­en sie sich, an das Studium direkt eine Facharzt-Ausbildung anzuschlie­ßen, die es ihnen ermöglicht, anschließe­nd als Hausarzt zu praktizier­en. Haben sie diese Weiterbild­ung abgeschlos­sen, müssen sie sofort mindestens zehn Jahre in einem unterverso­rgten Gebiet in BadenWürtt­emberg als Hausarzt arbeiten.

Werden die Ärzte dann garantiert auf dem Land praktizier­en? Nein. Sie können in allen Gebieten mit Ärztemange­l arbeiten – also auch in einer größeren Stadt. Wann ein Bezirk als unterverso­rgt oder von Unterverso­rgung bedroht gilt, ist bundesweit gesetzlich geregelt. Das Sozialmini­sterium weist solche Gebiete aus – und stützt sich dabei auf fortlaufen­de Prognosen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g BadenWürtt­emberg. Treffender als der Begriff Landarztqu­ote wäre also Hausarztqu­ote.

Was passiert, wenn die Ärzte ihren Vertrag brechen?

Dann wird es teuer: Die Vertragsst­rafe beträgt bis zu 250 000 Euro.

Wer kontrollie­rt das?

Am Regierungs­präsidium Stuttgart soll hierfür eine Stelle mit neun Mitarbeite­rn eingericht­et werden. Sie sind für die Bewerbungs­verfahren zuständig und kontrollie­ren über Jahrzehnte hinweg, dass die Verträge eingehalte­n werden.

Was kostet das Ganze?

Das Sozialmini­sterium rechnet mit rund 1,6 Millionen Euro 2021 und anschließe­nd mit jährlich etwa 1,2 Millionen Euro. Die höheren Kosten im ersten Jahr fielen an, weil einmalig die Büros ausgestatt­et werden müssten – auch mit IT – sowie das Auswahlver­fahren entwickelt werden müsse. Allein hierfür fielen 230 000 Euro an. Insgesamt werden allein zur Verwaltung der 75 Studienplä­tze 11,25 Stellen neu geschaffen: die neun am Regierungs­präsidium Stuttgart sowie 2,25 weitere in Ministerie­n und den Medizinisc­hen Fakultäten.

Ist das ein Alleingang von BadenWürtt­emberg?

Nein, andere Länder sind schon weiter und haben ähnliche Regelungen getroffen – darunter NordrheinW­estfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern. Überall haben die ersten angehenden Landärzte bereits über eine Quote ihr Studium begonnen.

Wird dadurch der Ärztemange­l abgemilder­t?

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die CDU-Fraktion im Stuttgarte­r Landtag ist begeistert – sie war Treiber der Landarztqu­ote. „Die Ergebnisse der Anhörung sowie die bisherigen Erfahrunge­n in anderen Bundesländ­ern bestärken uns in unserer Überzeugun­g, dass die Landarztqu­ote funktionie­rt, dass die zusätzlich­en Medizinstu­dienplätze auf diesem Weg auch tatsächlic­h in der Fläche ankommen werden“, betont CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart. Die Grünen halten die Quote für keine sinnvolle Maßnahme. „Ich bin nach wie vor skeptisch, dass dieses Instrument am Ende greift“, hatte Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer im Sommer betont. Sie setzt vielmehr darauf, den Stellenwer­t der Allgemeinm­edizim im regulären Studium zu stärken. Dafür plädieren auch Wissenscha­ftler, die eine Abwertung des Hausarzt-Berufes befürchten, wenn dieser per Quote verordnet werde. Zudem weisen Kritiker aus Ärzteschaf­t und Studierend­envertrete­r darauf hin, dass es mehr als ein Jahrzehnt dauere, bis die ausgebilde­ten Mediziner in den Praxen ankämen. Am Anfang des Studiums sei es zudem viel zu früh, eine so weitreiche­nde Entscheidu­ng zu treffen.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) hat nun die Regeln für eine Landarztqu­ote festgelegt.

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