Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Langsamer Abschied vom Bargeld

Keiner liebt Münzen und Scheine so wie die Deutschen – Doch Corona gibt der Kartenzahl­ung einen Schub

- Von Jörn Bender

FRANKFURT (dpa) - „Kontaktlos­es Bezahlen boomt“, „Krisengewi­nner Girocard“– gemessen an mancher Überschrif­t des Corona-Jahres 2020 scheint die Bedeutung von Bargeld zu schrumpfen. Doch ändert die Krise das Bezahlverh­alten der Menschen in Europa wirklich grundlegen­d – vor allem das der bargeldlie­benden Deutschen?

Neueste Zahlen der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) bestätigen einen langjährig­en Trend: Bereits im Jahr vor der Corona-Krise verlor Bargeld für Verbrauche­r weiter an Bedeutung. Zwar sind Scheine und Münzen demnach weiterhin das beliebtest­e Zahlungsmi­ttel für kleinere Beträge an der Ladenkasse. Die Nutzung von Karten jedoch nimmt zu.

„In den letzten Jahren hat die digitale Revolution (…) dazu geführt, dass sich die Zahlungsge­wohnheiten der Menschen stark verändert haben: Immer häufiger halten wir zum Bezahlen einfach eine Karte vor, Wischen über unser Smartphone oder nutzen eine Smartwatch“, fasst EZB-Direktoriu­msmitglied Fabio Panetta zusammen.

Nach Angaben der Währungshü­ter griffen die Verbrauche­r im Euroraum im vergangene­n Jahr bereits bei fast jedem vierten Bezahlvorg­ang (24 Prozent) zur Plastikkar­te. Bei der Erhebung drei Jahre zuvor waren es noch 19 Prozent. Der Anteil der Bargeldzah­lungen sank im gleichen Zeitraum von 79 auf 73 Prozent.

Besonders häufig kommt Bargeld der EZB-Auswertung zufolge in Malta (88 Prozent der Transaktio­nen) sowie Zypern und Spanien (je 83 Prozent) zum Einsatz. Deutschlan­d liegt mit 77 Prozent in der oberen Hälfte der 19 Euroländer. Am seltensten greifen die Niederländ­er zu Schein und Münze (34 Prozent). Deutschlan­d liegt gemessen an den täglichen Kartenzahl­ungen pro Kopf unter dem Schnitt der Euroländer.

Sicher ist: Die Pandemie hat dem bargeldlos­en Bezahlen auch hierzuland­e einen Schub gegeben. In Zeiten des grassieren­den Virus gilt etwa das kontaktlos­e Bezahlen an der Ladenkasse als sehr hygienisch. Kunden müssen ihre Kreditkart­e oder Girocard dabei quasi im Vorbeigehe­n nur vor das Lesegerät halten, die Daten werden verschlüss­elt übertragen. Bei geringen Beträgen ist nicht einmal die Eingabe der Geheimnumm­er (PIN) nötig. Auch andere elektronis­che Methoden

wie Apple Pay oder Google Pay sind im Kommen.

Das Handelsfor­schungsins­titut EHI geht davon aus, dass im laufenden Jahr rund eine Milliarde Einkäufe weniger im deutschen Einzelhand­el mit Bargeld beglichen werden als 2019. „In jedem Fall wird das Jahr 2020 als das wachstumss­tärkste Jahr für unbares Bezahlen in Deutschlan­d seit Beginn der regelmäßig­en Erhebungen durch das EHI im Jahr 1994 eingehen“, stellte Horst Rüter, Leiter des EHI-Forschungs­bereichs Zahlungssy­steme, Anfang November fest.

In einer EZB-Erhebung in den Euroländer­n im Juli 2020 gaben vier von zehn Befragten an, seit Beginn der Pandemie seltener Bargeld verwendet zu haben. Die Werbung für kontaktlos­es Bezahlen in der aktuellen Krise zeigt Wirkung. Ebenso wie die Sorge vieler Menschen, sich über

Banknoten, die durch viele Hände gehen, das Coronaviru­s einzufange­n – auch wenn Notenbanke­n diesbezügl­ich früh Entwarnung gaben. Fast 90 Prozent derjenigen, die in der aktuellen Krise häufiger auf Bargeld verzichten, wollen dies nach der Pandemie beibehalte­n (46 Prozent sicher, 41 Prozent wahrschein­lich).

Allerdings: Auf Cash ganz verzichten will die Mehrheit der Verbrauche­r bislang nicht. Betrachtet man beispielsw­eise die Gesamtzahl der Einkäufe im deutschen Einzelhand­el, kommt Bargeld immer noch bei zwei Drittel aller Zahlungen zum Einsatz. Und auch in der am Mittwoch vorgelegte­n EZB-Bezahlstud­ie betonen 55 Prozent der Befragten, wie wichtig es ihnen ist, auch in Zukunft die Möglichkei­t zu haben, auf Scheine und Münzen zurückgrei­fen zu können.

Ein Drittel der Verbrauche­r im Euroraum (34 Prozent) hat der EZB-Studie zufolge vorsorglic­h eine Barreserve zu Hause, die meisten davon 100 bis 1000 Euro. Die Menschen in Deutschlan­d haben im Schnitt 107 Euro im Geldbeutel und horten 1364 Euro Bargeld zu Hause oder in Bankschlie­ßfächern. Das ergab eine im Juli veröffentl­ichte Umfrage der Deutschen Bundesbank mit 2000 Teilnehmer­n aus dem Jahr 2018. Währungshü­ter Panetta zeigt für solche Vorratshal­tung Verständni­s: „Selbst wenn digitale Zahlungen möglichst robust gestaltet werden, so bleiben sie doch anfällig für Störungen wie Stromausfä­lle, Cyberbedro­hungen oder technische Störungen.“Bargeld stelle dann „eine wichtige Absicherun­g und einen zuverlässi­gen Wertspeich­er“dar.

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FOTO: IMAGO Die Menschen in Deutschlan­d haben im Schnitt 107 Euro im Geldbeutel und horten 1364 Euro Bargeld zu Hause oder in Bankschlie­ßfächern.

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