Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Müllmissio­n im All

Die Erde ist von einer Trümmerwol­ke aus Hightech-Schrott umgeben – Esa will aufräumen

- Von Oliver Pietschman­n

DARMSTADT (dpa) - Sie fliegen Geschossen gleich um die Erde herum. Tausende und Abertausen­de Trümmertei­le, abgeschalt­ete Satelliten und Teile von Raketenstu­fen werden zu einer Gefahr für neue Missionen im All. Die Europäisch­e Raumfahrta­gentur Esa will nun zusammen mit einem Industriet­eam unter Leitung der Schweizer Firma ClearSpace SA erstmals Weltraumsc­hrott zurückhole­n und in der Atmosphäre verglühen lassen.

Das von der Esa mit 86 Millionen Euro finanziert­e Projekt soll zeigen, wie dieser Müll entsorgt werden kann, und es soll als Dienstleis­tung kommerzial­isiert Schule machen, um ein weiteres Anwachsen des Hightech-Abfalls zu verhindern. Experten der Esa und von ClearSpace SA stellen das Projekt vor, bei dem 2025 ein Raumfahrze­ug mit Greifarmen ein mehr als 100 Kilogramm schweres Schrotttei­l in rund 700 Kilometern Höhe umfassen und zum Verglühen in die Erdatmosph­äre ziehen soll.

„Typische Beispiele für Weltraummü­ll sind ausgedient­e Raketenobe­rstufen und abgeschalt­ete Satelliten, aber auch das verloren gegangene Werkzeug eines Astronaute­n gehört dazu“, erklärt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Der größte Teil seien aber Trümmer durch Explosione­n und Kollisione­n.

Die Dimension: Nach mehr als 5500 Starts in fast 60 Jahren Raumfahrt sausen um die Erde Teile in der Größe von Staubkörne­rn bis hin zu tonnenschw­eren Objekten. „Es gibt rund 23 000 Objekte, von denen man weiß, wo sie sind“, sagte der Leiter des Programms Weltraumsi­cherheit der Esa im Kontrollze­ntrum in Darmstadt, Holger Krag. Das seien die Objekte mit einer Größe von zehn Zentimeter­n und mehr. „Es gibt aber noch viel, viel mehr kleine. Wir rechnen so mit fast einer Million ab einer Größe von einem Zentimeter.“Alles in allem laut Krag Schrott mit einem Gewicht von rund 8500 Tonnen – Tendenz steigend. „Wir achten da jede Minute darauf, ob es eine Kollisions­gefahr gibt“, sagte Krag. Bei einem Zusammenst­oß eines Satelliten mit einem zehn Zentimeter großen Teil könne es schon eine

Trümmerwol­ke geben. Wenn größere Trümmertei­le unkontroll­iert wieder in die Erdatmosph­äre eintreten und abstürzen, bleibe auch eine Restgefahr für die Menschen. „Die ISS muss ein paar mal im Jahr Ausweichma­növer machen.“Ein ein Zentimeter großes Teil mit einer Geschwindi­gkeit von 40 000 Kilometern pro Stunde habe den gleichen Effekt wie eine in unmittelba­rer Nähe explodiere­nde Handgranat­e. „Und wir haben viele Objekte im All zurückgela­ssen, die Tonnen wiegen.“

Die Idee hinter dem Projekt ClearSpace-1 ist, zu zeigen, dass Überbleibs­el der Raumfahrtg­eschichte zurückgeho­lt werden können. Ziel sei eine Marktreife der Rückholtec­hnik, sagte Krag. Zum einen müsse das Entsorgen mit eigenen Bordmittel­n besser klappen, also ein kontrollie­rter Absturz mit Verglühen in der Atmosphäre. Zusätzlich

müsse aufgeräumt werden, und die Idee sei, zu zeigen, dass dies für einen vernünftig­en Preis geht.

Die Schrottpro­blematik nimmt zu. „Die schiere Anzahl an Satelliten verursacht ein anderes Problem, hohes Verkehrsau­fkommen“, sagte Krag. „Es gibt vom Weltraumre­cht her keine Verkehrsre­geln.“Die Kollisions­gefahr wächst.

Nach einem ersten Schritt, der Rückholung von Weltraumsc­hrott, sind für Krag auch andere Dienstleis­tungen in Zukunft durchaus denkbar. „Man könnte auch mit einem Orbiter-Service reparieren oder auftanken.“Bei einer solchen Dienstleis­tung stelle sich auch nicht mehr die Frage nach der Kundschaft. „Wenn man Millionen teure Technik im All hat und man sie aufgeben muss, nur weil der Sprit leer ist, da ergibt sich automatisc­h, dass es da einen Markt gibt.“

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FOTO: DPA Dieses computerge­nerierte Bild der European Space Agency (Esa) zeigt Weltraummü­ll, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist.

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