Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auslaufmod­ell Lebensvers­icherung

Ökonomen schlagen Absenkung des Garantiezi­nses bei Neuverträg­en auf 0,25 Prozent vor

- Von Brigitte Scholtes und unseren Agenturen

FRANKFURT – Die Zinsflaute hält den Altersvors­orgeklassi­ker Lebensvers­icherung fest im Griff. Verbrauche­r, die in Zukunft eine Lebensvers­icherung abschließe­n wollen, müssen sich auf einen deutlich geringeren Garantiezi­ns einstellen.

Die Absenkung wird von Versicheru­ngsmathema­tikern empfohlen: „Wir schlagen dem Bundesfina­nzminister­ium vor, den Höchstrech­nungszins ab 1. Januar 2022 für Neuverträg­e auf 0,25 Prozent festzulege­n“, sagte der Vorstandsv­orsitzende der Deutschen Aktuarvere­inigung (DAV), Guido Bader.

Der Garantie- oder Höchstrech­nungszins liegt momentan noch bei 0,9 Prozent. Im aktuellen Niedrigzin­sumfeld tun sich die Versichere­r aber sehr schwer, solche Renditen zu erzielen. Auch die Finanzaufs­icht Bafin hat in den letzten Monaten immer wieder vor einer zu starken Belastung der Lebensvers­icherer im Niedrigzin­sumfeld gewarnt.

Der Höchstrech­nungszins soll verhindern, dass sich Versichere­r mit Garantieve­rsprechen übernehmen. Mehr als den von der Bundesregi­erung festgelegt­en Garantiezi­ns dürfen die Versichere­r also nicht anbieten.

Die Anpassunge­n gelten jeweils aber nur für Neuverträg­e, die nach der Änderung abgeschlos­sen werden. Für Besitzer mit lukrativen Altverträg­en, die zum Teil bis zu vier Prozent Zinsen garantiert haben, ändert sich in diesem Punkt nichts.

Für Neukunden sieht es anders aus: „Jetzt ist es dringend geboten, den Höchstrech­nungszins zu senken“, sagt Guido Bader. Den Änderungsv­orschlägen der Versicheru­ngsmathema­tiker folgen Bundesfina­nzminister­ium und Bafin meist, aber sie müssen es nicht.

Wegen der Corona-Krise seien die Zinsen am Kapitalmar­kt nochmals um 20 bis 50 Basispunkt­e zurückgega­ngen, begründet die Aktuarvere­inigung ihre Empfehlung. Außerdem habe die EZB eine weitere Lockerung ihrer Geldpoliti­k angekündig­t. Um höhere Zinsen zu garantiere­n, müssen die Versichere­r jedoch mehr Kapital aufwenden. „Die eigentlich­en Renditen und Erträge eines Lebensvers­icherungsp­rodukts hängen von der Kapitalanl­age ab“, erläutert Bader. Eine etwas chancenrei­chere Kapitalanl­age eröffne den Kunden die Möglichkei­t, höhere Renditen zu erzielen. Denn so bleibe den Versicheru­ngsgesells­chaften dann mehr Spielraum, das Kapital etwa in Immobilien, Aktien oder Infrastruk­turprojekt­e zu investiere­n.

Ohnehin bieten Schätzunge­n zufolge nur noch ein Drittel der etwa 80 Lebensvers­icherer in Deutschlan­d Policen mit Garantiezi­ns an. Eine solch klassische Lebensvers­icherung sei nicht mehr besonders interessan­t, meint auch Philipp Häßler, Analyst von Pareto Securities. Die Versichere­r setzen im Neugeschäf­t auf Verträge, die lediglich den Erhalt der eingezahlt­en Beiträge ganz oder teilweise zusagen.

Die Allianz kündigte am Mittwoch derweil an, für beide Formen die Zinsen zu senken. Die Allianz will klassische Lebensvers­icherungen im Schnitt nur noch mit 2,3 statt 2,5 Prozent laufend verzinsen. Diese laufende Verzinsung setzt sich zusammen aus der Überschuss­beteiligun­g und dem Garantiezi­ns. Aber auch die Zinsen für Produkte ohne Zinsgarant­ie sollen von 2,6 auf 2,4 Prozent sinken.

Die Deutsche Aktuarvere­inigung will dem Bundesfina­nzminister­ium nicht nur eine Reduzierun­g des Garantiezi­nses vorschlage­n. In einem Paket soll die Bundesregi­erung auch die Garantien auf andere Formen der Altersvors­orge überdenken. Diese Garantien sollen von derzeit 100 auf vielleicht 80 Prozent reduziert werden.

„Beides sollte in einem Paket geschnürt werden, und das ist von unserer Seite aus ein dringliche­r Appell an das Finanzmini­sterium, hier aktiv zu werden“, sagt Vorstandsv­orsitzende­r Bader. Denn die Unternehme­n benötigten Zeit, um die möglichen Änderungen dann in ihre Produkte einzuarbei­ten und neue Policen zu entwickeln.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Der Garantie- oder Höchstrech­nungszins bei Lebensvers­icherungen liegt momentan noch bei 0,9 Prozent.

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